dbb magazin 6/2024

Aber die Arbeit in zwei Schichten schlaucht auch. Kühn und seine Kolleginnen und Kollegen von der Bühnentechnik sind von 6.30 bis 15 Uhr oder von 14.45 bis 23.15 Uhr am Werk. Die Dienste verteilen sich auf alle Wochen- und grundsätzlich auch auf alle Feiertage. Nur Heiligabend ist spielfrei. An Wochenenden gibt es häufig Doppelvorstellungen. „Die Leute kommen zu uns, wenn sie frei haben und sich einen wirklich besonderen Abend machen möchten. Viele Besucher kapieren erst im Nachhinein, dass jemand in dieser Zeit für sie arbeitet.“ Das hatte Kühn schon im Vorgespräch gesagt. Weil das anfallende Pensum ja geschafft werden muss, können sich Dienste nach großen Vorstellungen oder bei besonders aufwendigen Bühnenbildern auch bis tief in die Nacht verlängern, damit am darauffolgenden Morgen ab 10 Uhr geprobt werden kann. Dies betrifft etwa 30 Prozent der Dienste, sagt Kühn. Zwar gebe es einen generellen Ausgleich, Arbeitszeitkonten, die innerhalb der Spielzeit ausgeglichen werden sollen, garantiert mindestens einen freien Tag in der Woche und alle sieben Wochen einen freien Sonn- oder Feiertag. Aber anders als vor 30 Jahren gibt es immer weniger planmäßige Wechsel zwischen den Schichten. Immer häufiger werde nach Bedarf gearbeitet, und der habe sich stark verändert. Einerseits gebe es viel mehr technische Möglichkeiten bei Beleuchtung, Bühnen- und Videotechnik, andererseits würde im Bühnenbau weniger Holz- und Stoffbespannung und mehr Stahlbau verwendet, schildert Kühn die Entwicklung. Die Ansprüche an Bühnenbilder hätten sich verändert, weil sich die Sehgewohnheiten der Zuschauer durch Kino und Videospiele verändert haben. „Oper muss auch optisch was bieten“, weiß Kühn so wie alle anderen im Haus. Zudem würde, anders als in den Achtzigerjahren, vor allem in Originaldekorationen geprobt, und die seien komplexer, technisch anspruchsvoller und physisch schwerer geworden. All das kostet mehr Zeit im Auf- und Abbau – und auch mehr Kraft. Auszubildende dringend gesucht Junge Menschen würden sich das mit der Bewerbung um eine Ausbildungsstelle an der Oper unter diesen Umständen – Schichtbetrieb, ausgreifende Arbeitszeiten und körperliche Belastung – zweimal überlegen. Es herrsche „ein krasser Arbeitskräftemangel“, der sich für Kühn auch daraus erklärt, dass sehr viele Menschen bei der Eröffnung des Hauses sehr jung eingestellt worden waren, gemeinsam altern, an Kondition verlören und peu à peu das Haus in Richtung Rente verließen. Seeger ist für die Auszubildenden verantwortlich und erlebt, wie vor allem die Arbeitszeiten immer wieder potenzielle Bewerber abschrecken. In den nächsten zehn Jahren wird es im Bereich Technik und Werkstätten der gesamten Staatstheater 107 Altersaustritte geben. Das ist fast ein Drittel der Belegschaft dort. Technische Aushilfen, mit denen die Personalengpässe vorübergehend gedeckt werden könnten, sind kaum zu finden. Rothe, der Kaufmännische Geschäftsführer, will dieser Überalterung insbesondere mit der Ausbildungsoffensive “plus25” begegnen, aber auch mit Stellen aus dem Demografiepool des Freistaates Sachsen. In den kommenden zehn Jahren würden jährlich anstatt zwei nun zehn Auszubildende je Ausbildungsjahrgang aufgenommen. Diese Azubis auch zu finden, das sei schwierig. Die Personalabteilung sucht zum Beispiel auf Ausbildungsmessen nach geeigneten Bewerbern. Der Fachkräftemangel ist im gesamten Haus zu spüren. An Operninszenierungen arbeiten mehr als 80 Fachleute aus über 20 Gewerken mit, erzählt Pressereferent Oliver Bernau beim Rundgang durch die Theaterwerkstätten. „Kostüme, Perücken, Requisiten, Dekorationen, ja selbst die Schuhe – das sind alles Spezialanfertigungen.“ Besonders dringlich ist die Situation in der Rüstkammer, einem labyrinthischen Ort, wo Metallrequisiten und Waffen aller Art hergestellt und gelagert werden. Leiter Ralf Seurich sucht nach Leuten, die erst ein Praktikum und dann eine Ausbildung zum Metallschlosser oder zum Waffenschmied machen möchten. Die Werkstatt ist ein Paradies für Bastelenthusiasten. Sorgfältig geplantes Privatleben Kühn hat gelernt, seine Arbeit – „Man ist ein Stück weit mit dem Haus verheiratet“ – mit seinem Privat- und Familienleben zu vereinbaren. „Man muss es sehr gut planen“, sagt er. Der Rest der Familie muss die unsteten Arbeitszeiten akzeptieren können, „Omas oder Opas müssen bei der Kinderbetreuung unterstützen“ und das Ganze „klappt nur, wenn die Partnerin zu normalen Zeiten arbeitet“. Dekorateur Kühn ist Mitglied des Personalrats und der Vereinigung der Rundfunk-, Film- und Fernsehschaffenden, der Mediengewerkschaft VRFF, und fordert, wie überall im Tarifgebiet Ost, die Angleichung der Arbeitszeiten an das Tarifgebiet West. Auch das könnte helfen, den Job attraktiver zu machen. „Theater ist wie ein Mikrokosmos“, sagt Oliver Bernau, nachdem er die Gäste auch durch den Theatermalsaal, die Möbel- und die Kulissenwerkstatt geführt hat. Damit jede Vorstellung „glatt durchlaufen“ kann, muss jeder „mit Begeisterung dabei sein“, unterstreicht er. Jedem im Haus, ob Kaufmännischem Geschäftsführer, Kulissenmaler oder Pförtnerin, ist diese Begeisterung anzumerken. Über einen Wechsel des Arbeitsplatzes hat auch Jens Kühn trotz der Strapazen nie ernsthaft nachgedacht. Er schätzt die Gemeinschaft, in der er arbeitet, und die Arbeit selbst. Die sei nie langweilig. „Es ist ein extrem interessanter Beruf. Bei vielen Opern arbeite ich schon an der dritten oder vierten Inszenierung mit!“ ada Nirgendwo ist Oper lebendiger: Schätzungen zufolge geht rund ein Drittel aller Opernaufführungen weltweit in Deutschland über die Bühne; die Zahl von mehr als 80 Opernhäusern ist international unübertroffen, ebenso die Zahl der Uraufführungen. Die meisten Opernaufführungen verzeichnet Berlin mit seinen drei unterschiedlich profilierten Opernhäusern. Die Region mit dem regsten Opernleben ist vielleicht die Metropolenregion Mitteldeutschland mit den Städten Dresden, Leipzig, Halle, Chemnitz und Erfurt. Im Durchschnitt kostet die Eintrittskarte für eine Opernvorstellung in Deutschland 40 Euro. Die tatsächlichen Kosten liegen aber weitaus höher – bei durchschnittlich 250 Euro, ermittelte der Spiegel im Jahr 2022. Die Differenz zwischen Ticketpreis und tatsächlichen Kosten wird aus den Kulturfördertöpfen von Bund, Ländern und Kommunen bestritten. Oper in Deutschland FOKUS 17 dbb magazin | Juni 2024

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