dbb magazin 12/2024

Vereinswesen Vom Lesezirkel zur Institution Die Vereinsfreudigkeit der Deutschen ist sprichwörtlich und hat tiefe historische, kulturelle und soziale Wurzeln, die eng mit der Entwicklung von Zivilgesellschaft und Demokratie verknüpft sind. Treffen sich drei Deutsche, gründen sie einen Verein“, heißt es gern in Anspielung auf die Vereinsvielfalt in Deutschland, die historisch tief verwurzelt ist. Bereits im Mittelalter entstanden Zusammenschlüsse, die als erste Keimzelle für ein Vereinsleben gelten können. Zünfte und Bruderschaften waren als Vorläufer moderner Vereine frühe Vertretungen für berufliche, religiöse oder soziale Interessen. Sie boten ihren Mitgliedern Schutz und soziale Sicherheit, waren aber streng hierarchisch organisiert und an strikte Regeln gebunden. In diesen frühen Zusammenschlüssen wurde die Grundlage für den Gedanken gelegt, dass Menschen durch gegenseitige Unterstützung mehr erreichen können. Mit der Aufklärung kamen im 18. Jahrhundert neue Formen von Bürgerzusammenschlüssen auf: Lesegesellschaften und Diskussionszirkel boten der wachsenden bürgerlichen Schicht eine Plattform für den politisch-kulturellen Austausch, der nicht zuletzt durch den Buchdruck und das Aufkommen neuer Ideale befördert wurde und das Selbstbewusstsein der Bürgerschaft stärkte – ein Trend, der sich im 19. Jahrhundert fortsetzte. In einer Zeit politischer Repression und staatlicher Kontrolle fungierten Vereine als Rückzugsort für politische und soziale Bewegungen, besonders während der Deutschen Revolution von 1848. Sie boten Raum für demokratische Debatten, allerdings oft im Verborgenen oder unter staatlicher Beobachtung. Auch die Vereinskultur selbst demokratisierte sich in dieser Zeit: Wahlen, Satzungen und festgelegte Mitgliedsrechte wurden eingeführt und waren Ausdruck des wachsenden Strebens nach Selbstbestimmung. Vereine entstanden in allen Lebensbereichen – Gesang, Sport, Handwerk oder Bildung. Mit der Reichsgründung 1871 erlebte das Vereinswesen weiteren Aufschwung. In dieser Phase wurde das deutsche Vereinsrecht kodifiziert, und die Vereine erfuhren staatliche Anerkennung. Die Gründung von Turn- und Sportvereinen, Gesangsvereinen, Gartenvereinen sowie Lese- und Bildungsvereinen spiegelte den Wunsch nach körperlicher und geistiger Ertüchtigung im Dienste der Gesellschaft wider. Vereine stärkten das Gemeinschaftsgefühl und förderten die nationale Identität. Für viele Bürger wurden Vereine zum sozialen Zentrum des Alltags. Nach dem Ersten Weltkrieg in der Weimarer Republik spielten Vereine eine bedeutende Rolle in einer nach Stabilität und Gemeinschaft suchenden Gesellschaft. Allerdings wurde das Vereinswesen zunehmend von rechten und linken Bewegungen politisiert und instrumentalisiert. In diese Zeit fiel auch die Gründung des Deutschen Beamtenbundes als berufliche Interessenvertretung: Am 4. Dezember 1918, unmittelbar nach dem „Aufruf des Rates der Volksbeauftragten an das deutsche Volk“ vom 12. November 1918, der erstmalig auch den Beamten das uneingeschränkte Koalitionsrecht zugestand, wurde er in Berlin als „Zusammenschluss der deutschen Beamten- und Lehrervereinigungen auf gewerkschaftlicher Grundlage“ gegründet. Während der nationalsozialistischen Diktatur wurden viele Vereine gleichgeschaltet, verboten oder in die NS-Strukturen integriert, um eine staatlich kontrollierte Volksgemeinschaft zu schaffen. Erst nach 1945 konnte sich das deutsche Vereinswesen wieder frei entfalten, in der jungen Bundesrepublik erlebte das Vereinswesen einen erneuten Aufschwung. Vereine wurden zunehmend zu einer Institution des demokratischen und sozialen Engagements – sei es in Sport, Kultur, Umwelt oder Politik. Das Vereinswesen, so wie es heute besteht, spiegelt die Vielfalt der Gesellschaft wider und ist eine zentrale Säule des bürgerschaftlichen Engagements. Fast jeder zweite Deutsche ist Mitglied in einem Verein, und das Vereinsleben gilt als einer der wichtigsten sozialen Ankerpunkte der Gesellschaft. Vereine schaffen nicht nur Zugehörigkeit und Gemeinschaft, sondern fördern auch den Dialog und das Verständnis zwischen Menschen unterschiedlicher Hintergründe. Sie sind damit nicht nur Orte der Freizeitgestaltung, sondern wichtige Akteure im gesellschaftlichen Leben und in sozialen Projekten. Sie unterstützen die Integration, fördern den interkulturellen Dialog, stärken den Zusammenhalt in einer zunehmend pluralistischen Gesellschaft oder kämpfen wie der dbb als Interessenvertretung für die Rechte ihrer Mitglieder. Der dbb zählt als „Verein von Vereinen“ mit insgesamt mehr als 1,3 Millionen Mitgliedern zu den großen Deutschlands. Das Vereinsregister zählt übrigens mehr als 600 000 eingetragene Vereine. Die größte Gruppe mit rund 90 000 stellen die Sportvereine, in denen rund 27 Millionen Menschen organisiert sind. br Gremienarbeit im Großformat: Als Verein von Vereinen versammelt der dbb alle fünf Jahre rund 800 Delegierte aus Ehren- und Hauptamt auf dem Gewerkschaftstag. © Marco Urban FOKUS 17 dbb magazin | Dezember 2024

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