dbb magazin 5/2023

ern. Doch das Netz der Zukunft muss erst mal aus dem Netz der Gegenwart entstehen. Und dort knirscht es derzeit. Denn nur drei Jahre nach der Umfrage der BNetzA, in der nur eine Minderheit mit Versorgungsengpässen rechnete, kam es im April 2024 zum deutschlandweit ersten Versorgungsengpass. Am 10. April meldete die Stadt Oranienburg der Bundesnetzagentur, dass „… die Versorgungsmöglichkeiten in der Stadt Oranienburg ausgeschöpft“ seien, so Peter Grabowsky, Geschäftsführer der Stadtwerke Oranienburg. Konkret bedeutet das, dass die Stadtwerke keine Neuanschlüsse bereitstellen können, bis eine Lösung gefunden ist. Keine Neuanschlüsse bedeutet aber auch keine neuen Wärmepumpen und Ladesäulen. Die Energiewende schaltet in Oranienburg auf Stromsparmodus. Derzeit schieben sich die kommunalen Stadtwerke und der überwiegend private Energieversorger E.dis gegenseitig die Schuld für die Misere zu. Fest steht: Bei einer schnell wachsenden Kommune wie Oranienburg, die in 20 Jahren rund 10 000 zusätzliche Einwohner gewonnen hat, müssen Netzbetreiber vorausschauend agieren. Rekommunalisierung versus Privatisierung ​Immer wieder gehen Diskussionen über Privatisierung und Kommunalisierung der Leistungen der öffentlichen Daseinsvorsorge durch die Medien. Damit sind meist Energieversorgung, Abfallwirtschaft und (Ab-)Wasserwirtschaft gemeint. Eine Rekommunalisierung kann verschiedene Gründe haben. Grundsätzlich geht es um die Idee der öffentlichen Daseinsvorsorge. Ihre Priorität ist nicht, maximalen Profit auszuschütten, sondern überlebenswichtige Leistungen bereitzustellen und damit das Land am Laufen zu halten. In der Regel agieren die Kommunen bei der Daseinsvorsorge kostendeckend, private Unternehmen dagegen gewinnorientiert. Darunter leiden dann die Qualität der Leistungen, die Preise und die Kooperation mit der zu versorgenden Kommune. Insbesondere bei der Energiewende, die ja möglichst schnell vollzogen werden soll, erweist es sich als geschickter, wenn kommunale Stadtwerke Pläne direkt umsetzen können, statt jedes Mal einen planerischen Umweg mit vielen Diskussionen zu gehen. Privatisierung bringt zudem das Risiko mit sich, dass die Gewinne und Steuern nicht in der Kommune ankommen. Nicht außer Acht gelassen werden darf zudem der Aspekt der Macht: Die Kontrolle über Energieversorgung, Trinkwasserversorgung und Abfallversorgung kann zum politischen Hebel werden. Zu Beginn der Energiepreiskrise im Jahr 2021/2022 zeigte sich, dass vor allem bei den privaten Energieversorgern, die auf kurzfristige Gewinne setzten, die Preise nach oben schossen, während die Preise der kommunalen Stadtwerke relativ beständig blieben. Manche Unternehmen konnten ihren Versorgungsauftrag nicht mehr erfüllen, ihre Kundinnen und Kunden mussten dann von den örtlichen Stadtwerken in der Ersatzversorgung aufgefangen werden. Dadurch mussten die Stadtwerke wiederum einen höheren Energiebedarf decken und manche fürchteten einen Dominoeffekt. So weit kam es zwar nicht; aber auch die Stadtwerke konnten sich den Preisanstiegen nicht lange entziehen. Daseinsvorsorge: Gemeinwohl vor Gewinn Die Rekommunalisierung der Stromnetze und damit die Priorisierung von Gemeinwohl über Gewinn bedeutet aber auch, dass mit dieser Priorisierung das Fitmachen für die Energiewende erfolgen muss. Die Kosten für Umbau und Aufrüstung der Netze muss die Kommune selbst tragen, möglichst ohne die Preise anzuheben. Mit der Energiewende stehen Kommunen mit Rekommunalisierungsplänen vor einem Dilemma: Die Netze für die Energiewende fit zu machen, erfordert einerseits erhebliche Mehrkosten. Andererseits sollten die Spielräume für Preissteigerungen nach der Rekommunalisierung im Sinne der Daseinsvorsorge eher moderat ausfallen. Prominentestes Beispiel für die Rekommunalisierung: Das Land Berlin hatte im April 2021 sein Stromnetz vom schwedischen Unternehmen Vattenfall für 2,14 Milliarden Euro zurückgekauft. Auch hier wurde das Argument der Gewinnverteilung aufgegriffen. Berlins damaliger Finanzsenator Matthias Kollatz sprach von einem dreistelligen Millionenbetrag, der als jährlicher Gewinn nicht mehr nach Stockholm gehe, sondern in Berlin bleibe. Doch ein halbes Jahr später kam schon die erste große Ernüchterung: Dem Land Berlin fehlten knapp 250 Millionen Euro, um die frisch gekauften Netze für die Energiewende und die Zukunft fit zu machen. dsc Den Stecker in der Wand lassen Bei allem Idealismus ist oft fehlendes Geld der Grund, warum eine Rekommunalisierung ausbleibt oder einst kommunale Infrastruktur verkauft und damit privatisiert wird. Laut Statistischem Bundesamt betrug der kollektive Schuldenstand der Gemeinden und Gemeindeverbände (ohne Stadtstaaten) zum 31. Dezember 2023 154 Milliarden Euro. Eine Rekommunalisierung ist für viele Kommunen schlicht nicht machbar. Eine Woche nachdem die Stadtwerke Oranienburg ihren Versorgungsengpass gemeldet hatten, machte die Story ihre Runde durch die deutsche Medienlandschaft. Weitere Energieversorger könnten mit ähnlichen Meldungen folgen. Damit ist Oranienburg ein Weckruf für die Netzbetreiber, ihre Kapazitäten zu prüfen. Denn damit die Energiewende gelingt, müssen Energieversorger und Netzbetreiber aller Ebenen, egal ob kommunal oder privat, an einem Strang ziehen – und an dessen Ende darf nicht der Stecker der Energiewende hängen. dsc Kommentar © Thomas Reaubourg/Unsplash.com FOKUS 25 dbb magazin | Mai 2024

RkJQdWJsaXNoZXIy Mjc4MQ==