tieren.“ Der NKR rät zu einer sinnvollen Balance zwischen nationalen Interessen und internationaler Einfachheit: „Höhere Schutzstandards können wünschenswert sein, sind aber nicht nur mit zusätzlichen Kosten verbunden, sondern können auch mit Blick auf den europäischen Binnenmarkt problematisch sein.“ Den Handel zu vereinfachen, war eines der Ziele des von der konservativen Österreichischen Volkspartei (ÖVP) und der rechtspopulistischen Freiheitlichen Partei Österreich (FPÖ) beschlossenen Gesetzes. Es sieht 40 Anpassungen in elf Gesetzen vor. Der Schwerpunkt liegt auf den Mitteilungs-, Melde-, Zulassungs- und Prüfpflichten. Gegenüber den Bedenken der Opposition, das Gesetz würde Umweltschutzbestimmungen und Arbeitnehmerrechte schwächen, hatte Josef Moser, damals Bundesminister für Verfassung, Reformen, Deregulierung und Justiz, versichert, dass die Änderungen keine Standards senken würden. Stattdessen gehe es um die Beseitigung von Übererfüllungen. Lasche Gesetze sind kein Standortvorteil Prof. Dr. Werner Schroeder, Leiter des Instituts für Europarecht und Völkerrecht an der Universität Innsbruck, sieht das Argument, dass nationale Rechtsordnungen mit möglichst geringen Anforderungen im europäischen Wettbewerb ein Standortvorteil seien, kritisch: „Derartige Vorteile ergeben sich nicht primär aus dem Regulierungsgrad, sondern letztlich aus der inhaltlichen Qualität rechtlicher Steuerung. Lasche Gesetze bedeuten deshalb nicht unbedingt einen Wettbewerbsvorteil“, erklärt Schroeder in einem Artikel für die Österreichische Gesellschaft für Europapolitik. „Vielmehr kann Gold-Plating einen wichtigen Beitrag zur Rechtssicherheit leisten. So kann es sinnvoll sein, wenn der nationale Gesetzgeber im Rahmen der Umsetzung einer lediglich punktuellen Harmonisierung freiwillig den Anwendungsbereich der Regelungsmaterie ausweitet oder durch nationales Recht zusätzliche Anforderungen aufstellt.“ In vielen Fällen geschehe das auch, um die Systematik und Stringenz der nationalen Rechtsordnung zu wahren. Ob die Abschaffung von Gold-Plating eine wirksame Maßnahme zum Bürokratieabbau darstellt, ist bei nüchterner Betrachtung der Zahlen allerdings fraglich: In den zehn Jahren vor dem Anti-Gold- Plating-Gesetz hat der Nationalrat jährlich zwischen 93 und 147 Gesetze beschlossen. Danach waren es zwischen 179 und 223 Gesetze. Zur Erinnerung: Das österreichische Anti-Gold-Plating- Gesetz wirkt sich auf elf Gesetze aus. „Geschichte wiederholt sich nicht, aber oft reimt sie sich“, sagte einst Mark Twain. Mit dem Einsetzen der industriellen Produktion begannen die Wiener Goldschmiede mit dem Vergolden. Mit dem Ende des Vergoldens begann die Wiener Gesetzesschmiede mit der Produktion von Gesetzen in industriellen Maßen. Diesseits der Alpen forderte Ex-Gesundheitsminister Jens Spahn im September 2024 in einem Gespräch mit der Neuen Osnabrücker Zeitung, auch in Deutschland ein Anti-Gold-Plating-Gesetz einzuführen, um die bürokratische Belastung zu senken: „Die deutsche Wirtschaft und das ganze Land brauchen ein klares Signal, dass in Sachen Bürokratieabbau endlich etwas passiert, das wir aus dem Tal der Tränen mal herauskommen.“ Und weiter: „Daher sollten wir uns das Wiener AntiGold-Plating-Gesetz als Vorbild nehmen und ganz genau anschauen, was wir daraus lernen können.“ Eine Kleine Anfrage aus dem Juli 2024 an die deutsche Bundesregierung hatte ergeben, dass 15 Gesetze aus der 20. Legislaturperiode unter Gold-Plating fallen würden, da sie übermäßig streng umgesetzt wurden, ergänzt wurden oder strengere Maßnahmen enthielten oder mehrere davon. Zum Vergleich: In dieser Legislaturperiode hat der Bundestag 290 Gesetze verabschiedet. Rein numerisch betreffen Gold-Plating und damit ein Gesetz dagegen nur einen kleinen Bruchteil der nationalen Gesetzgebung, sowohl in Wien als auch in Berlin. Wie groß die Entlastung durch das österreichische Anti-Gold-Plating-Gesetz tatsächlich ist, ist nicht bekannt, und auch für ein mögliches Gesetz in Deutschland gibt es keine Schätzungen. Erwähnenswert ist auch, dass es bei den Gesetzen und in der Rhetorik gegen GoldPlating ausschließlich um EU-Verordnungen geht. Von der Verschärfung eigener Gesetze ist nie die Rede. Die österreichische Opposition hatte bei der Verabschiedung des Anti-Gold-PlatingGesetzes bereits dessen EU-kritische Untertöne kritisiert. Dreht Brüssel „krumme Dinger“? Das Bild der überregulierenden EU ist ein alter Hut. Prominentestes Beispiel ist wohl Verordnung Nr. 1677/88/EWG, die unter anderem den maximalen Krümmungsgrad von Salatgurken festschrieb und seither als „Gurkenverordnung“ regelmäßig als Pointe für die EU-Bürokratie herhalten muss. Aus der Verordnung (EG) Nr. 2257/94, die 1994 unionsweite Standards für Bananen festlegte, machten britische Medien die Schlagzeile, dass die EU krumme Bananen verbieten wolle. Dabei stand in der Verordnung lediglich, dass die Banane „frei von Missbildungen und anormaler Krümmung“ sein müsse. Den Ruf, selbst die Krümmung von Lebensmitteln regulieren zu wollen, konnte Brüssel seither nicht wieder geradebiegen. Allerdings: Was und wie stark die EU reguliert, hängt von ihren Mitgliedstaaten ab. Im EU-Parlament hat Deutschland als Land mit den meisten Sitzen den größten Einfluss darauf, Gesetze so zu gestalten, dass sie später nicht auf nationaler Ebene nachgebessert werden müssen. Übrigens: Damit Gold in Österreich als Schmuckstück verarbeitet und verkauft werden darf, muss es mindestens 14 Karat aufweisen, was einem Feingoldgehalt von 585 Tausendsteln entspricht. Das regelt § 1 Abs. 2.2 des österreichischen Punzierungsgesetzes. Die EU hat hierfür keine Richtlinie. dsc FOKUS 21 dbb magazin | November 2024
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