Anders als die Adelsherrschaft schließt Bürokratismus willkürliches Handeln aus. Die „Herrschaft der Verwaltung“ – das bedeutet Bürokratie der Wortherkunft nach – handelt auf Grundlage von allgemeinen und berechenbaren Regeln. Das ist zumindest das Ideal, das der Soziologe Max Weber in seinem Werk „Wirtschaft und Gesellschaft“ beschreibt. Seit Weber 1920 gestorben ist, hat sich natürlich einiges getan. Inzwischen gibt es eine Vielzahl von wissenschaftlichen Ansätzen, die sich im Rahmen der Organisationstheorie mit Bürokratie befassen. Iris Rauskala ist Wirtschaftswissenschaftlerin, stammt aus Österreich und war dort von Juni 2019 bis Januar 2020 Bildungsministerin in der Beamtenregierung, die nach dem Ibiza-Skandal in der Alpenrepublik eingesetzt wurde. Nachdem das zweite Kabinett unter Sebastian Kurz (ÖVP) die Amtsgeschäfte übernommen hatte, kümmerte sich die damalige Spitzenbeamtin federführend um die Digitalisierung der Schulen in Österreich. Die Verwaltungshochschule im baden-württembergischen Ludwigsburg leitet sie seit 2021. Frau Dr. Rauskala, der Soziologe Max Weber schrieb der Bürokratie viele positive Eigenschaften zu. Ist sie besser als ihr Ruf? Bürokratismus ist, wenn man so will, eine zugespitzte Negativbetonung. Dabei gibt es auch viele Vorteile: Bürokratie arbeitet beständig und auf Basis von Gesetzen. Sie ist im Sinne des Gesetzgebers fair und schützt vor Willkür. Klar, in der Praxis passieren auch Fehler, es ist nicht alles perfekt. Doch bis zum heutigen Tag gibt es keine bessere Organisationsform, mit deren Hilfe sich ein großes Staatswesen nach einheitlichen Spielregeln durchorganisieren lässt. Die Ampelregierung strebt Verbesserungen an: „Deutschland wird nur auf Höhe der Zeit agieren können, wenn wir den Staat selbst modernisieren. Wir wollen staatliches Handeln schneller und effektiver machen“, heißt es im Koalitionsvertrag. Wie läuft es aus Ihrer Sicht mit der Umsetzung? Es gibt noch sehr viel zu tun. Aber wir dürfen nicht vergessen, dass die Regierung erst seit knapp drei Jahren im Amt ist. Fünf bis zehn Jahre wären aus meiner Sicht ein geeigneter Betrachtungszeitraum, um Bilanz zu ziehen. Man kann nicht erwarten, dass innerhalb so kurzer Zeit alles aufgeholt wird, was in den vergangenen Jahrzehnten versäumt wurde. Das wäre nicht fair. Zumal es kaum eine Regierung gab, die mit so gewaltigen Krisen konfrontiert war, darunter der Ukrainekrieg. Die Weltlage erfordert im tagespolitischen Geschäft enorme Ressourcen. Und zu allem Überfluss befindet sich der Staat selbst in einer Vertrauenskrise. Nur noch 25 Prozent der Bevölkerung glauben, dass er seinen Herausforderungen gewachsen ist. Das geht aus einer Umfrage des dbb hervor. Welchen Anteil hat ausufernde Bürokratie an diesem Ergebnis? Ich würde hinterfragen, ob die Bevölkerung bewusst zwischen Politik- und Bürokratieverdrossenheit unterscheidet. Aus meiner Sicht ergibt es wenig Sinn, das weiter aufzuschlüsseln. Die alarmierende Botschaft lautet: Die Menschen nehmen eine Überforderung des Staatswesens wahr. Und das sollte uns schwer zu denken geben. Am Ende des Tages ist die Verwaltung die Exekutive des Gesetzgebers. Wenn der Gesetzgeber die Verwaltung mit Gesetzen überflutet, muss die Verwaltung sie umsetzen. Da möchte ich mir schon die Frage erlauben: Wer liefert hier eigentlich die schlechtere Performance? Da sitzen wir doch im selben Boot. © Erdacht mit KI 18 FOKUS dbb magazin | November 2024
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