Sehen Sie einen Zusammenhang zwischen zunehmender Bürokratie und der wachsenden Politikverdrossenheit in der Bevölkerung? Ich sehe da ganz klar einen Zusammenhang. Wenn Bürger den Eindruck haben, dass politische Entscheidungen zu unnötiger Bürokratie führen und Verwaltungsprozesse kompliziert, intransparent und zeitaufwendig sind, steigt die Frustration. Wer fühlt sich nicht durch die Vielzahl an Regelungen und Formularen überfordert? Das schwächt das Vertrauen in den Staat und seine Institutionen. Hinzu kommt, dass der Staat in Krisensituationen immer wieder handlungsunfähig wirkt. Statt Probleme pragmatisch anzugehen und schnell zu lösen, wird häufig ein hoher Aufwand für Prüfungen, Dokumentationen und Abstimmungen betrieben. Es fehlen Daten, die Zuständigkeiten sind unklar, jede Entscheidung durchläuft zahlreiche Instanzen und jede Ebene fügt zusätzliche Anforderungen hinzu. Das führt auch dazu, dass Reformen, Infrastrukturprojekte oder Gesetzesvorhaben nur sehr langsam umgesetzt werden. Von der Verwaltungsdigitalisierung ganz zu schweigen. Welche Maßnahmen sind aus Ihrer Sicht notwendig, um die Digitalisierung der Verwaltung entscheidend voranzutreiben? Um die Digitalisierung der Verwaltung wirklich voranzubringen, muss die Diskussion darüber raus aus der Expertennische des IT-Planungsrates. Diese oder spätestens die nächste Bundesregierung sollte den angekündigten Föderalismusdialog zwischen Bund und Ländern endlich starten, um gemeinsam Lösungen zu finden, wie knappe Haushaltsmittel effizienter genutzt werden können. Außerdem sollten bestehende Ansätze, wie etwa der Plattformansatz, besser eingesetzt werden, damit die Verwaltung ihre Leistungen günstiger und einfacher anbieten kann. Wichtig ist auch, dass die Finanzierung und Weiterentwicklung der digitalen Dienste fest eingeplant werden, damit eine langfristige Planung möglich ist. Statt dass jede Behörde eigene Lösungen entwickelt, brauchen wir klare technische Standards und offene Schnittstellen, die alle nutzen können. Das spart nicht nur Geld, sondern macht die Zusammenarbeit auch einfacher. Und schließlich müssen wir dafür sorgen, dass die Qualität der digitalen Services überall gleich hoch ist, indem verbindliche Servicestandards eingeführt werden. Die Digitalisierung der Registerlandschaft gilt als Schlüssel für eine effizientere Verwaltung. Wie bewerten Sie den Fortschritt bei der Registermodernisierung? Und wo sehen Sie noch Verbesserungsbedarf? In den vergangenen Jahren wurden wichtige Schritte unternommen, aber der Fortschritt bei der Registermodernisierung hinkt den Erwartungen deutlich hinterher. Viele verstehen immer noch nicht, dass die Digitalisierung von Verwaltungsleistungen nur dann funktioniert, wenn die zugrunde liegenden Register modernisiert und richtig miteinander verbunden sind. Ohne moderne Register kann es keine echte digitale Verwaltung geben. Deshalb ist es wichtig, die Modernisierung der Register eng mit der Umsetzung des Onlinezugangsgesetzes zu verknüpfen. Die Erkenntnisse aus den bisherigen Pilotprojekten sollten schnell in allgemeine Empfehlungen und Vorlagen übertragen werden, damit die Behörden effizient weiterarbeiten können. Allerdings müssen wir realistisch sein: Eine komplette Modernisierung der zahlreichen, oft isolierten Register ist in absehbarer Zeit nicht machbar. Daher sollten die Länder ihre Registerlandschaft strategisch überdenken und gezielt verbessern. In welchen Bereichen könnte die Regelungsvielfalt im deutschen Föderalismus eingedämmt werden, etwa durch bundeseinheitliche Staatsverträge oder eine einheitliche Musternormung? Gehört dazu beispielsweise auch das Disziplinarrecht für Beamtinnen und Beamte, um gleiche Disziplinarverfahren in allen Bundesländern sicherzustellen? In einer Vielzahl von Bereichen gibt es Vereinfachungs- und Vereinheitlichungspotenziale. So könnte beispielsweise die Verwaltungsdigitalisierung durch eine Verankerung im Verwaltungsverfahrensgesetz „vor die Klammer“ gezogen werden, statt sie in diversen Fachgesetzen zu regeln. Die Länder würden dies dann mittels Simultangesetzgebung in ihren eigenen Verwaltungsverfahrensgesetzen nachziehen. Ähnliches geht sicher auch für das Disziplinarrecht. Wenn dies über Ländergrenzen hinweg harmonisiert ist, lassen sich die Verfahren verkürzen und der Aufwand verringern. Ein Blick nach Europa: Viele Initiativen der EU-Institutionen führen zu zusätzlichen nationalen Regulierungen. Ist die Europäische Union wirklich das „bürokratische Monster“, als das sie oft dargestellt wird? Fest steht, dass noch nie so viele neue Gesetze auf den Weg gebracht wurden, wie in der letzten Amtsperiode von Ursula von der Leyen. Mehr als die Hälfte der bürokratischen Lasten entstehen mittlerweile durch Richtlinien und Verordnungen aus der EU. Ob Lieferkettenrichtlinie oder Nachhaltigkeitsberichterstattung, Deutschland wird noch lange an den Regulierungsbrocken der vergangenen Jahre kauen. Insbesondere die Wirtschaft sehnt sich nach einer Verschnaufpause bei der Regulierung. Der wachsende Unmut hat die Kommissionspräsidentin jetzt zum Umlenken gebracht. In ihrer Rede als Kandidatin für die neue Amtsperiode hat von der Leyen neue Leitlinien für eine wettbewerbsfähigere EU vorgestellt, in denen Bürokratieabbau eine wichtige Rolle spielt. Der von ihr in Auftrag gegebene Wettbewerbsbericht des ehemaligen EZB-Präsidenten Mario Draghi setzt ähnliche Schwerpunkte. Das macht Hoffnung. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass Deutschland seiner eigenen Verantwortung bei den Verhandlungen in Brüssel gerecht werden und viel aktiver als bisher auf die Vermeidung unverhältnismäßiger Bürokratie drängen muss. Im Europäischen Rat stehen der Bundesregierung dafür alle Wege offen – schon vorab gibt es in Zusammenarbeit mit der Kommission Gestaltungsmöglichkeiten. Voraussetzung ist, als Bundesregierung schneller mit einer Stimme zu sprechen und bei den Verhandlungen von Anfang an die Kostenfolgen für Deutschland einzubeziehen. _ Mehr als die Hälfte der bürokratischen Lasten entstehen mittlerweile durch Richtlinien und Verordnungen aus der EU. FOKUS 13 dbb magazin | November 2024
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