dbb magazin 6/2024

Kilian Hampel, Organisationsforscher an der Universität Konstanz Die Politik muss bei den jungen Menschen sein Die Jugend blickt pessimistisch in die Zukunft, davon profitiert offenbar die AfD: Das sind Ergebnisse der aktuellen Trendstudie „Jugend in Deutschland“. Co-Autor Kilian Hampel erläutert die Ursachen. Was ist Ihre Erklärung für den Pessimismus der Jugend? In der Tat haben wir im Autorenteam erwartet, ähnlich wie andere Forschende, dass die psychische Belastung nach der Pandemie zurückgeht. Dass sie nun gestiegen ist, hat vielschichtige Ursachen. Offenbar wirken die Folgen der Pandemie noch länger nach. Junge Menschen fühlen sich mit ihren Sorgen nicht gehört und kommen nicht aus dem Dauerkrisenmodus heraus. Sie haben wirtschaftliche Sorgen, erleben eine Phase der politischen Unsicherheit und die schlechte gesellschaftliche Stimmung drückt aufs Gemüt. Da fällt es schwer, Optimismus zu bewahren. Ein Studienergebnis ist, dass die AfD von allen im Bundestag vertretenen Parteien mit 22 Prozent am meisten Zustimmung erhält. Wie ist das zu erklären? Zunächst ist mir wichtig: Nicht 22 Prozent aller junger Menschen würden die AfD wählen! Sondern lediglich 22 Prozent von denen, die auch tatsächlich ihre Stimme für eine Partei abgeben. Das wird in der Debatte gerne durcheinandergebracht. Die Teilnehmenden der Studie konnten außer Parteipräferenzen auch „Ich würde gar nicht wählen“ oder „Ich weiß es nicht“ ankreuzen – diese beiden Gruppen haben wir wie bei der klassischen Sonntagsfrage üblich herausgerechnet. So ergeben sich die 22 Prozent. Blieben diese Gruppen Teil der Berechnung, käme die AfD auf 14,5 Prozent. Unabhängig davon ist unstrittig, dass im Vergleich zu den Vorjahren unserer Erhebung ein gewisser Rechtsruck stattgefunden hat und die AfD aktuell am stärksten abschneidet, gefolgt von der CDU/ CSU. Zum einen hängt das aus meiner Sicht damit zusammen, dass die AfD Menschen anspricht, die pessimistisch und sorgenvoll in die Zukunft blicken. Das trifft derzeit eben auf die junge Generation zu. Und zum anderen ist es – ganz nüchtern betrachtet – in einer Demokratie so, dass die Opposition Zulauf bekommt, wenn die Menschen mit der aktuellen Regierung unzufrieden sind. Im Gegensatz zu den anderen Parteien ist die AfD schon lange auf TikTok präsent. Welche Rolle spielt das? Es ist nicht so, dass die Präsenz auf TikTok der alleinige Grund für den Erfolg der AfD bei der jungen Generation ist. Aber sie erreicht dort derzeit mehr Menschen als alle anderen Parteien zusammen. Zwischen AfD-Sympathisanten und TikTok-Nutzern gibt es eine Überschneidung. Seit Mitte April ist die grüne Bundestagsfraktion auf der Plattform präsent, inzwischen auch der Bundeskanzler. Zu spät? Ich würde sagen: besser spät als nie! Wirtschaftsminister Robert Habeck wurde neulich auf der Bundespressekonferenz gefragt, warum er jetzt auf TikTok sei. Er verwies auf unsere Studie. Klar, man muss sich überlegen, ob man diesen Schritt gehen will. Es handelt sich um ein chinesisches Unternehmen, die Datensicherheit ist ein kritischer Punkt. Aber unterm Strich ist es doch so: Die Politik muss da sein, wo die jungen Menschen sind, wenn sie diese jungen Menschen erreichen will. Was wir aktuell auf der Plattform erleben, ist eine Informationsasymmetrie. Wenn nur die AfD dort ihre Botschaften streut, ist das absolut nicht im Sinne unserer Demokratie. Die Forschung diskutiert, ob und inwieweit der Konsum von sozialen Medien der Gesundheit schadet. Ja, das haben wir uns auch gefragt. Aus unserer Studie geht hervor, dass junge Menschen, die psychisch stärker belastet sind, das Smartphone mehr nutzen. Wer hingegen kerngesund ist, nutzt das Smartphone tatsächlich weniger. Allerdings sollte man die sozialen Medien nicht grundsätzlich verteufeln, denn so eindeutig ist es nicht. Wer krank zu Hause auf dem Sofa liegt, nutzt die sozialen Medien logischerweise mehr. Und während der Pandemie waren sie für junge Menschen das rettende Ufer, um sich mit anderen auszutauschen. Ohne Instagram und Co. wären sie deutlich einsamer gewesen – und damit die psychischen Folgen womöglich noch größer. Im Hinblick auf den Umgang mit sozialen Medien brauchen wir mehr Medienkompetenz, das gilt im Übrigen auch für die Erwachsenen. Und insgesamt muss die Politik verstärkt den Dialog mit jungen Menschen suchen. Wir haben den Titel der aktuellen Studie bewusst gewählt: „Verantwortung für die Zukunft? Ja, aber …“ Ganz entscheidend ist die Erkenntnis, dass junge Menschen Verantwortung übernehmen wollen. Sie sind bereit, sich einzubringen und zu gestalten. Aber sie wollen eben auch sehen, dass ihre Anliegen ernst genommen werden. Selbstwirksamkeit erleben und spüren, dass sie wirklich etwas verändern können. Daran hapert es aktuell. _ © Marco Urban Kilian Hampel NACHGEFRAGT 24 FOKUS dbb magazin | Juni 2024

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