Bund und Kommunen
Ablösung von Tarifverträgen bei Betriebsübergang
Eine Ablösung der beim Veräußerer normativ wirkenden Rechte und Pflichten aus einem Tarifvertrag durch denselben Regelungsgegenstand betreffende tarifvertragliche Regelungen des Erwerbers erfordert eine kongruente Tarifbindung.
Die Ablösung erfolgt grundsätzlich unabhängig davon, ob sich für die übergegangenen Arbeitsverhältnisse die Arbeitsbedingungen verbessern oder verschlechtern (BAG, Urteil vom 23. Januar 2019, Aktenzeichen 445/17).
Der Fall
Die gewerkschaftlich organisierte Klägerin ist seit dem 1. September 1981 im Klinikum der Beklagten und deren Rechtsvorgängerinnen beschäftigt. Zunächst wurde das Klinikum als Eigenbetrieb eines Landkreises betrieben und es fanden der BAT und später der TVöD-K VKA Anwendung. Im Jahr 2007 ging das Klinikum im Wege eines Betriebsübergangs auf die Rechtsvorgängerin der Beklagten über. Dort galten Haustarifverträge. Zum 1. November 2013 ging das Arbeitsverhältnis der Klägerin aufgrund eines weiteren Betriebsübergangs auf die Beklagte über. Bei dieser galt seit März 2006 ein Haustarifvertrag (AMEOS-HTV), den die Gewerkschaft zum 31. Dezember 2010 kündigte. Noch vor dem Betriebsübergang vereinbarten die Gewerkschaft und die Beklagte einen Änderungstarifvertrag, der nach seinem Wortlaut lediglich die Entgeltregelungen des gekündigten Haustarifvertrags ändern und ansonsten für den gesamten Bereich des Klinikums gelten sollte. Am 7. November 2013 informierte die Beklagte die Klägerin schriftlich über den Betriebsübergang und teilte ihr mit, dass bei tarifgebundenen Arbeitsverhältnissen und Arbeitsverhältnissen mit einer arbeitsvertraglichen Bezugnahmeklausel auf das jeweils anwendbare Tarifrecht „die bisherigen tarifvertraglichen Regelungen … durch den Tarifvertrag von AMEOS abgelöst“ würden. Die Klägerin erhält seither bei einer längeren regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit ein geringeres Monatsentgelt. Sie ist der Auffassung, dass sich ihr Arbeitsverhältnis weiterhin nach den bei der Rechtsvorgängerin geltenden Tarifverträgen richte. Das Klinikum werde vom betrieblichen Geltungsbereich des AMEOS-HTV nicht erfasst. Zudem habe der Tarifvertrag aufgrund seiner Kündigung zum Zeitpunkt des Betriebsübergangs nur noch nachgewirkt. Es fehle daher an einer kongruenten Tarifbindung. Eine Ablösung der Tarifverträge führte zudem zu einer unionsrechtswidrigen Verschlechterung der Arbeitsbedingungen.
Die Entscheidung
Das Bundesarbeitsgericht (BAG) wies die Revision der Klägerin zurück. Diejenigen Rechte und Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis, die durch die tariflichen Bestimmungen des Haustarifvertrags der Veräußerin geregelt waren, sind nicht infolge des Betriebsübergangs am 1. November 2013 nach § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB Inhalt des Arbeitsverhältnisses mit der Beklagten geworden. Vielmehr sind sie durch die Regelungen des AMEOS-HTV in der Fassung des Änderungstarifvertrags nach
§ 613a Abs. 1 Satz 3 BGB abgelöst worden. Demnach gilt § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB nicht, wenn die vormals durch einen normativ geltenden Tarifvertrag bestimmten Rechte und Pflichten durch Rechtsnormen eines anderen Tarifvertrags mit demselben Regelungsgegenstand, an den der Betriebserwerber und der Arbeitnehmer gebunden sind – kongruente Tarifgebundenheit – geregelt werden. Die Normen des zunächst gekündigten Haustarifvertrags seien durch den vor dem Betriebsübergang abgeschlossenen Änderungstarifvertrag komplett wieder in Kraft gesetzt worden. Indem die Tarifvertragsparteien in dessen Präambel ausdrücklich von der Abänderung der bestehenden Entgeltregelung gemäß Haustarifvertrag ausgegangen sind, hätten sie die nicht von der Änderung betroffenen Regelungen wieder als unmittelbar und zwingend angesehen. Außerdem fehlen Anhaltspunkte für die Annahme, dass neben der Vergütungshöhe die übrigen Regelungen aufgrund der Nachwirkung nur für die Bestandsmitarbeiter gelten sollen.
Die Anordnung des Ablöseprinzips erfolge unabhängig von dem sonst geltenden Günstigkeitsprinzip nach § 4 Abs. 3 Tarifvertragsgesetz. Das stehe auch im Einklang mit dem Unionsrecht. Aus der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) in der Rechtssache „Scattolon“ – Urteil vom 6. September 2011, Aktenzeichen C-108/10 – folge nach Auffassung des BAG kein allgemeines Verschlechterungsverbot.
Fazit
Anders als bei der individualvertraglichen Bezugnahme auf Tarifverträge bedarf es eines kollektivrechtlich begründeten Mindeststandards beim Betriebsübergang nach § 613a Abs. 1 Satz 3 BGB dann nicht, wenn ein für das Arbeitsverhältnis aufgrund kongruenter Tarifgebundenheit des Erwerbers und des Arbeitnehmers legitimierter Mindeststandard vorhanden ist. Dieser kann für den Arbeitnehmer auch ungünstigere Arbeitsbedingungen vorsehen. Das Urteil des EuGH in der Rechtssache „Scattolon“ steht nach Auffassung des BAG dem nicht entgegen. Dort habe der EuGH entschieden, dass der tarifvertragliche Gestaltungsspielraum bei der Regelung zur Integration übergehender Arbeitnehmer nicht zum Ziel oder zur Folge haben dürfe, dass sich die Arbeitsbedingungen insgesamt verschlechtern.