VORGESTELLT Museum Folkwang Eine Sammlung der Bürger Die Stadt Essen rangiert nach Jahrzehnten des Strukturwandels im Vergleich von 400 Kreisen und kreisfreien Städten in Deutschland mit einem Pro-Kopf-Jahreseinkommen von 22 167 Euro (2021) auf Platz 327. Dennoch leistet sie sich ein Kunstmuseum von europäischem Rang. Aus gutem Grund. Wer das Museum Folkwang besucht, tritt zunächst in eine lichtdurchflutete Halle und sieht – mit zeitlicher Verzögerung und verzerrt – sich selbst. Die auf einem Algorithmus basierende Videoinstallation „City of Abstracts“ von William Forsythe aus dem Jahr 2000 fesselt insbesondere Gruppen in- und ausländischer Schüler*innen und Student*innen, die sich vielleicht auf einen eher langweiligen Vormittag in einem Kunstmuseum gefasst gemacht hatten. Auch wer an der Kasse kurz auf das für die ständige Sammlung kostenlose Ticket warten muss, kann sich die Wartezeit mit der Wand verkürzen. Und wer das Treiben einige Minuten lang beobachtet, dem fällt auf, dass die allermeisten heiter gestimmt zur Garderobe weiterschlendern. Der 2010 eröffnete Erweiterungsbau empfängt die Besucher in um Innenhöfe herumgebauten Pavillons mit bodentiefen Fenstern. Fast verschwindet der Unterschied von drinnen und draußen. Der Architekt David Chipperfield hatte in seinen Entwürfen die Transparenz des Altbaus übernommen, der von den Architekten Werner Kreutzberger, Erich Hösterey und Horst Loy entworfen und im Jahr 1960 eröffnet worden war. Vor allem für die Sonderausstellungen werden die großen Säle des Neubaus genutzt; die im Kern ab 1902 vom Hagener Mäzen Karl Ernst Osthaus zusammengetragene Sammlung ist in Galerien und im hinteren, älteren Gebäudeteil gehängt. Hier sind Arbeiten von Max Beckman, Paula Modersohn-Becker, Ernst Ludwig Kirchner, Pierre-Auguste Renoir, Vincent van Gogh, Paul Gauguin, Auguste Rodin und Lionel Feininger zu finden. „Identitätsstiftend“ nennt Prof. Peter Gorschlüter das Museum Folkwang für die Stadt Essen. Seit sechs Jahren ist er der Direktor des Hauses. „Jede Person in Essen hat ‚ihre‘ Folkwang-Geschichte.“ Die Sammlung Osthaus Schon kurz nach der Gründung 1902 durch den Kunstmäzen Karl Ernst Osthaus in Hagen hatte die Sammlung eine Vorreiterrolle im Bereich der modernen Kunst inne. Osthaus sammelte nicht nur Werke des Impressionismus und des Expressionismus, sondern auch kunstgewerbliche Objekte. Hinzu kommen eine in der Nachkriegszeit aufgebaute bedeutende Fotosammlung und mit dem Deutschen Plakat Museum eine der größten Spezialsammlungen zum Thema weltweit. Folkwang bedeutet so viel wie Volkshalle. In der altnordischen Dichtung Edda ist folvangar der Palast der Göttin der Fruchtbarkeit, des Glücks, des Frühlings und der Liebe, Freya. Den Namen hatte Osthaus mit Bedacht gewählt, denn seine Idee zu einem Museum umfasst drei zentrale Leitlinien: den Dialog der Künste und Kulturen, das Museum als Ort des Austausches und der kulturellen Bildung sowie die Einheit von Kunst und Leben. Nach Osthaus’ Tod 1921 wurde seine Sammlung nach Essen verkauft, wo sich der Folkwang-Museumsverein mit dem Ziel konstituiert hatte, diese zu erwerben. Zwei Drittel der für den Sammlungsankauf nötigen 15 Millionen Mark kamen aus dem Bergbau, erzählt der Museumsdirektor. Größter Einzelspender war das © Giorgio Pastore 18 FOKUS dbb magazin | Juni 2024
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