bislang nur: Bis zu einer Einigung im Vermittlungsausschuss liegen die Gelder auf Eis. Und damit auch die Gesetzesnovelle, ohne die der Bund eigentlich nicht in die Sanierung einsteigen darf. „Für 2024 habe ich das nötige Geld, um Straßen und Schienen zu erneuern. Den Haushalt 2025 beraten wir aktuell. Ab 2026 bekommen wir in Deutschland bei den Investitionen in die Infrastruktur ein großes Problem, wenn wir keine Lösung finden“, so Wissing im April gegenüber dem „Tagesspiegel“. Infrastrukturfonds: Notlösung oder Zukunftsstrategie? Ist nur für 2024 das nötige Geld vorhanden, heißt das: Begonnen – und abgeschlossen – werden kann nur das erste der 40 Generalsanierungsgroßprojekte, die Sanierung der sogenannten Riedbahn zwischen Frankfurt und Mannheim. Im Juli soll die Vollsperrung der 74 Kilometer langen Strecke erfolgen, im Dezember die Sanierung von Gleisen, Lärmschutzwänden, Leit- und Sicherungstechnik sowie 20 Bahnhöfen abgeschlossen sein. Danach wäre Schluss. Damit die Sanierung der wichtigsten Bahnkorridore nicht im Ansatz stecken bleibt, hat der Verkehrsminister im April ein neues Finanzierungsmodell vorgeschlagen: einen Infrastrukturfonds für Schienen, Straßen und Wasserwege unter Beteiligung privater Gelder und öffentlich-privater Partnerschaften (ÖPP). So ließen sich etwa private Gelder aus Anlagen bei Versicherungen und Pensionsfonds für die Infrastrukturvorhaben mobilisieren, was derzeit nur stark eingeschränkt möglich ist. Die Idee stößt auf ein geteiltes Echo. Schon die Beschleunigungskommission Schiene hatte Ende 2022 eine Fondslösung ins Spiel gebracht, um den Investitionsbedarf der Bahn längerfristig zu sichern. Von Straßen und Wasserwegen war dabei allerdings noch nicht die Rede, und der damit verbundene Investitionsbedarf ist unklar. Das eigentliche Sorgenkind aber ist und bleibt die Schieneninfrastruktur. Das betont auch der GDL Vorsitzende und dbb Vize Claus Weselsky. Für die Bahn müsse eine Lösung gefunden werden, und zwar ohne die Beteiligung privater Geldgeber, „weil das durch die Hintertür eine Teilprivatisierung von Eigentum des Steuerzahlers, Eigentum der Bundesrepublik Deutschland wäre“. Dass es nie passieren dürfe, „dass das Netz und die Bahnhöfe in die Hände von privaten Investoren gelangen“, sei schon beim Börsengang der Deutschen Bahn 1994 herausgearbeitet worden. Dringend geboten: Langfristigkeit Die Bahn selbst zeigt sich Wissings Vorschlag gegenüber aufgeschlossener. Auch die Allianz pro Schiene kann sich eine solche Lösung vorstellen, „um die nötigen Investitionen für die kommenden Jahre abzusichern“, wie ihr Geschäftsführer Dirk Flege der „Süddeutschen Zeitung“ sagte. Damit die neue gemeinnützige Infrastruktursparte DB InfraGO keine leere Hülle bleibt. Wissings Infrastrukturfonds mag das Potenzial haben, die widerstreitenden Partner der derzeitigen Ampelkoalition durch die Einbindung der Straße und privater Investoren zur Zustimmung zu bewegen – aber was kommt danach? Und wie steht es um die immer wieder aufflammenden Konflikte zwischen Bund und Ländern? Weselsky beurteilt die „jährlich wiederkehrende, unsägliche Diskussion um die notwendigen Investitionen“ denn auch „als das Gift im gesamten Gefüge“. Stattdessen brauche es einen Langfristfonds für die Bahninfrastruktur, und zwar angelegt auf Jahrzehnte: „Erst dann wird das Eisenbahnsystem tatsächlich ertüchtigt und in die Gegenwart geholt, noch nicht mal in die Zukunft gebracht.“ Er fordert daher die Einrichtung eines darauf ausgerichteten Sondervermögens, analog zu dem 100-Milliarden-Euro Sondervermögen für Verteidigung. In ebendiesem Umfang. Klimaschutz ist Menschenrecht „Wer Handlungsmacht hat und die nicht nutzt, der begeht Klimaverbrechen.“ So äußerte sich Marissa Reiserer, Verkehrsexpertin von Greenpeace, 2023 im ZDF. Der Umstand, dass der Verkehrssektor in Deutschland die im Klimaschutzgesetz ursprünglich vorgegebenen Einsparziele bis 2030 so drastisch unterschreitet, lässt sich durchaus als Gesetzesbruch werten. Der ist nun ausgeräumt, da sich die Koalition im April auf Änderungen im Klimaschutzgesetz verständigte. Ausschlaggebend ist jetzt der deutsche CO₂-Ausstoß insgesamt. Mehreinsparungen in anderen Sektoren können so den Mangel im Verkehrssektor ausgleichen. Theoretisch. Denn dasselbe Gesetz schreibt vor, dass Deutschland bis 2045 klimaneutral werden muss – Verkehr inklusive. Die EU hat sich Netto-Null-Emissionen bis 2050 verordnet. Reiserers Aussage über Klimaverbrechen erhält nun auch von anderer Seite Nahrung. Am 9. April 2024 entschied der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR), dass der Schutz von Gesundheit und Leben vor dem Klimawandel verlangt, dass die Staaten das 1,5-Grad-Ziel aus dem Pariser Klimaabkommen tatsächlich einhalten. Als maximale Obergrenze. Geklagt hatten Schweizer Seniorinnen, weil ihr Staat nicht genügend unternehme, um das 1,5-Grad-Ziel zu gewährleisten, und damit ihre Gesundheit gefährde. Das Urteil ist aber vor allem deshalb brisant, weil es sich in seiner Wirkung nicht auf die Schweiz beschränkt, sondern für alle Staaten Europas verbindlich ist. Das heißt: Sämtliche Staaten Europas müssen nun nachweisen, dass sie mit ihren Anstrengungen das 1,5-Ziel erreichen werden – ohne Schönrechnerei. Das diesjährige Treibhausgasbudget für das 1,5-Grad-Ziel hat Deutschland nach Berechnungen des Weltklimarats IPCC bereits im April verbraucht. Die Politik muss also massiv nachlegen. Auch und gerade bei der Bahn. Andrea Böltken © Volker Emersleben/Deutsche Bahn AG 20 FOKUS dbb magazin | Mai 2024
RkJQdWJsaXNoZXIy Mjc4MQ==