DHV ist nicht tariffähig

Das Bundesarbeitsgericht entschied nach mehrjährigem Rechtsstreit, dass die DHV – Die Berufsgewerkschaft e.V. (DHV) seit dem 21. April 2015 nicht tariffähig ist. Der dem Christlichen Gewerkschaftsbund Deutschlands (CGB) angehörigen Arbeitnehmendenvereinigung fehle es an einer hinreichenden sozialen Mächtigkeit und sie darf somit keine Tarifverträge abschießen (BAG, Beschluss vom 22. Juni 2021, Aktenzeichen 1 ABR 28/20).

Der Fall

Im Dezember 2013 hatten mehrere Gewerkschaften und die Bundesländer Berlin und Nordrhein-Westfalen beantragt, gerichtlich festzustellen, dass die DHV nicht tariffähig ist. Die Antragssteller sind der Auffassung, dass es sich bei der DHV mit Blick auf den von ihr beanspruchten Organisationsbereich um keine Gewerkschaft handle. Sie verfüge insbesondere nicht über die erforderliche hinreichende Durchsetzungskraft und organisatorische Leistungsfähigkeit. Die DHV organisiert unter anderem in den Bereichen Einzel- und Binnengroßhandel, Krankenhäuser in privatrechtlicher Rechtsform, Rettungsdienste, Versicherungsgewerbe, Textilreinigung, Reiseveranstalter sowie Fleischindustrie. Ihr Organisationsbereich erstreckt sich auf ganz Deutschland. Die DHV gab an, 66.826 Mitglieder in ihrem satzungsgemäßen Zuständigkeitsbereich zu haben. Der Bereich umfasse etwa 6,294 Millionen Arbeitnehmende, was einem Gesamtorganisationsgrad von etwa einem Prozent entspricht.

Die DHV ist unter anderem der Ansicht, dass das Verfahren missbräuchlich eingeleitet und dadurch motiviert sei, sie als Konkurrenzgewerkschaft aus dem gewerkschaftlichen Wettbewerb zu verdrängen. Zudem dürfte die Beurteilung der Durchsetzungsmacht nicht lediglich organisationsbereichs- und mitgliederbezogen erfolgen. Die Tariffähigkeit der DHV war in der Vergangenheit mehrfach Gegenstand von Gerichtsverfahren.

Die Entscheidung

Der Antrag ist begründet und die DHV seit dem 21. April 2015 nicht tariffähig. Das Bundesarbeitsgericht stellte zunächst fest, dass weder das Grundgesetz (GG) noch das Tarifvertragsgesetz (TVG) ausdrücklich regeln, wann eine Arbeitnehmendenkoalition als tariffähig und damit als Gewerkschaft anzusehen ist. Solange die Gesetzgebenden auf die Normierung der Voraussetzungen für die Gewerkschaftseigenschaft und die Tariffähigkeit im Einzelnen verzichten, sei es Aufgabe der Arbeitsgerichte, den unbestimmten Rechtsbegriff durch Auslegung im Lichte des Art. 9 Absatz 3 GG (Koalitionsfreiheit) auszufüllen. Danach muss eine Vereinigung von Arbeitnehmenden bestimmte Mindestvoraussetzungen erfüllen, um tariffähig zu sein.

Die Koalition müsse sich als satzungsgemäße Aufgabe die Wahrung der Interessen ihrer Mitglieder in deren Eigenschaft als Arbeitnehmende gesetzt haben und willens sein, Tarifverträge zu schließen. Zudem müsse sie frei gebildet, gegnerfrei, unabhängig und auf überbetrieblicher Grundlage organisiert sein und das geltende Tarifrecht als verbindlich anerkennen. Schließlich müsse sie über Durchsetzungskraft gegenüber dem sozialen Gegenspieler und über eine leistungsfähige Organisation verfügen.

