dbb magazin 5/2023

dem Familienministerium bereits ein Konzept für Familienpflegezeit und -geld vorgelegt. Ein solcher Ausgleich stehe auch im Koalitionsvertrag. „Leider hat sich die Bundesregierung in dieser Sache noch nicht bewegt“, kritisierte Silberbach. Für viele pflegende Angehörige sei es sehr schwierig, Pflege mit Beruf und Familie zu vereinbaren: „Insbesondere Frauen laufen Gefahr, ihr Einkommen und ihren Job zu verlieren. Hier muss die Politik mit ausgleichenden Maßnahmen ansetzen.“ Die Pflege von Angehörigen erfordere viel Zeit und Energie und sei im deutschen Gesundheitssystem unerlässlich. „Wir haben in der stationären Versorgung schon lange das Versorgungslimit erreicht“, erklärte Silberbach. „Ohne pflegende Angehörige würde das System kollabieren.“ Lauterbach: Regierungsentwurf noch vor der Sommerpause Bundesgesundheitsminister Prof. Dr. Karl Lauterbach umriss die aktuelle Situation für pflegende Angehörige: „Von den rund 5,2 Millionen Pflegebedürftigen in Deutschland werden circa 4,4 Millionen zu Hause versorgt, meistens von Angehörigen – und das sind in der überwiegenden Zahl Frauen. Sie betreuen ihre Nächsten oft rund um die Uhr, häufig neben dem Beruf.“ Das verdiene deutlich mehr Respekt und gesellschaftliche Anerkennung als heute üblich, brauche aber auch mehr Unterstützung. Lauterbach erklärte, welche Formen der Unterstützung er plant: „Wir sorgen zunächst dafür, dass pflegende Angehörige die Leistungen zur Verhinderungspflege und Kurzzeitpflege als einen gemeinsamen Jahresbetrag künftig flexibel einsetzen können. Wir haben das Pflegegeld deutlich angehoben, die Leistungen für die Inanspruchnahme von ambulanten Pflegediensten wurden zum 1. Januar 2024 um fünf Prozent erhöht. Und tritt in der Familie ein plötzlicher Pflegefall auf oder benötigt akut Unterstützung, können sich Angehörige bis zu zehn Arbeitstage pro Jahr freistellen lassen.“ Das sorge für Sicherheit und mehr Zeit für die Pflege der Nächsten. „Trotzdem werden wir die Bedingungen für die Pflege weiter verbessern müssen. Dazu werden wir noch vor der Sommerpause einen Regierungsentwurf haben“, kündigte Lauterbach an. Deligöz: Einsatz für eine faire Verteilung lohnt sich für alle „Ohne Care-Arbeit könnte unsere Gesellschaft nicht funktionieren“, hob Ekin Deligöz, Parlamentarische Staatssekretärin im Bundesfamilienministerium, hervor. „Doch die ungleiche Verteilung der unbezahlten Sorgearbeit ist ein großes gleichstellungspolitisches Problem. Häufig kümmern sich Frauen um Kinder, Angehörige und den Haushalt, dafür treten sie beruflich kürzer – mit weitreichenden Folgen, wie geringeres Gehalt, weniger berufliche Chancen, eine prekäre Alterssicherung und hohe Armutsrisiken. Wir wollen es Frauen ermöglichen, ein Erwerbseinkommen zu erzielen, das heute und für das Alter ausreicht.“ Das Ministerium arbeite bereits daran, etwa mit Investitionen in Kitaqualität und Ganztagsbetreuung oder mit Maßnahmen, die die Partnerschaftlichkeit von Anfang an stärken, wie die geplante Familienstartzeit. „Wir prüfen weiterhin Verbesserungen bei der Familienpflegezeit, die es pflegenden Angehörigen – vor allem Frauen – erleichtern soll, Beruf und Pflege zu vereinbaren. Es lohnt sich für alle, sich für eine faire Verteilung von Care-Arbeit zwischen Frauen und Männern einzusetzen.“ Schoß: Finanzielle Fehlanreize beseitigen Annemarie Schoß, Referentin für Familienpolitik beim Sozialverband VdK, umriss in ihrem Impulsvortrag die sichtbaren Folgen unsichtbarer Arbeit. Ein Großteil der unsichtbaren Arbeit, einer „gesellschaftlich grundwichtigen Arbeit“, leisteten Familien zu Hause. Dabei nehme die Sorgearbeit mit rund 20 Stunden pro Woche den Umfang eines zusätzlichen Teilzeitjobs an. Der damit verbundene Gender Care Gap sei eklatant, denn Frauen leisteten rund 44 Prozent mehr „unsichtbare“ Sorgearbeit als Männer. Das sei auf kaum veränderte Geschlechterrollen in der grundsätzlichen Aufgabenverteilung zurückzuführen, und gesetzliche Regelungen wie Ehegattensplitting, die Behandlung von Minijobs und Details des Krankenversicherungssystems verstärkten die gesetzten Fehlanreize zusätzlich. Anreize für eine gerechtere Verteilung von Sorgearbeit könnten zum Beispiel in Form von Arbeitszeitflexibilisierung, einem verbesserten Pflegeangebot und einer Reform des Ehegattensplittings gesetzt werden. Zudem müsse der Mindestlohn angehoben und Lohnersatzleistungen im Zusammenhang mit Care-Arbeit verbessert werden, um späteren Versorgungslücken entgegenzuwirken. Hoff: Sorgearbeit in Tarifverträge einbeziehen Die Auswirkungen demografischer Faktoren auf die Pflegesituation verdeutlichte Dr. Andreas Hoff, Prof. für Soziale Gerontologie an der sozialwissenschaftlichen Fakultät der Hochschule Milanie Kreutz Ulrich Silberbach INTERN 31 dbb magazin | Mai 2024

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