dbb magazin 9/2024

MITBESTIMMUNG Betriebsverfassungsrecht Der tarifliche Regelungsvorbehalt im BetrVG Nach § 77 Abs. 3 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) können Arbeitsentgelte und sonstige Arbeitsbedingungen, die durch Tarifvertrag geregelt sind oder üblicherweise geregelt werden, nicht Gegenstand einer Betriebsvereinbarung sein. Arbeitsbedingungen sind dann durch Tarifvertrag geregelt, wenn über sie ein Tarifvertrag abgeschlossen worden ist und der Betrieb in den räumlichen, betrieblichen, fachlichen und persönlichen Geltungsbereich des Tarifvertrags fällt (Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 22. März 2005, Az.: 1 ABR 64/03). Ein Verstoß gegen § 77 Abs. 3 BetrVG liegt nur dann nicht vor, wenn ein Tarifvertrag den Abschluss ergänzender Betriebsvereinbarungen ausdrücklich zulässt. Umgangssprachlich ist hier die Rede von Öffnungsklauseln. Betriebsräte meinen es gut und wollen die tariflich geregelten Arbeitsbedingungen mit Betriebsvereinbarungen weiter verbessern. Der allgemein-abstrakte Inhalt tariflicher Regelungen, der zumeist viele Betriebe erfasst, lässt womöglich für Arbeitnehmende bessere Regelungen, die sich aus der konkreten Situation in einem Betrieb ergeben können, ungeregelt. Regelungsmöglichkeiten in Betriebsvereinbarungen Diese „Lücke“ möchten Betriebsräte gerne ausfüllen. So entstehen Regelungen in Betriebsvereinbarungen, die oft wie folgt aufgebaut sind: „Es gilt § xx Abs. yy Tarifvertrag für die … GmbH. Darüber hinaus haben Arbeitnehmer Anspruch auf …“ Ist solch eine Regelung wirksam? Die Beantwortung der Frage ist nur mit Blick auf den Sinn und Zweck des § 77 Abs. 3 BetrVG und dessen systematische Integration in weitere Regelungen zu beantworten. Für die Sperrung einer Betriebsvereinbarung nach § 77 Abs. 3 BetrVG genügt es schon, dass ein den gleichen Gegenstand regelnder Tarifvertrag zwar bei Abschluss der Betriebsvereinbarung nicht (mehr) besteht, die betreffende Angelegenheit aber „üblicherweise“ tariflich geregelt wird. Ob dies der Fall ist, beurteilt sich anhand der einschlägigen Tarifpraxis. Die Frage ist etwa zu bejahen, wenn Verhandlungen über einen den Regelungsgegenstand betreffenden Tarifvertrag geführt werden. Bloße zeitliche Geltungslücken zwischen einem abgelaufenen und einem zu erwartenden Tarifvertrag heben die Sperrwirkung deshalb nicht auf. Betriebsvereinbarungen über den betreffenden Gegenstand sind nicht nur dann unwirksam, wenn bei ihrem Zustandekommen entsprechende Tarifverträge (üblicherweise) bereits bestanden. Die Regelungssperre des § 77 Abs. 3 BetrVG wirkt auch dann, wenn entsprechende Tarifbestimmungen erst später in Kraft treten (Bundesarbeitsgericht, 21. Januar 2003, Az.: 1 ABR 9/02) oder sich die Tarifverträge beim Abschluss einer Betriebsvereinbarung in der Nachwirkung befinden. Nehmen die Tarifvertragsparteien neue Regelungen auf, können diese eine schon länger bestehende Betriebsvereinbarung unwirksam machen. Da die „Tarifüblichkeit“ in diesen Fällen zuweilen nicht klar zu ermitteln ist, sollte vor dem Abschluss einer Betriebsvereinbarung, die womöglich gegen den tariflichen Regelungsvorbehalt verstößt, der neu abgeschlossene Tarifvertrag abgewartet werden. Wenn dieser die bisherige Kollisionsregelung nicht mehr enthält, kann davon ausgegangen werden, dass die Tarifvertragsparteien keinen Gebrauch mehr von ihrer Regelungsbefugnis machen wollen. Die Betriebsvereinbarung kann dann wirksam abgeschlossen werden. Zudem sollten Betriebsräte nach einem umfangreichen © Getty Images/Unsplash.com 28 INTERN dbb magazin | September 2024

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