Bund und Kommunen
Wartezeitkündigung wegen symptomloser HIV-Infektion – Behinderung
Kündigt ein Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis eines an einer HIV-Infektion erkrankten Arbeitnehmers in der gesetzlichen Wartezeit des § 1 Kündigungsschutzgesetz (KSchG) wegen der HIV-Infektion, ist die Kündigung im Regelfall diskriminierend und damit unwirksam, wenn der Arbeitgeber durch angemessene Vorkehrungen den Einsatz des Arbeitnehmers trotz seiner Behinderung hätte ermöglichen können (BAG, Urteil vom 19. Dezember 2013, Aktenzeichen 6 AZR 190/12).
Der Fall
Der an einer symptomlosen HIV-Infektion erkrankte Kläger wurde von der Beklagten, die intravenös verabreichte Arzneimittel zur Krebsbehandlung herstellt, im Jahr 2010 als Chemisch-Technischer Assistent für eine Tätigkeit im so genannten Reinraum eingestellt. Anlässlich seiner Einstellungsuntersuchung wenige Tage nach Beginn des Arbeitsverhältnisses wies der Kläger den Betriebsarzt auf seine Infektion hin. Der Arzt äußerte Bedenken gegen einen Einsatz des Klägers im Reinraumbereich und teilte der Beklagten die HIV-Infektion des Klägers mit. Noch am selben Tag kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis ordentlich und begründete dies damit, dass sie den Kläger wegen seiner ansteckenden Krankheit nach ihrem internen Regelwerk nicht einsetzen könne. Der Kläger hat geltend gemacht, er sei behindert und die Kündigung sei unwirksam, weil sie ihn wegen seiner Behinderung diskriminiere. Er hat auch eine Entschädigung nach § 15 Abs. 2 Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz (AGG) von drei Monatsgehältern wegen seines immateriellen Schadens verlangt.
Die Entscheidung
Das BAG hat entschieden, dass chronische Erkrankungen zu einer Behinderung führen können. Ein Arbeitnehmer, der an einer symptomlosen HIV-Infektion erkrankt ist, ist in diesem Sinn behindert. Die Kündigung benachteiligt den Kläger unmittelbar gemäß § 3 Abs. 1 AGG, weil sie in untrennbarem Zusammenhang mit seiner Behinderung steht. Kündigt der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis eines solchen Arbeitnehmers in der gesetzlichen Wartezeit des § 1 KSchG wegen der HIV-Infektion, ist die Kündigung im Regelfall diskriminierend und damit unwirksam, wenn der Arbeitgeber durch angemessene Vorkehrungen den Einsatz des Arbeitnehmers trotz seiner Behinderung ermöglichen kann.
Das Fazit
Das Urteil ist zu begrüßen. Die gesellschaftliche Teilhabe von HIV-Infizierten ist typischerweise durch Stigmatisierung und soziales Vermeidungsverhalten beeinträchtigt, die auf die Furcht vor einer Infektion zurückzuführen sind. Ob die Kündigung gleichwohl gerechtfertigt ist, steht noch nicht fest. Das Landesarbeitsgericht muss noch aufklären, ob die Beklagte durch angemessene Vorkehrungen den Einsatz des Klägers im Reinraum hätte ermöglichen können. Ist das nicht der Fall, ist die Kündigung dennoch wirksam. Ob dem Kläger eine Entschädigung zusteht, hängt auch von der Frage ab, ob die Kündigung wirksam ist.