dbb magazin 6/2019 - page 34

menschen mit behinderungen
Urteil zum besonderen Kündigungsschutz für Menschen mit Behinderung
Bundesarbeitsgericht setzt falsches Signal
Das Bundesarbeitsgericht hat sich in seinem
Urteil vom 16. Mai 2019 mit dem besonderen
Kündigungsschutz von schwerbehinderten
Menschen beschäftigt. Konkret geht es um
einen Schwerbehinderten, dessen Arbeitgeber
ihn aufgrund einer Umstrukturierung wegen
Insolvenz betriebsbedingt gekündigt hatte.
Fraglich war, ob einer betriebs­
bedingten Kündigung der be­
sondere Kündigungsschutz
und der damit verbundene
Beschäftigungsanspruch für
Menschen mit Behinderung
entgegensteht. Das Bundesar­
beitsgericht hat dies in seiner
Entscheidung verneint. Nach
Ansicht des Gerichts gelte der
Beschäftigungsanspruch nur,
wenn eine Weiterbeschäfti­
gungsmöglichkeit besteht. Im
konkreten Fall sei der Arbeits­
platz wegen einer Umstruktu­
rierung weggefallen. Der Ar­
beitgeber sei nicht verpflichtet,
„für den Kläger einen Arbeits­
platz zu schaffen oder zu erhal­
ten, den er nach dem
Organisationskonzept
nicht mehr benötige“.
„Seit Jahren kritisieren wir,
dass die Inklusion von Men­
schen mit Behinderungen
auf dem regulären Arbeits­
markt stark zu wünschen
übrig lässt. Der dbb fordert
eine deutliche Anhebung der
Beschäftigungspflichtquote
und der Ausgleichsabgabe.
Das aktuelle Urteil weist ge-
nau in die entgegengesetzte
Richtung: Umstrukturierungen
bieten Arbeitgebern künftig
die Möglichkeit, schwerbehin­
derte Kolleginnen und Kolle­
gen betriebsbedingt zu kündi­
gen und so den besonderen
Kündigungsschutz auszuhe­
beln“, machte die stellvertre­
tende dbb Bundesvorsitzende
Kirsten Lühmann am 17. Mai
2019 in Berlin deutlich.
Besonders im nun entschiede­
nen Fall, wo im Zuge eines In­
teressenausgleichs Arbeiten
umverteilt werden, Arbeitsstel­
len wegfallen und die anfallen­
den Arbeiten durch Kollegen
aufgefangen werden, ist die
Kündigung unverständlich.
„Es zeigt mal wieder, wie wich­
tig die weitere Stärkung der
Schwerbehindertenvertretun­
gen ist, die aus Sicht des dbb
mit den Neuregelungen zum
Bundesteilhabegesetz keines­
falls ihr Ende gefunden haben
dürfen“, so Lühmann.
Änderungen an den Rechtsgrundlagen der Versorgungsmedizin
Nicht zulasten der Menschen mit Behinderung
Der dbb hat sich erneut gegen Änderungen an
den rechtlichen Grundlagen der Versorgungsme­
dizin ausgesprochen, die zulasten der Menschen
mit Behinderung gehen.
„Wir werden das Gesetzge­
bungsverfahren zur Novellie­
rung der Versorgungsmedizin-
Verordnung weiterhin kritisch
begleiten, um Verschlechterun­
gen für die Menschen mit Be­
hinderung zu verhindern“, be­
tonte die stellvertretende dbb
Bundesvorsitzende Kirsten Lüh­
mann am 2. Mai 2019 bei der
dbb Arbeitsgemeinschaft Be­
hindertenpolitik in Berlin. Maik
Wagner, ebenfalls stellvertre­
tender dbb Bundesvorsitzender
und Chef der Gewerkschaft der
Sozialversicherung (GdS), er­
gänzte: „Natürlich muss nach
über 20 Jahren ohne Reform
demmedizinisch-technischen
Fortschritt Rechnung getragen
werden. Auch das Ziel, Bürokra­
tie abzubauen, ist lobenswert.
Allerdings führt etwa die Zu­
grundelegung des bestmögli­
chen Behandlungsergebnisses
zu einer Verschiebung des Ver­
waltungsaufwandes hin zu den
Betroffenen. So verstehen wir
Bürokratieabbau ganz und gar
nicht.“ Bereits mehrfach hatte
sich der dbb zur geplanten No­
velle in der Versorgungsmedizin
positioniert und immer wieder
eine intensive Verbändebeteili­
gung eingefordert.
Auch der Beauftragte der Bun­
desregierung für die Belange
von Menschen mit Behinderun­
gen, Jürgen Dusel, sieht noch
einige weitere Baustellen, wenn
es um die Teilhabe von Men­
schen mit Behinderungen am
Arbeitsleben geht. Bei seinem
Besuch der dbb AG Behinderten­
politik sagte er, dass er sich zum
einen wünsche, dass der öffent­
liche Dienst seiner Vorbildfunk­
tion im stärkeren Maße gerecht
wird. Zum anderen erwarte er
von denjenigen beschäftigungs­
pflichtigen Arbeitgebern, die
keinen einzigen Menschen mit
Behinderung einstellen, ein
deutliches Umdenken. Notfalls
müsste auch die Ausgleichsab­
gabe für diesen Bereich deutlich
erhöht werden. „Wir müssen
uns an die Regeln halten, die wir
uns selbst gegeben haben“, so
Dusel. Außerdemmahnt er, den
Behindertenpauschbetrag im
Einkommenssteuerrecht, der
seit der Einführung 1975 nicht
mehr erhöht worden ist, deut­
lich anzupassen: „Dies ist auch
ein Gebot der sozialen Gerech­
tigkeit. Es freut mich sehr zu hö­
ren, dass der dbb meine Vorha­
ben unterstützt.“
© Colourbox.de/Phovoir
34
dbb
>
dbb magazin | Juni 2019
1...,24,25,26,27,28,29,30,31,32,33 35,36,37,38,39,40,41,42,43,44,...48
Powered by FlippingBook