dbb magazin 6/2024

versorgung zu „investieren“. Schlussendlich ist die finanzielle Belastbarkeit der meisten Privathaushalte angesichts der aktuellen Steuer- und Abgabenlast längst ausgereizt, sodass eine Erhöhung der kommunalen Entgelte im Kulturbereich Nutzerinnen und Nutzern schaden und damit zu einer Verringerung der kulturellen Teilhabe führen würde. Spielstätten, Bibliotheken und Museen sind von 2022 bis 2023 bundesweit vom heftigen Preisanstieg der Energiekosten „kalt erwischt“ worden. Wie kann die Schieflage in den Haushaltsplänen wieder glatt gezogen werden? Der Kulturfonds Energie des Bundes, der sich an öffentliche und private Kultureinrichtungen richtete und wo Unterstützungsmittel beantragt werden konnten, war eine wichtige Maßnahme. Die Coronakrise hatte verheerende Auswirkungen auf die Besucherzahlen in fast allen Kulturbereichen. Hat sich die Branche mittlerweile davon erholt? Ja – in fast allen Sparten haben sich die Besucherzahlen wieder erholt und liegen teilweise über der Zeit vor Corona. Darüber hinaus ist als Tendenz im Besucherverhalten zu beobachten, dass die Zahl der Spontanbesucher gestiegen ist, das heißt weniger im Voraus gebucht wird. Wie haben sich die Beschäftigungsbedingungen im öffentlich-rechtlichen Kulturbetrieb seit der Coronapandemie entwickelt? Die Angestellten und Beamten im öffentlichen beziehungsweise öffentlich geförderten Kulturbetrieb haben die Folgewirkungen der Coronapandemie mit dem Instrument der Kurzarbeit relativ gut überstehen können. Auch für die weiteren Beschäftigungsverhältnisse bis hin zu den Soloselbstständigen gab es umfängliche Hilfsprogramme des Bundes und der Länder. Nach dem Auslaufen der Hilfen gibt es allerdings insbesondere für die Soloselbstständigen und freien Ensembles noch keine Konzepte, die eine unterstützende Begleitung in den Normalbetrieb ermöglichen würden. Damit stellt sich leider derzeit für viele Kulturakteure – auch in der Veranstaltungswirtschaft – die Frage nach den Zukunftsperspektiven im kreativen Bereich und nicht zuletzt die Frage nach der Existenzsicherung. Inwiefern ist der Kulturbereich vom demografischen Wandel betroffen und wie sieht die Nachwuchssituation aus? Der demografische Wandel betrifft natürlich, wie in allen gesellschaftlichen Bereichen, auch den Kulturbereich. Der Fachkräftemangel ist nicht erst seit Corona in einigen Sparten ein brennendes Problem. So ist beispielsweise der überproportional hohe Ausfall in den künstlerischen Schulfächern auf einen seit vielen Jahren anwachsenden Fachkräftemangel zurückzuführen. Leider hat die Kultusministerkonferenz jahrelang nicht gegengesteuert. Weiterhin gibt es derzeit einen Mangel an technischem, technisch-künstlerischem sowie Verwaltungspersonal. So attraktiv und sinnstiftend das Engagement in den kreativen Berufsfeldern ist, so sehr bedarf es verlässlicher und nachhaltig angelegter Rahmenbedingungen. Mit der Digitalisierung verändern sich Rahmenbedingungen und Spielregeln für die deutsche und internationale Medienpolitik. Hält der deutsche öffentlich-rechtliche Rundfunk mit diesen Veränderungen Schritt oder sind Reformen nötig? Das Veränderungstempo beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk hat gerade in diesem Jahr an Tempo zugelegt. Ich hoffe sehr, dass bei diesem Umbau möglichst viele Menschen mitgenommen und vor allen Dingen die Menschen, die derzeit nicht mehr erreicht werden, wieder zurückgewonnen werden können. Je stärker der gemeinwohlorientierte Markenkern des öffentlich-rechtlichen Rundfunks mit einer unabhängigen Berichterstattung und seinem Kulturauftrag vor Ort erfahrbar wird, desto mehr kann die gesellschaftliche Akzeptanz gesteigert werden. Die Verantwortung der Länder für einen bedarfsgerecht ausgestatteten öffentlich-rechtlichen Rundfunk ist dabei sowohl in den Landesregierungen wie in den Landesparlamenten nicht immer erkennbar. Wenn beispielsweise der bayerische Ministerpräsident Markus Söder eine Halbierung der Anzahl der Rundfunkklangkörper vorschlägt, dann sägt er damit an der Existenz des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Es muss nicht gleich von „Leitkultur“ die Rede sein, um zu erkennen, dass ein breit aufgestelltes kulturelles Angebot eine Klammer für den gesellschaftlichen Zusammenhalt ist. Wie erreicht der Kulturbetrieb bildungsfernere Bevölkerungsgruppen? Kultur bestimmt unser Zusammenleben. Die UNESCO-Konvention zum Schutz und zur Förderung der Vielfalt kultureller Ausdrucksformen und das Grundgesetz sind zentrale Berufungs- und Handlungsgrundlagen für den Deutschen Kulturrat. Die Bildungs- und Kultureinrichtungen im formalen, nonformalen und informellen Bereich sind Orte der Begegnung, der Wahrnehmung des anderen, des Dialogs und der Selbstvergewisserung. Die Institutionen wie die freie Szene erreichen immer mehr Menschen durch veränderte Veranstaltungs- und Kommunikationskonzepte sowie eine aufsuchende Bildungs- und Kulturarbeit. Die im Kreativbereich tätigen Menschen sind damit wertvolle Seismografen gesellschaftlicher Entwicklungen, deren Erkenntnisse und Erfahrungen unsere Gesellschaft noch stärker nutzen sollte. Über allem stehen die in unserem Grundgesetz verankerte Kunstfreiheit und die gesellschaftliche Übereinkunft, dass die Kunst um der Kunst willen zu fördern sei. _ … ist Präsident des Deutschen Kulturrates und des Deutschen Tonkünstlerverbandes. Seit 1986 unterrichtet er Violoncello an der Universität der Künste Berlin. Musik- und kulturpolitisch engagiert sich Höppner unter anderem als Vorsitzender des Programmausschusses und Haushaltsberichterstatter des Rundfunkrates der Deutschen Welle, Kuratoriumsvorsitzender der Carl Bechstein Stiftung, Mitglied des Stiftungsrates der Fondation Hindemith und Festivalbotschafter des Kammermusikfestes Oberlausitz. Prof. Christian Höppner ... „Der demografische Wandel betrifft natürlich auch den Kulturbereich.“ AKTUELL 9 dbb magazin | Juni 2024

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