Bund und Kommunen
Polemik gegen Behörden ist erlaubt
Das Recht, Maßnahmen der öffentlichen Gewalt ohne Furcht vor staatlichen Sanktionen auch scharf kritisieren zu können, gehört zum Kernbereich der Meinungsfreiheit (BVerfG, Beschluss vom 24. Juli 2013, Aktenzeichen 1 BvR 444/13, 1 BvR 527/13).
Der Fall
Die Beschwerdeführer sind Mitarbeiter einer Flüchtlingsorganisation. Im Jahre 2010 haben sie anlässlich des „Antirassismustag 2010“dem Rechtsamt der Stadt B. sowie einer namentlich genannten Sachbearbeiterin des Rechtsamts einen im Internet veröffentlichten „Denkzettel für strukturellen und systeminternen Rassismus“ verliehen. Die Begründung des „Denkzettels“ kritisierte, dass die Behörde einem Flüchtling wider besseres Wissen eine Vortäuschung seiner fachärztlich bescheinigten Gehörlosigkeit unterstellt habe, um Gründe für eine Ablehnung der Aufenthaltserlaubnis vorbringen zu können.
Das Amtsgericht verurteilte die Beschwerdeführer wegen übler Nachrede zu Lasten der Sachbearbeiterin. Da das Landgericht die Berufung wegen offensichtlicher Unbegründetheit nicht zur Entscheidung annahm, haben die Beschwerdeführer Verfassungsbeschwerde eingelegt.
Die Entscheidung
Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) sah in der gerichtlichen Entscheidung eine Verletzung der Beschwerdeführer in ihrem Grundrecht auf Meinungsfreiheit gemäß Art. 5 Abs. 1 Satz 1 Grundgesetz (GG). Das BVerfG hat gerügt, dass die Annahme einer Tatsachenbehauptung fehlerhaft ist. Eine Trennung der tatsächlichen und der wertenden Bestandteile einer Äußerung ist nach Ansicht des BVerfG nur zulässig, wenn dadurch ihr Sinn nicht verfälscht wird. Wo dies nicht möglich ist, muss die Äußerung im Interesse eines wirksamen Grundrechtsschutzes insgesamt als Meinungsäußerung angesehen werden, weil andernfalls eine wesentliche Verkürzung des Grundrechtsschutzes droht. Das BVerfG betont außerdem, dass der Begriff der Schmähkritik eng definiert ist. Eine überzogene oder gar ausfällige Kritik macht eine Äußerung für sich genommen noch nicht zur Schmähung. Hinzutreten muss vielmehr, dass bei der Äußerung nicht mehr die Auseinandersetzung in der Sache, sondern die Diffamierung der Person im Vordergrund steht. Vorliegend steht mit der Äußerung aber nicht die Sachbearbeiterin in ihrer Funktion im Fokus der Kritik. Das BVerfG betont, dass Maßnahmen der öffentlichen Gewalt ohne Furcht vor staatlichen Sanktionen auch scharf kritisieren zu können, zum Kernbereich der Meinungsfreiheit gehört und bei der Abwägung besonders zu berücksichtigen ist. Die Meinungsfreiheit erlaubt es insbesondere nicht, die Beschwerdeführer auf das zur Kritik am Rechtsstaat Erforderliche zu beschränken und ihnen damit ein Recht auf polemische Zuspitzung abzusprechen.
Das Fazit
Die Entscheidung verdeutlicht, dass die Instanzgerichte die Bedeutung und Reichweite der Meinungsfreiheit immer noch häufig verkennen. Das BVerfG hat daher mit dieser Entscheidung das Recht auf freie Meinungsäußerung gestärkt. Insbesondere bei Äußerungen in einer die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Frage kann nach Ansicht des BVerfG eine Schmähung nur selten angenommen werden.