Bund und Kommunen
Kündigungsschutz für Menschen mit Behinderung
Arbeitgebende können bei dauerhafter Berufsunfähigkeit infolge Arbeitsunfalls das Arbeitsverhältnis nicht ohne Weiteres beenden, ohne Beschäftigte an einen geeigneten Arbeitsplatz umzusetzen und angemessene Vorkehrungen zur Weiterbeschäftigung zu treffen (Europäischer Gerichtshof, Urteil vom 18. Januar 2024, Aktenzeichen C-631/22).
Der Fall
Der Kläger war seit Oktober 2012 in Vollzeit als Fahrer für die Hausmüllabfuhr in Spanien tätig. 2016 erlitt er einen Arbeitsunfall, der zur vorübergehenden Arbeitsunfähigkeit führte. 2018 entschied das spanische Nationalversicherungsamt diese vorübergehende Arbeitsunfähigkeit zu beenden und eine pauschale Entschädigung wegen bleibender Schäden zu gewähren. Eine dauerhafte Berufsunfähigkeit lehnte das Amt ab. Anschließend versetzte der Arbeitgeber von sich aus den Arbeitnehmer auf einen den Folgen seines Arbeitsunfalls angepassten Arbeitsplatz. Nach Klageerhebung des Arbeitnehmers erkannte das Gericht eine dauerhafte vollständige Unfähigkeit zur Ausübung des gewöhnlichen Berufs an sowie einen Anspruch auf eine monatliche Entschädigung. Danach kündigte der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer wegen dauerhafter vollständiger Unfähigkeit zur Ausübung des gewöhnlichen Berufs. Dagegen klagte der Beschäftigte zunächst erfolglos und ging dann in Berufung. Das Gericht legte den Fall dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) vor.
Die Entscheidung
Zunächst bestätigte der EuGH, dass der Kläger unstreitig berufsunfähig ist, infolge langfristiger physischer Beeinträchtigungen im Zusammenhang mit einem Arbeitsunfall. Diese Berufsunfähigkeit hindere ihn zwar nicht daran, bei seinem Arbeitgeber oder einem anderen Unternehmen sonstige Aufgaben wahrzunehmen, doch werde ihm auf rechtlicher Basis der Status eines „Menschen mit Behinderung“ zuerkannt. Das Gericht stellte unstreitig, dass der Arbeitgeber nach spanischem Recht berechtigt ist, den Arbeitsvertrag wegen der dauerhaften vollständigen Unfähigkeit des Arbeitnehmers, seinen gewöhnlichen Beruf im Unternehmen auszuüben, zu beenden. Der Umstand, dass der Arbeitnehmer selbst die vollständige Berufsunfähigkeit beantragt hat und er wusste, dass diese Regelung seinem Arbeitgeber das Recht einräumte, seinen Arbeitsvertrag im Anschluss an die Anerkennung zu beenden, bedeutet insoweit nicht, dass er der Beendigung des Arbeitsverhältnisses zugestimmt hätte. Der EuGH entschied, dass die nationale Vorschrift in Spanien der EU-Richtlinie (2000/78/EG) sowie der Charta der Grundrechte der EU widerspricht, welche die Einhaltung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Menschen mit Behinderungen vorsieht, indem für diese Menschen angemessene Vorkehrungen getroffen werden müssen. Das nationale Recht darf eine Kündigung von Arbeitnehmenden aufgrund einer während des Arbeitsverhältnisses verursachten Behinderung nicht zulassen, ohne dass der Arbeitgeber verpflichtet wäre, zuvor angemessene Vorkehrungen zu treffen oder beizubehalten, um eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers zu ermöglichen, oder gegebenenfalls nachzuweisen, dass solche Vorkehrungen eine unverhältnismäßige Belastung darstellen.
Das Fazit
Die Mitgliedstaaten haben das EU-Recht zu wahren, das darin besteht, das Recht auf Arbeit (und auf Verbleib in Beschäftigung) auch für Menschen mit Behinderungen sicherzustellen. Deutsche Arbeitgeber müssen prüfen, ob sie angemessene Vorkehrungen treffen können, die eine Weiterbeschäftigung von Beschäftigten mit Behinderung ermöglichen. Grenze ist die unverhältnismäßige Belastung von Arbeitgebenden, wie finanzieller Aufwand, unternehmerische Größe und Ressourcen oder Verfügbarkeit öffentlicher Mittel. Voraussetzung ist, dass überhaupt alternative Stellen für Menschen mit Behinderung existieren und sie diese bekleiden können.