dbb magazin 9/2024

gemacht, sich bis zu sechs Monate vollständig oder teilweise von der Arbeit freistellen zu lassen. 73 Prozent der Befragten ist das Angebot aber bekannt. Das Anrecht, in einer akuten Pflegesituation bis zu zehn Tage bei Bezug von Lohnersatzleistungen der Arbeit fernzubleiben, haben mit 13 Prozent etwas mehr Personen in Anspruch genommen, hier kennt allerdings nur etwa die Hälfte (55 Prozent) der befragten erwerbstätigen Hauptpflegepersonen ihren Leistungsanspruch. Steigende Kosten Neben dem zeitlichen Aufwand entstehen bei der häuslichen Pflege auch Kosten. In der Befragung von 2023 gaben weniger als die Hälfte (45 Prozent) der Teilnehmenden an, es seien Kosten für Leistungen wie den Pflegedienst oder die Tagespflege entstanden, die nicht von der Pflegekasse übernommen oder erstattet wurden. 2019 war dieser Anteil mit 39 Prozent etwas geringer. Die mittlere Höhe der Zuzahlungen ist zwischen 2019 und 2023 gestiegen: 2019 lag der Eigenanteil noch bei rund 200 Euro, 2023 belief er sich auf 290 Euro. Am meisten ausgegeben wurde 2023 im Schnitt für Pflegedienste (325 Euro pro Monat) und Tagespflege (299 Euro), am wenigsten für Kurzzeit- und Verhinderungspflege (103 Euro beziehungsweise 87 Euro). Die Varianz der finanziellen Belastungen ist jedoch erheblich. Die Befragung zeigt unter anderem, dass Haushalte, in denen Menschen mit Demenz oder einem höheren Pflegegrad leben, überproportional hinzuzahlen. Ein höheres Haushaltseinkommen geht hingegen nicht mit dem Hinzukaufen von mehr Dienstleistungen einher. Schwinger: „Insgesamt zeigt sich trotz des etwas gestiegenen Anteils derer, die Zuzahlungen leisten müssen, und trotz leicht gestiegener Kosten für die Zuzahlungen im Vergleich zu 2019 in der häuslichen Pflege eine deutlich geringere finanzielle Belastung als in der vollstationären Pflege. Hier lagen die nach Wohndauer gestaffelten Zuschläge 2023 im Mittel bei 874 Euro.“ Die Mehrheit der Pflegebedürftigen nutzt jedoch weiterhin die vorhandenen Unterstützungsleistungen nur wenig. So gaben 32 Prozent der Befragten an, den Pflegedienst genutzt zu haben, 34 Prozent die Verhinderungspflege und jeweils acht Prozent die Tages- und Kurzzeitpflege. Allein der Entlastungsbetrag für niedrigschwellige Angebote wird von jedem Zweiten genutzt (49 Prozent). Antje Schwinger zu den Ursachen: „Hauptgrund für die Nichtinanspruchnahme von Unterstützungsleistungen durch pflegende Angehörige ist laut Umfrage, dass die zu pflegende Person nicht von Fremden versorgt werden möchte. Fehlende Angebote vor Ort werden dagegen nur von einer Minderheit als Ursache genannt und auch Kostengründe spielen lediglich für rund jeden Fünften eine Rolle.“ Mehr Unterstützung gewünscht Gleichzeitig wünschten sich diejenigen, die die Angebote nutzen, mehr davon: Mehr Hilfe bei der „Körperpflege, Ernährung und Mobilität“ wünschten sich 2023 62,5 Prozent, 2019 waren es noch 49 Prozent. 2023 wünschten sich 59 Prozent „Hilfe bei der Führung des Haushalts“, 2019 sagten dies nur 50 Prozent. Insgesamt wünschten sich besonders die nach HPS-Skala als hoch belastet eingestuften Pflegehaushalte mehr Entlastung (91 Prozent gaben dies an); dies betrifft auch solche, in denen Angehörige mit Demenz (69 Prozent) oder einem Pflegegrad größer als zwei (68 Prozent) versorgt werden. Schwinger: „Die Situation in der ambulanten Pflege ist weiterhin nicht zufriedenstellend – allerdings nicht insgesamt, sondern in Bezug auf Haushalte mit spezifischen Bedarfskonstellationen. Fragen nach Bedarfsgerechtigkeit, Zielgenauigkeit und Entlastungswirkungen von ambulanten Pflegeleistungen müssen auf der Reformagenda priorisiert werden.“ Die AOK-Vorstandsvorsitzende Dr. Carola Reimann möchte die Barrieren, die dazu führen, dass Unterstützungsleistungen nicht abgerufen werden, abbauen. „Trotz Ausweitung gezielter vom Gesetzgeber geschaffener Möglichkeiten zur Entlastung von pflegenden Angehörigen gehen Angebot und Nachfrage weit auseinander. Der WIdOmonitor zeigt beispielsweise, dass nur drei Prozent von der Option Gebrauch gemacht haben, sich bis zu sechs Monate vollständig oder teilweise von der Arbeit freistellen zu lassen, obwohl die Mehrheit der Befragten ihren Anspruch kennt. Wir müssen besser verstehen, welche Hürden zur Inanspruchnahme weiterhin bestehen oder ob das Angebot die tatsächlichen Bedürfnisse der Angehörigen nicht adäquat abholt.“ Überdies öffne es der Altersarmut in der nächsten Generation der zu Pflegenden Tür und Tor, wenn pflegende Angehörige, die überwiegend Frauen sind, ihre Arbeitszeit reduzieren oder ganz aufhören zu arbeiten. Gleichzeitig fehlten diese Menschen heute auf dem ohnehin schon engen Arbeitsmarkt, unter anderem auch in der beruflichen Pflege. „Was wir brauchen, sind neue Angebote für eine wirklich funktionierende Work-Life- Care-Balance. Denkbar sind hier die Einführung von Hauspflegegemeinschaften, der Ausbau von Nachbarschaftshilfe und bürgerlichem Engagement sowie die Schaffung besserer Beratungsangebote, damit die Haushalte, die sich mehr Entlastung wünschen, diese auch schnell, zielgerichtet und ohne bürokratische Hürden bekommen.“ _ Viele Senioren wünschen sich Pflege zu Hause statt im Pflegeheim. © Sandra Seitamaa/Unsplash.com FOKUS 17 dbb magazin | September 2024

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