Einst waren die Wiener Goldschmiede eine hoch angesehene Zunft. So fertigte etwa Meister Johann Känischbauer 1699 die „Prager Sonne“, eine Strahlenmonstranz, welche bis heute als Prunkstück der österreichischen Handwerkskunst gilt. Nach Jahrhunderten mit besseren und schlechteren Zeiten im Wechsel leitete die industrielle Revolution einen Paradigmenwechsel ein. Aus der Handwerkskunst wurde maschinell gefertigte Massenware. Viele Goldschmiede stiegen auf die Produktion einer neuen Art von Schmuckstücken um, die zunehmend en vogue wurde: Gold-Vermeil, vergoldetes Silber. Knapp zwei Jahrhunderte später hat das Vergolden in Wien eine andere, negative Konnotation erhalten: 2019 hat der Nationalrat, Österreichs oberste Gesetzesschmiede, das Anti-Gold-PlatingGesetz verabschiedet. Dabei geht es allerdings nicht um Edelmetalle, sondern um bürokratische Ballaststoffe: „Gold-Plating“ bezeichnet den Prozess, bestehende EU-Vorgaben überzuerfüllen, wenn sie in nationales Recht umgesetzt werden. Die Gesetzgeber packen also eine zusätzliche und eigentlich überflüssige Schicht an Regeln obendrauf. Dieser Prozess ist weder neu noch verwerflich. Nach EU-Recht haben die Mitgliedstaaten je nach Gestaltungsspielraum die Möglichkeit oder sogar die Pflicht, die allgemeinen Regeln an die individuellen Bedürfnisse eines Landes anzupassen. Allerdings bedeuten mehr Regeln auch mehr Bürokratie, gerade im Handel mit anderen Ländern. Es ist nicht alles Gold-Plating, was glänzt Es gibt Unterschiede, was mit wie viel Gold beschlagen werden kann. EU-Verordnungen gelten unmittelbar in allen Mitgliedstaaten und können nur dann verschärft werden, wenn sie den entsprechenden Gestaltungsspielraum zulassen. Dagegen geben EU-Richtlinien nur ein Ziel vor und die Mitglieder entscheiden selbst, mit welchen Maßnahmen sie dieses Ziel erreichen. Dadurch werden drei Arten von Gold-Plating unterschieden: Echtes Gold-Plating beschreibt das aktive Hinzufügen von Regeln oder die unnötig strenge Umsetzung einer Richtlinie. Unechtes Gold-Plating liegt vor, wenn eine EU-Richtlinie auf Bereiche ausgeweitet wird, in denen sie eigentlich nicht gilt. In manchen Fällen ist eine EU-Richtlinie weniger streng als das bestehende nationale Recht. Wird das dadurch unnötig strenge nationale Recht beibehalten, ist von passivem Gold-Plating die Rede. Der Nationale Normenkontrollrat (NKR) kritisiert auf seiner Website die Praxis des echten Gold-Platings: „Denn echtes Gold-Plating kann in zusätzlichen Kosten, vermehrten Berichtspflichten und unnötig bürokratischem Verwaltungshandeln resulGold-Plating Goldener Tropfen auf heißem Stein Bringt ein Anti-Gold-Plating-Gesetz den dringend benötigten, breitflächigen Bürokratieabbau oder wäre es nur ein Nadelstich mit einem Beigeschmack von EU-Bashing? Model Foto: Hatchapong Palurtchaivong/Colourbox.de (3) 20 FOKUS dbb magazin | November 2024
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