Gemessen an diesen Voraussetzungen sei die DHV seit dem 21. April 2015 nicht tariffähig. Zwar habe sie sich nach ihrer Satzung die Aufgabe gestellt, die Interessen ihrer Mitglieder in deren Eigenschaft als Arbeitnehmende wahrzunehmen. Auch sei sie willens, Tarifverträge zu schließen.

Zudem sei davon auszugehen, dass sie frei und auf überbetrieblicher Grundlage gebildet ist, das geltende Tarifrecht als verbindlich anerkennt sowie eigenständig und gegnerunabhängig ist. Allerdings besäße die DHV bezogen auf ihren mit der Satzung 2014 beanspruchten Organisationsbereich nicht die erforderliche Durchsetzungsfähigkeit. Das Bundesarbeitsgericht entschied in seiner Gesamtwürdigung, dass der DHV die hinreichende soziale Mächtigkeit in einem zumindest nicht unerheblichen Teil ihres beanspruchten Zuständigkeitsbereichs fehlt. Für die Beurteilung, ob der Mitgliederbestand einer Koalition von Arbeitnehmenden deren Durchsetzungsfähigkeit indiziert, komme es auf ihre Organisationsstärke in dem von der Vereinigung selbst gewählten räumlichen, fachlichen und gegebenenfalls persönlichen Organisationsbereich an.

Mit dem Erfordernis der Durchsetzungskraft solle die Gegen- und Gleichgewichtigkeit der Tarifvertragspartner zum Zwecke der Gewährleistung angemessener Tarifvertragsregelungen sichergestellt werden. Die Tariffähigkeit ist die rechtliche Fähigkeit, im selbst beanspruchten Organisationsbereich wirksam Tarifverträge mit dem sozialen Gegenspieler abzuschließen. Mit der Ausgestaltung ihres Organisationsbereichs lege die Koalition ihre Tarifzuständigkeit fest. Die Selbstbestimmung über ihre innere Ordnung sei wesentlicher Teil der durch Art. 9 Absatz 3 GG gewährleisteten Koalitionsfreiheit. Damit habe die jeweilige Vereinigung es selbst in der Hand, über den Umfang ihrer reklamierten Zuständigkeit zu entscheiden. Ausreichend für die Organisationsstärke sei es, wenn erwartet werden kann, dass sie von der Gegenpartei ernst genommen wird und die Regelungen der Arbeitsbedingungen ausgehandelt werden können.

Auch bei Zugrundelegung eines großzügigen Bewertungsmaßstabs rechtfertigten die von der DHV vorgebrachten Mitgliederzahlen nicht die Annahme, dass sie über eine Durchsetzungsmacht verfüge, die ausreichen würde, um sich in dem für eine sinnvolle Ordnung und Befriedung des Arbeitslebens erforderlichen Mindestumfang gegenüber dem sozialen Gegenspieler durchsetzen zu können. Eine derartig geringe Organisationsstärke in einem sich räumlich auf alle Bundesländer und fachlich auf etliche ungleiche Bereiche erstreckenden Gebiet biete keine ausreichende Gewähr dafür, dass die DHV über ein Druckpotential verfüge, welches sie in hinreichendem Maße in die Lage versetze, tarifliche Regelungen auszuhandeln, die den Interessen beider Seiten angemessen gerecht werden.

Unabhängig davon hat das Gericht festgestellt, dass der Gesamtorganisationsgrad der DHV – ausgehend von ihren in der Satzung 2014 reklamierten Zuständigkeiten – tatsächlich auch unterhalb von einem Prozent liegt und dass die DHV auch nicht durch ihr sonstiges Vorbringen ihre soziale Mächtigkeit belegt hat.

Das Fazit

Das Urteil zeigt, dass die Funktionsfähigkeit der Tarifautonomie nur bei einer realen Durchsetzungsfähigkeit und Geschlossenheit einer Vereinigung von Arbeitnehmenden gegeben ist. Somit muss eine Vereinigung über ein hinreichendes mitgliederbegründetes Druckpotential gegenüber dem sozialen Gegenspieler verfügen, um als Gewerkschaft zu gelten.

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