dbb magazin 5/2019 - page 16

standpunkt
Die Fragen nach der Zukunft
und der Finanzierung der Eu­
ropäischen Union sind unbe­
antwortet. Und beide Fragen
sind untrennbar verbunden
mit dieser Wahl. Wo es aber
starke europäische Führungs­
mächte bräuchte, reden
Deutschland und Frankreich
größtenteils aneinander vor­
bei. Während in mehreren
EU-Staaten Demokratie und
Rechtsstaatlichkeit ausge­
höhlt werden, vielerorts be­
reits europaskeptische Popu­
listen mitregieren, drohen
Europa und die Welt in eine
wirtschaftliche Schwäche­
phase abzurutschen. Europa
ist stark mit sich selbst be­
schäftigt, während sich die
Machtverhältnisse in der
Welt rasant ändern. Nationa-
le Kurzsichtigkeit behindert
den Blick aufs Ganze.
Wünschenswert wäre deshalb
ein Europawahlkampf, in dem
vor allem die Spitzenkandida­
ten der europäischen Parteifa­
milien mit ihren Zukunftsideen
und Strategien sichtbar wer­
den und die Parteien engagiert
über europäische Zukunftsfra­
gen streiten.
<<
Steht Europa vor
einer Schicksalswahl?
Zweifelsohne bedeutet dieses
Frühjahr eine Zitterpartie für
Europa. Das liegt nicht nur an
den Irrungen und Wirrungen
des Brexits. Vom 23. bis 26. Mai
finden die Wahlen zum Europä­
ischen Parlament statt. Die
Wahlen erfolgen zu einem Zeit­
punkt, zu dem populistische
und extremistische Parteien
und Bewegungen in praktisch
allen EU-Staaten viel Zuspruch
erfahren. Werden diese Kräfte
im Europäischen Parlament zu
stark, können sie die europäi­
sche Politik blockieren. Die
Zeiten, in denen eine Große Ko­
alition aus Christ- und Sozial­
demokraten im Europäischen
Parlament Mehrheiten sicher­
stellte, sind mit hoher Wahr­
scheinlichkeit vorbei. Dreier-
wenn nicht sogar Viererbünd-
nisse werden erforderlich sein,
umMehrheiten im Parlament
zu ermöglichen. Gelingt das
nicht, droht der Europäischen
Union die Handlungsunfähig­
keit. Denn das Europäische Par­
lament nimmt inzwischen eine
so bedeutende Stellung im Ge­
füge der Europäischen Instituti­
onen ein, dass seine Lähmung
automatisch auch die Europäi­
sche Union insgesamt lähmen
müsste.
<<
Was eigentlich
wichtig wäre
Müsste es nicht um die 2017
begonnene Zukunftsdebatte
gehen? Welches Europa wollen
die Bürgerinnen und Bürger,
und welche konkreten Ange­
bote machen ihnen dazu die
Parteien? Zwar wird hinter den
Kulissen längst um die künftige
Finanzierung der EU, den nächs­
ten mehrjährigen Finanzrah­
men, gerungen. Es fehlt aber im
öffentlichen Raum an einer für
die Menschen verständlichen
Erzählung über die Notwendig­
keit eines handlungsfähigen
Europas. Die Wahlprogramme
der Parteien übersetzen eher
die Identität dieser Parteien in
europapolitische Detailforde­
rungen, als dass sie ein schlüssi­
ges Gesamtkonzept für Europa
entwerfen.
Dabei ließen sich Details und
große Fragen durchaus zusam­
mendenken. Was kann europäi­
sche Politik zum Beispiel für den
Zusammenhalt der Europäerin­
nen und Europäer tun, ohne die
bestehenden Zuständigkeiten
zwischen Union und Mitglied­
staaten infrage zu stellen? Mehr
leistungsgerechte Besteuerung
in Europa wäre ein Großthema,
das angesichts seiner Komplexi­
tät und der internationalen
wirtschaftlichen Verflechtung
auch genau auf die europäische
Ebene gehört. Die Frage der
Steuergerechtigkeit, der effekti­
ven Bekämpfung von Steuerver­
meidung und Steuerbetrug und
aggressiver Steuerplanung ist
vielleicht die wichtigste soziale
Frage Europas. An ihr hängt
nicht zuletzt die Finanzierbar­
Dreier- wenn nicht sogar Viererbündnisse werden
erforderlich sein, um Mehrheiten im Parlament
zu ermöglichen. (...) sonst droht der Europäischen
Union die Handlungsunfähigkeit.
Am 26. Mai ist Europawahl
Diesmal geht es
um wirklich viel!
Noch wird der Europawahlkampf ganz vom
Brexit-Geschehen überlagert, der Blick auf die
Europawahl verdeckt. Diese ist aber angesichts
des Sturmangriffs der Europagegner weit mehr
als nur eine „kleine Bundestagswahl“.
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