dbb magazin 9/2024

JOB-PORTRAIT Der Lokführer Mit launigen Durchsagen durch Berlin und Brandenburg Alltag auf der Schiene – vielen Menschen ist gar nicht bewusst, was der Beruf des Lokführers alles beinhaltet. Lokführer Claudio Albrecht weiß es und gibt Einblicke in seine Schicht. Zugführer“, wie manche Leute sagen, sei er nicht, die gibt es bei der Polizei und Feuerwehr. „Ich bin Lokführer!“, erklärt Claudio Albrecht. Überhaupt kursiert eine Reihe von weiteren Vorurteilen, die niemand in der Branche gerne hört: „Wir sind keine Knöpfe-Drücker und keine Aus-demFenster-Gucker. Immerhin transportieren wir täglich Tausende Fahrgäste und müssen innerhalb von Sekunden, wenn nicht sogar Millisekunden entscheiden, wie wir mit ungeplanten Situationen umgehen.“ Mit dem Job gehe eine immense Verantwortung einher. Den Job macht Albrecht inzwischen seit 2014. Aktuell steuert er Züge des Regionalverkehrs und ist meistens auf Strecken im Großraum Berlin-Brandenburg unterwegs, unter anderem zwischen Oranienburg und Potsdam. „Im Prinzip gab es bei mir nach der Schule drei Berufe, die mich interessiert haben“, erzählt der 29-Jährige. „Erzieher, Busfahrer und eben Lokführer. Aber Lokführer war eigentlich immer mein Kindheitstraum.“ Deshalb habe er sich letztlich bei der Bahn beworben – und das mit Erfolg. Der Tag startet in Henningsdorf Wenn Albrecht der Erste ist, der morgens mit einem Zug startet, beginnt sein Arbeitstag am Bahnhof in Henningsdorf bei Berlin. Bevor es losgeht, finden diverse technische Prüfungen statt: Bremsen, Sicherheitseinrichtungen, Türen. Ist alles in Ordnung, startet die Zugfahrt. Manchmal sind zu Reinigungs- und Wartungszwecken auch Leerfahrten zwischen Henningsdorf und Lichtenberg erforderlich. „Lokführer arbeiten im unregelmäßigen Schichtdienst“, erklärt Albrecht. Entsprechend sind die Arbeitszeiten sehr unterschiedlich, sie richten sich unter anderem nach dem Fahrplan. Wenn sein Arbeitstag nachmittags beginnt, übernimmt er den Zug direkt am Gleis von einem Kollegen oder einer Kollegin. Zwischen den Schichten gibt es eine definierte Ruhezeit. Freizuhaben, wenn andere arbeiten, kann ein Vorteil sein; so lassen sich Stoßzeiten meiden, im Supermarkt und im Straßenverkehr. Sonne, Regen, Schnee, Nebel: Der Blick auf die Schienen ist täg- lich anders. Und abhängig von den Wetterverhältnissen ist auch jeder Bahnhof anders. Beispiel: Im Herbst liegen oft Blätter auf den Schienenköpfen – das hat Auswirkungen auf den Bremsweg. „Es ist schon faszinierend, wenn man gelernt hat, für so ein tonnenschweres Gefährt ein Gefühl zu entwickeln, und bei unterschiedlichen Bedingungen punktgenau bremsen kann“, sagt Albrecht. Technisches Interesse und Verständnis sei von großer Bedeutung. „Wer große Massen bewegt, muss verstehen, was genau passiert.“ Gefahren aus dem Nichts Außerhalb der Bahnhöfe rauscht die Natur am Führerstand vorbei. Doch selbst in landwirtschaftlicher Idylle können von einem Moment auf den nächsten Gefahrensituationen entstehen, sei es durch Vegetation, Tiere oder Gegenstände. „Neulich lag ein Fahrrad im Gleisbett“, erzählt der Lokführer. Wird es unter dem Triebzug mitgeschleift, entsteht schlimmstenfalls großer Schaden an der Technik, denn bei einer Geschwindigkeit von bis zu 160 Kilometern pro Stunde wirken enorme Kräfte. Auch Personen im Gleis kommen vor. Etwa Jugendliche, die Mutproben machen. Albrecht hat bisher keinen Personenunfall erlebt, sich aber in Ausbildung und im Gespräch mit Betroffenen mit dem Szenario beschäftigt. „Manche stecken so etwas gut weg, andere fallen länger aus, das ist von Person zu Person unterschiedlich.“ Statistisch erleben nahezu alle Lokführer in ihrem Berufsleben mindestens einen Schienensuizid. „Nach einem Vorfall ist eine psychologische Betreuung auf hohem Niveau gewährleistet.“ Wenn Fahrgäste zur Anekdote werden Im Regionalverkehr hat Albrecht viel Kontakt mit den Fahrgästen. An den Bahnsteigen ist er für die Zugbeobachtung zuständig und steht entsprechend oft am Fenster des Triebwagens. Durchsagen © Jens Ruessmann Claudio Albrecht 26 INTERN dbb magazin | September 2024

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