dbb magazin 5/2023

Sechsfache pro Einwohner, Österreich das Dreifache.“ Als Ergebnis der jahrzehntelangen Unterfinanzierung und Vernachlässigung erreichte das deutsche Bahnnetz 2021 seinen Kipppunkt. „Man hat“, so noch einmal Peterson, „seit Ende 2021 gesehen: Die Infrastruktur ist an so vielen Stellen gleichzeitig kaputt, das System läuft nicht mehr.“ Gleichzeitig steigen die Fahrgastzahlen. 1,4 Milliarden Personenkilometer wurden 2023 den neuesten Zahlen der Allianz pro Schiene zufolge 2023 mit der Bahn zurückgelegt. Ein Rekord. Für eine gelingende Verkehrswende müssten es noch viel mehr werden. 2018 hatte der damalige Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) eine Verdoppelung der Fahrgastzahlen bis 2030 in Aussicht gestellt – bei einem Stand von 98,2 Milliarden Personenkilometern. Generalüberholung 33 400 Schienenkilometer mit 5 400 Bahnhöfen umfasst das deutsche Bahnnetz – streckenweise auf einem Stand, der den Bedürfnissen der 1950er-Jahre entspricht. Angesichts des gewaltigen Sanierungsstaus entschloss sich das Verkehrsministerium 2023 zu einer Generalsanierung. Die Pläne sind ehrgeizig. Auf der Agenda steht die Grundsanierung von 4 300 besonders belasteten Kilometern des Schienennetzes samt Bahnhöfen, Bahnübergängen und Stellwerken in den Jahren 2024 bis 2029 auf 40 sogenannten Hochleistungskorridoren, die dafür jeweils fünf Monate lang vollständig gesperrt werden. 25 000 Streckenkilometer des Flächennetzes sollen schrittweise modernisiert und rund 1 800 Bahnhöfe zu attraktiven Zukunftsbahnhöfen umgestaltet werden. Darüber hinaus geht es um die schnelle Kapazitätserweiterung und höhere Leistungsfähigkeit im Bestandsnetz durch zusätzliche Überleitstellen und Signale sowie mehr Überholmöglichkeiten für Züge und die Digitalisierung weiterer Strecken in der bestehenden Infrastruktur. Dringend benötigte Serviceeinrichtungen für die Vor- und Nachbereitung von Zugfahrten sollen neu gebaut oder erweitert werden, darunter Abstellgleise. Im gesamten Streckennetz soll es Aus- und Neubauprojekte geben. Umsetzen soll dieses größte Infrastrukturprogramm der DB-Geschichte die zum 27. Dezember 2023 neu gegründete DB InfraGO AG, in der die bisherigen Infrastrukturgesellschaften DB Netz AG und DB Station & Service AG zusammengefasst wurden. Ihr obliegt nun der Betrieb der Eisenbahninfrastruktur – orientiert an Wirtschaftlichkeit und Gemeinwohl, im Zusammenspiel mit dem Bund. „Der Bund formuliert klare politische Ziele für die Infrastruktur“, heißt es dazu auf der firmeneigenen Website, „und stellt die Finanzierung sicher.“ Aufbruch verpufft? Doch diese Finanzierungszusage steht jetzt wieder auf der Kippe. Auf gut 90 Milliarden Euro Gesamtkosten schätzt die Bahn den Investitionsbedarf, 45 Milliarden werden allein bis 2030 benötigt. Die Gelder dafür müssen die Bahn selbst, die Länder und der Bund aufbringen, und dies teils auf verschlungenen Wegen. Bei der Generalsanierung sollte es anders zugehen. Durfte sich der Bund bislang nur am Ersatz maroder Schienen beteiligen, sollte er nun auch in rechtzeitige Sanierung und Instandhaltung investieren dürfen. Ein immenser Fortschritt, um dem Herumwerkeln an einem kaputten System ein Ende zu setzen. Noch im September 2023 kündigte Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) an, der Bund werde 39 Milliarden Euro bis 2027 für die Bahnsanierung zur Verfügung stellen. Im November 2023 kippte das Bundesverfassungsgericht die Umwidmung von Coronamitteln in einen Klima- und Transformationsfonds als verfassungswidrig. Seitdem fehlen dem Bundeshaushalt 60 Milliarden Euro, alle Ressorts mussten Kürzungen hinnehmen. Keines in so hohem Maße wie das Verkehrsministerium. Der Bundeszuschuss für die Bahnsanierung schrumpfte auf 27 Milliarden Euro bis 2027. Damit war der geplante Netzausbau bereits gestrichen. Selbst die 27 Milliarden Euro sind nun fraglich. Ende März verweigerte der Bundesrat der dafür notwendigen Novelle des Bundesschienenwegeausbaugesetzes (BSWAG) die Zustimmung und verwies es an den Vermittlungsausschuss von Bundestag und Bundesrat. Bemängelt wird nicht das Vorhaben als solches. Dessen Dringlichkeit betonen auch die Länder. Gestritten wird aber darüber, wer was bezahlt: den Ersatzverkehr während der Streckenstilllegungen (bislang die Länder), die Sanierung der Bahnhöfe (Bahn und Länder), den Netzausbau in der Fläche (der zu versanden droht), die zu erwartenden Baunebenkosten. Fest steht © Volker Emersleben/Deutsche Bahn AG © Pablo Castagnola/Deutsche Bahn AG FOKUS 19 dbb magazin | Mai 2024

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