dbb magazin 9/2024

Rückblickend sagt der Familienvater, dass er in der schwierigen Zeit einfach nur funktioniert hat. Schlafen, frühstücken, ins Krankenhaus fahren, nach seiner Frau schauen, Luise auf den Bauch legen, um die Bindung aufzubauen, nach Ende der Besucherzeit wieder nach Hause fahren. Und mit der Sorge einschlafen, dass nachts das Telefon klingelt und das Krankenhaus eine Hiobsbotschaft überbringt. So haben die Tage ausgesehen, bevor er auf dem Klinikgelände eingezogen ist. „Ich habe meine Tochter gar nicht richtig wahrgenommen, weil es mir so schlecht ging“, erzählt Verena Schrader. Erst als sich ihr Zustand bessert, kann sie mit dem Rollstuhl an den Brutkasten heranfahren und Luises Füße berühren. „Mehr ging nicht.“ Drei häufige Gründe für den Aufenthalt Eltern von Frühchen sind eine von drei großen Gruppen, die oft im Ronald McDonald Haus unterkommen. Wenn Babys bereits nach der 24 Schwangerschaftswoche geboren werden, wiegen sie in der Regel ungefähr ein halbes Kilogramm – das kleinste Frühchen, dessen Eltern auf dem Klinikgelände gewohnt haben, brachte lediglich 380 Gramm auf die Waage. Der Junge hat es geschafft, heute ist er vier Jahre alt. Die zweite große Gruppe sind Familien mit krebskranken Kindern. Viele dürfen zwischen den Chemotherapiezyklen nach Hause, müssen aber in die Klinik zurückkehren. Man kennt sich irgendwann, teils entsteht zwischen den Familien und den Mitarbeitenden des Hauses eine enge Bindung. Und die dritte große Gruppe sind Thoraxpatienten, bei denen zwischen Brustbein und Wirbelsäule nur noch wenige Zentimeter liegen, weil das Brustbein sich nach innen gezogen hat – zu wenig Platz für die Organe. Unter der sogenannten Trichterbrust leiden meistens Jungs in der Pubertät. Die Chirurgen der Klinik in Buch setzen minimalinvasiv Bügel ein, die das Brustbein wieder auf Position bringen. Die Patienten kommen aus ganz Deutschland. „Wahrscheinlich würden es die Betroffenen nie zugeben. Aber auch ein 16-Jähriger ist froh, wenn er nach solchem Eingriff Mama und Papa in der Nähe hat“, sagt Julia Böhmer mit einem Augenzwinkern. Sie ist seit 2021 Leiterin des Hauses in Buch. Die Leidenschaft für den Job ist der 42-Jährigen anzumerken, bei ihr stimmen Beruf und Berufung überein. „Wenn man einmal hier war, geht man anders wieder raus“, sagt sie. „Die Tätigkeit ist extrem sinnstiftend.“ Zuvor hat die gebürtige Mönchengladbacherin in einem ganz anderen Bereich gearbeitet, als Managerin eines Orchesters. Aber damals ging es ebenfalls um Fundraising, Veranstaltungsmanagement, Öffentlichkeitsarbeit, die Führung von Ehrenamtlichen. „Ich musste lachen, als ich die Stellenausschreibung sah, weil es so gut passte, obwohl ich einen ganz anderen Hintergrund habe.“ Was ihr wichtig ist: Die Ronald McDonald Häuser sind keine Hotels, alle Familien putzen, waschen und kochen selbst. Und die Appartements lassen sich nicht klassisch buchen. Die Klinik fragt bei Bedarf an, Böhmer und ihr Team prüfen, ob etwas frei ist. Jährlich bringen sie etwa 270 Familien von erkrankten Kindern unter. „Wenn wir nicht sofort Platz haben, dauert es in der Regel nur ein paar Tage. Es gab bisher nur ganz wenige Fälle, wo wir leider passen mussten.“ Hubschrauber lassen Kinderaugen leuchten Natürliches Licht scheint durch die großen Fenster in den Holzbau, genau die richtige Dosis: nicht zu viel, dass es unangenehm warm wird oder blendet. Dafür sorgen unter anderem die Eichen, die in dem großzügig angelegten Garten mit dem Spielplatz in den Himmel ragen und Schatten spenden. Vom Foyer mit der meterhohen Decke, in dem problemlos Weihnachtsbäume stehen können, führen zwei Treppen zu den Appartements, die sich links und rechts in den Seitenflügeln befinden. Es gibt Sofaecken, Fitnessgeräte, ein Bücherregal – die Literatur sponsert ein BuchJulia Böhmer leitet das Ronald McDonald Haus Berlin. Das Haus bietet viel Raum für Ruhe. In den Appartements erwartet neue Gäste ein netter Willkommensgruß. © Jan Brenner (9) 20 FOKUS dbb magazin | September 2024

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