Bund und Kommunen
Schadensersatz wegen zu weniger Kita-Plätze
Es liegt eine Amtspflichtverletzung vor, wenn der zuständige Träger der öffentlichen Jugendhilfe einem gemäß § 24 Abs. 2 Sozialgesetzbuch (SGB) VIII anspruchsberechtigten Kind trotz rechtzeitiger Anmeldung des Bedarfs keinen Betreuungsplatz zur Verfügung stellt. Den betroffenen Eltern steht ein Anspruch auf Schadensersatz zu (BGH, Urteile vom 20. Oktober 2016, Aktenzeichen III ZR 278/15, 302/15 und 303/15).
Der Fall
Die Klägerinnen der drei Parallelverfahren beabsichtigten, jeweils nach Ablauf der einjährigen Elternzeit ihre Vollzeit-Berufstätigkeit wieder aufzunehmen. Unter Hinweis darauf meldeten sie für ihre Kinder wenige Monate nach der Geburt bei der beklagten Stadt Bedarf für einen Kinderbetreuungsplatz für die Zeit ab der Vollendung des ersten Lebensjahrs an. Zum gewünschten Termin erhielten die Klägerinnen von der Beklagten keinen Betreuungsplatz nachgewiesen. Für den Zeitraum zwischen der Vollendung des ersten Lebensjahrs ihrer Kinder und der späteren Zurverfügungstellung eines Betreuungsplatzes verlangen die Klägerinnen Ersatz des ihnen entstandenen Verdienstausfalls.
Die Entscheidung
Der Bundesgerichtshof (BGH) hat im Einklang mit den beiden Vorinstanzen das Vorliegen einer Amtspflichtverletzung der beklagten Stadt bejaht. Eine Amtspflichtverletzung liegt bereits dann vor, wenn der zuständige Träger der öffentlichen Jugendhilfe einem gemäß § 24 Abs. 2 SGB VIII anspruchsberechtigten Kind trotz rechtzeitiger Anmeldung des Bedarfs keinen Betreuungsplatz zur Verfügung stellt. Die betreffende Amtspflicht ist nicht durch die vorhandene Kapazität begrenzt. Vielmehr ist der verantwortliche öffentliche Träger der Jugendhilfe gehalten, eine ausreichende Zahl von Betreuungsplätzen selbst zu schaffen oder durch geeignete Dritte – freie Träger der Jugendhilfe oder Tagespflegepersonen – bereitzustellen. Insoweit trifft ihn eine unbedingte Gewährleistungspflicht. Die Amtspflicht bezweckt auch den Schutz der Interessen der personensorgeberechtigten Eltern. In den Schutzbereich der Amtspflicht fallen dabei auch Verdienstausfallschäden, die Eltern dadurch erleiden, dass ihre Kinder keinen Betreuungsplatz erhalten. Zwar steht der Anspruch auf einen Betreuungsplatz allein dem Kind selbst zu und nicht auch seinen Eltern. Die Einbeziehung der Eltern und ihres Erwerbsinteresses in den Schutzbereich der Amtspflicht ergibt sich aber aus der Regelungsabsicht des Gesetzgebers sowie dem Sinn und Zweck und der systematischen Stellung von § 24 Abs. 2 SGB VIII. Wegen noch ausstehender Feststellungen zum Verschulden der Bediensteten der Beklagten und zum Umfang des erstattungsfähigen Schadens hat der BGH die Verfahren nicht abschließend entschieden, sondern an das Berufungsgericht zurückverwiesen und darauf hingewiesen, dass sich die Beklagte zu ihrer Entlastung nicht auf allgemeine finanzielle Engpässe berufen kann, weil sie nach der gesetzgeberischen Entscheidung für eine ausreichende Anzahl an Betreuungsplätzen grundsätzlich uneingeschränkt – insbesondere ohne „Kapazitätsvorbehalt“ – einstehen muss.
Das Fazit
Die Entscheidung ist zu begrüßen. Seit August 2013 haben Eltern einen Rechtsanspruch auf einen Kitaplatz. Mit dem Kinderförderungsgesetz, insbesondere der Einführung des Anspruchs nach § 24 Abs. 2 SGB VIII, beabsichtigte der Gesetzgeber neben der Förderung des Kindeswohls auch die Entlastung der Eltern zugunsten der Aufnahme oder Weiterführung einer Erwerbstätigkeit. Es ging ihm aber auch um die Verbesserung der Vereinbarkeit von Beruf und Familie und der Schaffung von Anreizen für die Erfüllung von Kinderwünschen. Diese Regelungsabsicht hat auch im Gesetzestext ihren Niederschlag gefunden. Sie findet sich insbesondere in den Förderungsgrundsätzen des § 22 Abs. 2 SGB VIII bestätigt. Der Gesetzgeber hat hiermit zugleich der Erkenntnis Rechnung getragen, dass Kindes- und Elternwohl sich gegenseitig bedingen und ergänzen und zum gemeinsamen Wohl der Familie beitragen. Auf hohe Schulden und klamme Kassen der Kommunen nehmen die BGH-Richter keine Rücksicht. Das Problem ist allerdings viel komplexer. In den Kitas fehlt Personal. Es sind Förderprogramme für die Weiterqualifizierung erforderlich. Allein werden die Kommunen diese Aufgabe wohl nicht stemmen können. Der Bund sollte sich stärker finanziell beteiligen, wenn er es mit der frühkindlichen Bildung und mit der Vereinbarkeit von Beruf und Familie ernst meint.