dbb magazin 9/2024

Die gesetzliche Krankenversicherung wird teurer. Eine aktuelle DAK-Studie geht von einem Beitragssprung von 16,3 auf 19,3 Prozent bis 2034 aus. Insgesamt könnten die Sozialbeiträge um bis zu 7,5 Prozent steigen. Die DAK fordert deshalb einen „Stabilitätspakt“ für die gesetzliche Krankenversicherung. Wäre das eine Lösung oder nur eine Umverteilung der Kosten? Das kommt darauf an, was mit dem Wort Stabilitätspakt gemeint ist. Die Kostensteigerung der Beiträge ist eine enorme Herausforderung, und die Bundesregierung ist hier gefordert, Anforderungen an unser Gesundheitssystem und die Finanzierbarkeit miteinander in Einklang zu bringen. Aber wir erleben stattdessen den aus meiner Sicht ungerechtfertigten Versuch, alte und neue Belastungen ausschließlich durch Beitragszahlende finanzieren zu lassen. Der mit der Krankenhausreform des Bundes einhergehende Transformationsfonds ist ein Beispiel für eine neue Belastung. In den gemeinsam mit den Ländern verabschiedeten Eckpunkten sollte der Transformationsfonds noch von Bund und Ländern getragen werden. Davon hat sich die Bundesregierung in ihrem Gesetzesentwurf verabschiedet und sieht stattdessen die Finanzierung durch Länder und Beitragszahlende vor. Das geht aus Ländersicht so nicht, und das haben wir in unserer Stellungnahme deutlich gemacht. Ein Beispiel für eine alte Belastung ist, dass alle Beitragszahlerinnen und Beitragszahler weiterhin versicherungsfremde Leistungen, wie die Leistungen für Bürgergeldempfängerinnen und -empfänger, mitfinanzieren. Auch das entspricht nicht der Logik unserer Krankenversicherung. Der Bund ist gefordert, die Finanzierung von solchen gesamtgesellschaftlichen Aufgaben auf mehr Schultern zu verteilen. Natürlich sind es auch Bürgerinnen und Bürger, die dafür Steuern zahlen müssen, aber es führt eben nicht zu so einer einseitigen Steigerung zulasten der gesetzlichen Krankenversicherung. Medizin wird auch global betrachtet immer kostspieliger. Individualisierte Therapien etwas kosten nicht selten sechsstellige Summen, die das Gesundheitssystem zu überfordern drohen. Wie kann die Preisexplosion bei Arzneimitteln eingedämmt werden, ohne Forschung, Entwicklung und Versorgung zu gefährden? Die Kosten für Arzneimittel stellen nur einen geringen Anteil an den Gesamtkosten unserer Gesundheitsversorgung dar. Wir dürfen also nicht annehmen, dass hier ein maßgebliches Sparpotenzial wäre, wenn wir zugleich eine angemessene Arzneimittelversorgung erwarten. Wir haben mit den Engpässen bei Antibiotika oder auch fiebersenkenden Mitteln für Kinder bereits deutlich erlebt, wie labil unser System derzeit ist und wie abhängig wir von Dritten sind. Wir müssen daher auch in Europa wieder gute Bedingungen schaffen, die zuverlässige europäische Forschungs- und Herstellungskapazitäten ermöglichen. Ja, das geht mit entsprechenden Ausgaben für Arzneimittel einher. Aber dem ist die Dämpfung der Kosten für sonstige medizinische Behandlungen wie OP-Notwendigkeit, Arztbesuche oder sogar Pflege gegenüberzustellen. Viele der innovativen Arzneimittel führen zur kompletten Heilung oder geringerer Mortalität und schnellerer Wiedereingliederung auch ins Arbeitsleben. Daneben müssen wir es grundsätzlich schaffen, durch Prävention oder frühzeitige Intervention Erkrankungen, wie beispielsweise Adipositas, Hypertonie oder Diabetes mellitus, wirksamer zu begegnen. Das erhöht nicht nur die Lebensqualität, sondern hilft auch, Kosten zu sparen. Für die beihilfeberechtigten Beamten und Versorgungsempfänger ist die Gebührenordnung für Ärzte als Abrechnungsgrundlage maßgeblich. Diese ist seit vielen Jahren reformbedürftig. Ist hier zeitnah mit einer Novelle zu rechnen? Nach den Informationen meiner Kollegin aus dem für die Thematik federführenden Finanzministerium sind die Gespräche zwischen der Bundesärztekammer und unter anderem dem Verband Privater Krankenversicherungen weit fortgeschritten. Es gibt offenbar Anzeichen, dass mit einer gemeinsamen Novellierungsempfehlung vielleicht noch in diesem Jahr gerechnet werden kann. Für die Umsetzung müsste das Bundesgesundheitsministerium diese dann in einer entsprechenden Verordnung auf den Weg bringen – aber ich empfehle, dazu auch die direkt Beteiligten zu fragen. Viele Bürgerinnen und Bürger hegen Datenschutzbedenken gegenüber der elektronischen Patientenakte. Mangelt es bei der Einführung an Aufklärungsarbeit? Die historischen Erfahrungen in Deutschland – auch in Ostdeutschland – mögen eine Erklärung sein, warum bei uns Datenschutzbedenken häufig tief verwurzelt sind. Im internationalen Vergleich bietet die Datenschutz-Grundverordnung der Europäischen Union jedoch ein wirklich hohes Schutzniveau, dem auch die elektronische Patientenakte in Deutschland gerecht werden muss. Ja, es besteht ein Bedarf an verstärkter Aufklärungsarbeit. Alle Beteiligten müssen dabei auch im positiven Sinne die großen Vorteile der Digitalisierung im Gesundheitswesen mitdenken und kommunizieren. Das wird, wie in anderen Lebensbereichen auch, mit erheblichen Erleichterungen für jeden Einzelnen einhergehen, wenn es entsprechend gut gemacht ist. Noch ein Punkt in „eigener Sache“: Gewerkschaften wie der dbb und andere Verbände kritisieren, dass ihre Möglichkeiten zur Mitgestaltung in der Gesundheitspolitik mit kurzen Fristen für Stellungnahmen und häufigen Richtungswechseln erschwert werden. Was kann getan werden, um die Einbeziehung der Zivilgesellschaft in die Gesetzgebungsprozesse zu verbessern? Da sprechen Sie mir aus der Seele, das geht den Bundesländern nicht anders. Im Bundesgesundheitsministerium sollte wieder ein Bewusstsein einkehren, dass die Beteiligten eben nicht nur Lobbygruppen sind. Natürlich vertreten sie ihre Interessen, aber sie haben auch eine ganze Menge Wissen, Erfahrung und Fachkompetenz. Diese zu nutzen, kann nur von Vorteil sein, auch wenn gegebenenfalls am Ende eine andere Entscheidung gefällt wird. _ Der Bund ist gefordert, die Finanzierung von gesamtgesellschaftlichen Aufgaben auf mehr Schultern zu verteilen. AKTUELL 9 dbb magazin | September 2024

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