Bund und Kommunen
Arbeitsunfähigkeit trotz behauptetem „fröhlichen Bummelns“ und Besuchs einer Gartenparty möglich
Weder der Besuch einer Feierlichkeit noch des innerstädtischen Einkaufsviertels sind geeignet, den Beweiswert einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung zu erschüttern (LAG Sachsen, Urteil vom 30. Mai 2024, Aktenzeichen 4 Sa 17/23).
Der Fall
Die Klägerin war bei der Beklagten seit 2019 als Datenerfasserin tätig. Laut Arbeitsvertrag standen ihr 25 Tage Jahresurlaub zu. Vom 21. Juni 2021 bis zum 2. Juli 2021 war sie ausweislich einer vorgelegten Bescheinigung arbeitsunfähig erkrankt.
Mit Schreiben vom 30. Juni 2021 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis zum 31. Juli 2021. Für den Zeitraum zwischen Kündigung und Ende des Arbeitsverhältnisses stellte sie die Klägerin unter Anrechnung der restlichen Urlaubsansprüche frei. Die Klägerin legte weitere Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen bis einschließlich 15. August 2021 vor. Am 16. August trat sie eine neue Stelle an.
Danach mahnte die Klägerin vergeblich die Zahlung noch ausstehender Urlaubsabgeltung für 16 Urlaubstage an. Die Beklagte war der Ansicht, sie habe den Urlaubsanspruch bereits durch die Freistellung erfüllt. Die Arbeitsunfähigkeit der Klägerin während des Freistellungszeitraums zweifelte sie an. Die Klägerin habe in diesem Zeitraum eine bis spät in die Nacht dauernde Gartenparty besucht und sei zudem mehrmals „fröhlich bummelnd“ in der Leipziger Innenstadt gesehen worden.
Die Entscheidung
Das Landesarbeitsgericht (LAG) gab der Klägerin Recht. Die Beklagte habe den Urlaubsanspruch nicht dadurch erfüllen können, dass sie die Beklagte im Anschluss an die Kündigung freigestellt habe.
Der Urlaubsanspruch könne nur erfüllt werden, wenn im fraglichen Zeitraum überhaupt eine Arbeitspflicht bestanden habe. Bei einer vorliegenden Arbeitsunfähigkeit sei das nicht der Fall. Wenn die Beschäftigte also im Zeitraum der Freistellung arbeitsunfähig erkrankt war, habe der Urlaubsanspruch nicht durch die Freistellung erfüllt werden können.
Die Klägerin sei auch arbeitsunfähig erkrankt gewesen. Das habe sie durch die Vorlage der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen nachgewiesen. Die Behauptungen der Arbeitgeberin seien nicht geeignet, den Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen der Klägerin zu erschüttern.
Den hohen Beweiswert einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung könnten Arbeitgebende nur dadurch erschüttern, dass sie tatsächliche Umstände darlegten und im Bestreitensfall bewiesen, die Zweifel an der Erkrankung der Arbeitnehmenden ergäben.
Weil Arbeitgebende in aller Regel keine Kenntnis von den Krankheitsursachen haben, dürften zwar an deren Vortrag zur Erschütterung des Beweiswerts der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung keine überhöhten Anforderungen gestellt werden. Nach den Angaben der Klägerin war Grund für die Arbeitsunfähigkeit aber eine „psychogene Erschöpfung“. Bei einem solchen Krankheitsbild spreche weder der Besuch einer „Gartenparty“ noch das Tätigen von Besorgungen in der Innenstadt gegen eine Arbeitsunfähigkeit. Selbst wenn der entsprechende Vortrag der Arbeitgebenden zutreffend sei, sei er demnach nicht geeignet, den Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung in Zweifel zu ziehen.
Das Fazit
Erneut bekräftigt das LAG den hohen Beweiswert von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen. Darüber hinaus wird deutlich: Ein Verhalten, dass bei der einen Erkrankung Zweifel an der Arbeitsunfähigkeit begründen könnte, kann bei einer anderen völlig unbeachtlich sein. Insbesondere bei psychischen Erkrankungen kann Beschäftigten nicht verwehrt werden, während der Erkrankung unter Leute zu gehen.