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interview
vertretenen Pateien
bürgernäher machen?
Sven Giegold, Spitzenkandidat von Bündnis 90/Die Grünen für die Europawahl
Einzelne Länder können in der Globalisierung kaum
noch Einfluss nehmen. Europa kann dagegen neue
Standards setzen. Dafür wollen wir eine EU mit mehr
Stärke und Entscheidungskraft. Dabei muss die Be
teiligung der Bürger mit der Bedeutung der EU mit
wachsen. Im Rat der Mitgliedstaaten, dem Entschei
dungsgremium der nationalen Regierungen, wollen
wir eine noch häufiger drohende Blockade einiger
europafeindlich auftretender Regierungen verhin
dern. Deshalb wollen wir dort Mehrheitsentschei
dungen einführen, wo heute noch per Einstimmig
keitsprinzip entschieden wird. Wir wollen auch die
Tradition der Geheimdiplomatie beenden. Alle Mit
gliedsländer sollten künftig ihre Position, die sie zu
EU-Gesetzen in Arbeitsgruppen des Rates vertreten,
offenlegen müssen. Europäische Zusammenarbeit
birgt ein großes Einsparpotenzial. Die EU-Kommissi
on schätzt das Einsparpotenzial durch dauerhafte
europäische Kooperation allein im Verteidigungs
bereich auf 25 bis 100 Milliarden Euro pro Jahr.
Das Subsidiaritätsprinzip–also Entscheidungen
möglichst bürgernah zu treffen– ist die Grundlage
für ein erfolgreiches Europa. Es ist deshalb richtig,
dass so viele Entscheidungen wie möglich auf kom
munaler Ebene getroffen werden. Die Europäische
Union darf die kommunale Daseinsvorsorge nicht
behindern. Die EU kann die die Kommunen auch
vor Liberalisierungsdruck schützen, zum Beispiel
bei Verhandlungen über EU-Handelsabkommen
wie CETA mit Kanada oder JEFTA mit Japan. Wir
wollen klare und umfassende Ausnahmen für die
kommunale Daseinsvorsorge und für öffentliche
und soziale Dienstleistungen.
Martin Schirdewan, Spitzenkandidat der Partei Die Linke für die Europawahl
Viele Menschen erfahren die EU als abgehoben und
fern von ihrem Alltag. Dabei ist die EU in vielen all
täglich relevanten Entscheidungen präsent. Die Lin
ke streitet dafür, dass die Interessen der Menschen
in der EU Vorfahrt haben, für eine effiziente und so
ziale Politik: Für verbindliche Mindestlöhne in allen
Mitgliedstaaten. Für Mindeststeuern für Unterneh
men – auch die digitalen Großkonzerne! – und ei
nen effizient funktionierenden Steuervollzug. Dafür,
dass öffentliche Aufträge und Wirtschaftsförderung
nicht an den billigsten Anbieter vergeben wird, son
dern an Unternehmen, die regional und umwelt
freundlich wirtschaften und Tariflöhne zahlen.
Bügernähe hängt auch von Mitbestimmungsmög
lichkeiten der Bürgerinnen und Bürger ab. Deshalb
setzen wir uns dafür ein, dass Volksentscheide in
der EU verbindliche Vorgaben machen können –
dann wäre es nicht möglich gewesen, dass die EU
zum Beispiel über das Votum gegen Glyphosat ein
fach hinweggeht. Wir wollen das EU-Parlament
stärken, sodass es selbst Gesetze auf den Weg brin
gen kann – und die Kommission diese nicht außer
Kraft setzen kann. Eine effiziente EU im Interesse
der Menschen bedeutet auch, dass der Einfluss der
Wirtschafts-Lobbyisten zurückgedrängt werden
muss. 25000 Lobby-Vertreter versuchen in Brüssel
Einfluss zu nehmen. Wir streiten gegen den „Dreh
türeffekt“, zwischen Wirtschaft und Politik. Und für
ein Lobby- und Tarnsparenzregister, sodass für alle
sichtbar wird, wer mit welchen Zielen und welchem
Budget versucht, die Politik der EU zu beeinflussen.
Nicola Beer, Spitzenkandidatin der FDP für die Europawahl
Europa als selbstbewusster und mutiger Kontinent,
der seinen Burgerinnen und Burgern nicht nur Frie
den, Freiheit und Wohlstand bewahrt, sondern als
Innovationsvorreiter für jede und jeden Zukunfts
chancen und die Möglichkeit sozialen Aufstiegs aus
eigener Kraft schafft – das ist das Europabild von
uns Freien Demokraten. Dazu müssen wir die EU
– und zwar unter stärkerer Beteiligung ihrer Bürge
rinnen und Bürger – grundlegend reformieren.
Deshalb fordern wir umfassende Strukturreformen,
wie etwa ein starkes Europäisches Parlament – mit
einem festen Sitz und eigenem Recht zu Gesetzes
initiativen. Die EU-Kommission muss von 28 auf
18 Kommissare verkleinert werden, wobei die ein
zelnen Ressorts den EU-Zuständigkeiten entspre
chen sollen. Im Rat brauchen wir mehr Mehrheits
entscheidungen. Wir fordern bis spätestens 2022
die Einberufung eines Europaischen Konvents zur
Ausarbeitung einer gemeinsamen Verfassung. Dar
an sollen die Bürger über Dialoge, Befragungen und
(Online-)Eingaben direkt beteiligt werden – um am
Ende des Prozesses durch eine gemeinsame euro
päische Volksabstimmung über die Verfassung zu
entscheiden. Weitere Ideen sind EU-Bürgerinitiati
ven, die Aufstellung gesamteuropäischer Listen bei
Europawahlen sowie die Einführung von Englisch
als zusatzliche Verwaltungssprache in allen Ämtern
in Europa.
Zusammen mit unseren liberalen Partnern in
ganz Europa wollen wir die ALDE-Fraktion zur
zweitstärksten Kraft im EP machen und damit
neue Mehrheitsverhältnisse für einen echten
Wandel in ganz Europa herbeiführen – für eine
handlungsfähige, bürgernahe EU.
© Dominik Butzmann
© Uwe Völkner/FOX
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dbb magazin | Mai 2019