Im „Eisenwalzwerk“, hier ein Gemälde von Adolph Menzel um 1870, arbeiteten die Beschäftigten 70 Stunden pro Woche und mehr. Erst ab 1918 sorgte die Gewerkschaftsbewegung für Verbesserungen. Moderne Arbeitszeitmodelle Wird Deutschland faul? Angesichts von Personalknappheit und Wirtschaftskrise wird über das Thema Arbeitszeit seit Monaten so heftig gestritten wie seit Langem nicht mehr. Worum dreht sich die gesellschaftliche Debatte, welche Arbeitszeitmodelle gibt es derzeit – und wohin könnte die Entwicklung gehen? Zeit, und zwar solche zur freien Verfügung, ist „Reichtum an sich“ – so formulierte es Karl Marx Mitte des 19. Jahrhunderts. Zu der Zeit hatte die Industriearbeiterschaft – Männer, Frauen und Kinder – diesen Reichtum im Zuge der industriellen Revolution eingebüßt. Ohne jegliche Form der Regulierung waren entgrenzte Arbeitszeiten die Norm, Arbeitstage von 14 bis 16 Stunden an sechs Tagen die Woche keine Ausnahme. Gut 50 Jahre sollte es dauern, bis 1918 den Forderungen der deutschen Gewerkschaftsbewegung nach Einführung des Acht-Stunden-Tages an sechs Tagen die Woche entsprochen wurde – obgleich in den folgenden Jahrzehnten vielfach ignoriert. Die Fünf-Tage-Woche folgte in Ost und West flächendeckend in den späten 1960er-Jahren; auch die Wochenarbeitszeit reduzierte sich schrittweise auf durchschnittlich 40 Stunden. Im Arbeitszeitgesetz heißt es seit 1994, dass die wöchentliche Arbeitszeit 48 Stunden im Durchschnitt von zwölf Kalendermonaten nicht überschreiten darf. Da war als nächstes Ziel längst die 35-Stunden-Woche ausgerufen. Der (im Westen) in den späten 1970er-Jahren einsetzende Kampf stand unter dem Eindruck von Massenentlassungen. Neben einer Humanisierung der Arbeitswelt angesichts hoher Unfallquoten, auch mit tödlichem Ausgang („Schichtarbeit ist Mord“), verbanden die Gewerkschaften mit der Forderung nach Arbeitszeitverkürzung die Hoffnung auf beschäftigungspolitische Effekte: mehr Menschen in Arbeit zu halten. Seitdem wird um das Modell gerungen. Mittlerweile haben sich allerdings die Akzente verschoben. Nun geht es nicht darum, Massenarbeitslosigkeit zu verhindern, sondern dem Fachkräftemangel zu begegnen – durch attraktive Arbeitszeitmodelle. Die Debatte darum, ob eine Verkürzung der Wochenarbeitszeit, gar eine Vier-Tage-Woche, dafür das probate Mittel ist, wird hart geführt. Wie viel Arbeit ist genug? Deutschland gehen durch das Ausscheiden der Boomer-Generation die Facharbeitskräfte aus, und die, die es gibt, wollen immer weniger Stunden arbeiten. Die deutsche Wirtschaft verliere so ihre Konkurrenzfähigkeit auf dem Weltmarkt, was in Zeiten verschärften Wettbewerbs mit China und anderen fatal sei. Es sei an der Zeit, wieder „die Ärmel hochzukrempeln“ – so oder ähnlich lautet der Tenor von Beiträgen aus Wirtschaft und Politik, die seit Monaten die öffentliche Diskussion zum Thema WirtschaftsWie wir flexibel arbeiten und konkurrenzfähig bleiben Gemälde: Adolph Menzel 16 FOKUS dbb magazin | Juli/August 2024
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