Bund und Kommunen
Abweichung vom Gleichstellungsgrundsatz für Leiharbeitnehmende durch Tarifvertrag möglich
Abweichung vom Gleichstellungsgrundsatz für Leiharbeitnehmende durch Tarifvertrag möglich Leiharbeitnehmende können aufgrund eines Tarifvertrags weniger verdienen als vergleichbare Arbeitnehmende, wenn es entsprechende Ausgleichsvorteile für die Neutralisierung der Ungleichbehandlung gibt (Bundesarbeitsgericht, Pressemitteilung zum Urteil vom 31. Mai 2023, Aktenzeichen 5 AZR 143/19).
Der Fall
Die Klägerin war als Leiharbeitnehmerin bei der Beklagten in Teilzeit als Kommissioniererin beschäftigt. Sie verdiente zuletzt 9,23 Euro brutto pro Stunde. Die tarifliche Vergütung hat die Klägerin erhalten. Die Klägerin behauptet, dass vergleichbare Stammarbeitnehmende ein mehr als 25 Prozent höheres Stundenentgelt verdienen. Mit ihrer Klage verlangte sie unter Berufung auf den Gleichstellungsgrundsatz des § 8 Absatz 1 Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG) beziehungsweise § 10 Absatz 4 Satz 1 AÜG den Differenzbetrag zwischen ihrem Stundenentgelt und dem vergleichbarer Stammarbeitnehmender. Sie ist der Ansicht, dass das Tarifwerk gegen Artikel 5 Absatz 3 der Leiharbeitsrichtlinie der EU (Leiharbeits-RL) verstößt. In erster und zweiter Instanz unterlag die Klägerin, so auch vor dem Bundesarbeitsgericht (BAG).
Die Entscheidung
Das BAG hat die Revision der Klägerin als unbegründet zurückgewiesen. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf ein Arbeitsentgelt, wie es vergleichbare Stammarbeitnehmende erhalten, da die Beklagte aufgrund der beidseitigen Tarifgebundenheit nur verpflichtet war, die tarifliche Vergütung zu zahlen. Die im Tarifwerk geregelte Vergütung entspricht den Anforderungen des Artikels 5 Absatz 3 Leiharbeits-RL, jedenfalls im Zusammenspiel mit den gesetzlichen Schutzvorschriften für Leiharbeitnehmende. Das Gericht hat offengelassen, ob der Vortrag der Klägerin stimmt. Es führt jedoch aus, dass, selbst wenn der Vortrag richtig sein sollte, das Tarifwerk den Anforderungen genügt. Artikel 5 Absatz 3 Leiharbeits-RL lässt eine ausdrückliche Schlechterstellung bei „Achtung des Gesamtschutzes der Leiharbeitnehmer“ zu. Diese Voraussetzungen liegen vor. Dieser Gesamtschutz ist nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) gegeben, wenn Ausgleichsvorteile eine Neutralisierung der Ungleichbehandlung ermöglichen. Ein solcher kann nach der Rechtsprechung des EuGH bei unbefristeten und befristeten Leiharbeitsverhältnissen die Fortzahlung des Entgelts auch in verleihfreien Zeiten sein. In Deutschland sind verleihfreie Zeiten auch bei befristeten Leiharbeitsverhältnissen stets möglich.
Zudem gewähre das einschlägige Tarifwerk die Fortzahlung der Vergütung in verleihfreien Zeiten. Darüber hinaus stelle § 11 Absatz 4 Satz 2 AÜG für den Bereich der Leiharbeit zwingend sicher, dass Verleihende das Wirtschafts- und Betriebsrisiko für verleihfreie Zeiten uneingeschränkt tragen.
Demnach kann das Recht Leiharbeitnehmender auf Vergütung bei Annahmeverzug Verleihender (§ 615 Satz 1 Bürgerliches Gesetzbuch) nicht durch Vertrag aufgehoben oder beschränkt werden. Auch habe der Gesetzgeber dafür gesorgt, dass die tarifliche Vergütung von Leiharbeitnehmenden staatlich festgesetzte Lohnuntergrenzen und den gesetzlichen Mindestlohn nicht unterschreiten darf. Zudem sei seit dem 1. April 2017 die Abweichung vom Grundsatz des gleichen Arbeitsentgelts nach § 8 Absatz 4 Satz 1 AÜG zeitlich grundsätzlich auf die ersten neun Monate des Leiharbeitsverhältnisses begrenzt.
Das Fazit
Das Urteil ist in sich stimmig, zeigt aber, wie wichtig es ist, in Tarifverträgen für eine hohe Vergütung zu kämpfen. Leiharbeitnehmende machen keine schlechtere Arbeit als Stammarbeitnehmende.