dbb magazin 10/2024

EUROPA Bericht zur europäischen Wettbewerbsfähigkeit Verstärkte Investitionen für die Zukunft Europas Der Bericht zur europäischen Wettbewerbsfähigkeit, der am 9. September 2024 veröffentlicht wurde, enthüllt strukturelle Schwächen, die den künftigen Wohlstand der EU-Mitgliedstaaten gefährden. Zu viel Bürokratie, mangelnde Exzellenz, Fragmentierung sowie Defizite bei Produktivität und Innovationskraft – all das wird verschärft durch die Herausforderungen einer alternden Bevölkerung. Diese Problembereiche betreffen nicht nur die Europäische Union als Ganzes, sondern auch Deutschland, das als größtes Mitgliedsland trotz im internationalen Vergleich gesunder Staatsfinanzen zunehmend als „kranker Mann Europas“ wahrgenommen wird. Der Bericht wurde von Mario Draghi, dem ehemaligen italienischen Regierungschef und Ex-Präsidenten der Europäischen Zentralbank (EZB), verfasst. Draghi, der während der Euro-Schuldenkrise die Gemeinschaftswährung mit dem Versprechen „Whatever it takes“ verteidigte, verzichtet in seinem aktuellen Bericht auf ähnliche Aussagen. Stattdessen richtet er eine unmissverständliche Warnung an die europäischen Entscheidungsträger: Sollte Europa nicht rasch gegensteuern, drohe dem Kontinent wirtschaftlicher Abstieg und der Zerfall der EU als politisches Projekt. Ursula von der Leyen, die kürzlich als Präsidentin der Europäischen Kommission wiedergewählt wurde, steht nun vor der Herausforderung, die Empfehlungen des Draghi-Berichts in ihrem Arbeitsprogramm umzusetzen. Es bleibt offen, ob alle EU-Mitgliedstaaten den von Draghi vorgeschlagenen Maßnahmen zustimmen werden. Besonders Deutschland dürfte sich mit einigen zentralen Aussagen des Berichts schwertun, da Draghi an tief verwurzelte deutsche Tabus rührt. Kritik übt der Bericht insbesondere an Deutschlands unzureichenden Investitionen in Zukunftsbereiche wie Infrastruktur, Bildung, Digitalisierung und den Ausbau der Energienetze – Probleme, die die Bürgerinnen und Bürger im Alltag deutlich spüren, etwa in Form von Personalmangel und Investitionsstaus im öffentlichen Sektor. Der Draghi-Bericht deutet an, dass die deutsche Schuldenbremse, obwohl nicht explizit erwähnt, die Flexibilität notwendiger Investitionen einschränkt. Draghi plädiert für verstärkte gemeinsame Investitionen in europäische Gemeingüter und fordert neue Finanzierungsinstrumente wie europäische Anleihen. Die Vorschläge werden beim Bundesfinanzminister auf Widerstand stoßen. In Deutschland werden darüber hinaus Populisten Stimmung gegen Europa machen, das ihrer Meinung nach auf deutsches Geld zugreifen will. Doch auch der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) hat für Deutschland einen Investitionsbedarf bis 2030 in Höhe von 1,4 Billionen Euro festgestellt. Durch Einsparungen allein wäre dies kaum umsetzbar. Das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) spricht sich für einen Mix aus steuer- und schuldenfinanzierten Mehrausgaben aus und rüttelt an der Schuldenbremse in ihrer aktuellen Fassung. Ein weiteres zentrales Thema des Berichts ist die öffentliche Daseinsvorsorge und damit indirekt auch der öffentliche Dienst, der einen wesentlichen Teil der nationalen Infrastruktur ausmacht. Viele der dort Beschäftigten, deren Wissen und Einsatzbereitschaft von unschätzbarem Wert für das Gemeinwohl sind, werden bis 2025 in den Ruhestand gehen. Dies wird nicht nur Deutschlands Wettbewerbsfähigkeit, sondern auch seine Rolle innerhalb des europäischen Binnenmarkts und für die europäische Integration beeinflussen. Der Draghi-Bericht ist unbequem, aber gerade deshalb von großer Bedeutung. Die Vorschläge, mehr in europäische Gemeingüter zu investieren und neue Finanzierungswege zu erschließen, mögen in Deutschland auf Widerstand stoßen, doch es mangelt bisher an für Deutschland und Europa überzeugenden Gegenentwürfen. cm Deutschland lehnt den Vorschlag der EU-Kommission für ein europäisches Agentengesetz ab, das Teil des aktuell beratenen Demokratiepakets aus dem Jahr 2023 ist. Der Richtlinienentwurf zielt auf die Transparenz von Interessenvertretungen aus Drittländern, stößt jedoch auf breite Kritik. Zwar wird die Bedrohung durch Desinformation und hybride Kriegsführung, insbesondere durch Russland und China, anerkannt, jedoch befürchten Bund, Länder und zivilgesellschaftliche Akteure, dass das Gesetz zur Stigmatisierung von NGOs führen könnte. Deutschland verweist zudem auf sein kürzlich eingeführtes Lobbyregister, das durch die EU-Regelung unterlaufen würde. Der Widerstand gegen die Richtlinie wächst, während Frankreich als einziges Land auf deren Verabschiedung drängt. Eine Entscheidung wird frühestens 2025 unter polnischer Ratspräsidentschaft erwartet. Der dbb ist über seine Mitgliedschaft im Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) aktiv an den Beratungen beteiligt. Deutschland lehnt europäisches Agentengesetz ab Mario Draghi und Ursula von der Leyen am 9. September 2024 in Brüssel. © EU/Aurore Martignoni 30 INTERN dbb magazin | Oktober 2024

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