Bund und Kommunen
Gesetzlich festgelegte Höchstdauer einer Arbeitnehmerüberlassung kann durch Tarifvertrag verlängert werden
Bei einer vorübergehenden Arbeitnehmerüberlassung kann in einem Tarifvertrag von den Tarifvertragsparteien der Einsatzbranche eine von der gesetzlich zulässigen Höchstdauer von 18 Monaten abweichende Überlassungshöchstdauer vereinbart werden. Diese abweichende Überlassungshöchstdauer ist dann auch für die überlassenen Arbeitnehmenden und deren Arbeitgebende (Verleiher beziehungsweise Verleiherin) unabhängig von deren Tarifgebundenheit maßgebend (Bundesarbeitsgericht, Pressemitteilung zum Urteil vom 14. September 2022, Aktenzeichen 4 AZR 83/21).
Der Fall
Im Fall ging es um einen Leiharbeitnehmer, der der Beklagten (Entleiherin) ab Mai 2017 für knapp 24 Monate im Rahmen der Leiharbeit überlassen worden war. Der klagende Leiharbeitnehmer wollte mit seiner Klage feststellen lassen, dass aufgrund Überschreitens der gesetzlichen Höchstüberlassungsdauer zwischen ihm und der Beklagten (Entleiherin) ein Arbeitsverhältnis zustande gekommen ist. Die Überlassung von Arbeitnehmenden durch ihren Arbeitgebenden (Verleiherin / Verleiher) zur Arbeitsleistung an Dritte (Entleiherin / Entleiher) ist im Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG) geregelt. Gemäß § 1 Absatz 1b Satz 1 AÜG darf „der Verleiher denselben Leiharbeitnehmer nicht länger als 18 aufeinander folgende Monate demselben Entleiher überlassen; der Entleiher darf denselben Leiharbeitnehmer nicht länger als 18 aufeinander folgende Monate tätig werden lassen.“ Allerdings eröffnet § 1 Absatz 1b Satz 3 AÜG den Tarifvertragsparteien der Einsatzbranche die Befugnis zur Regelung einer abweichenden Überlassungshöchstdauer. So heißt es in § 1 Absatz 1b Satz 3 AÜG: „In einem Tarifvertrag von Tarifvertragsparteien der Einsatzbranche kann eine von Satz 1 abweichende Überlassungshöchstdauer festgelegt werden.“ Im vorliegenden Fall ist die Beklagte (Entleiherin) Mitglied im Verband der Metall- und Elektroindustrie Baden-Württemberg (Südwestmetall), so dass in ihrem Unternehmen der zwischen Südwestmetall und der Industriegewerkschaft Metall (IG Metall) geschlossene „Tarifvertrag Leih- / Zeitarbeit“ Anwendung fand. In dem Tarifvertrag ist unter anderem geregelt, dass die Überlassung von Arbeitnehmenden auf eine maximale Dauer von 48 Monaten beschränkt ist.
Der Kläger ist der Auffassung, dass ein Arbeitsverhältnis zwischen ihm und der beklagten Entleiherin kraft Gesetzes (§ 10 Absatz 1 Satz 1 AÜG i.V.m. § 9 Absatz 1 Nr. 1b AÜG) zustande gekommen ist. Er ist der Meinung, dass der „Tarifvertrag Leih- / Zeitarbeit“ für ihn nicht gelte, da er nicht Mitglied in der IG Metall sei. Außerdem sei die dem Tarifvertrag zugrundeliegende Regelung des § 1 Absatz 1b Satz 3 AÜG verfassungswidrig. In § 9 Absatz 1 AÜG heißt es auszugsweise: „(1) Unwirksam sind: … Nr. 1b Arbeitsverträge zwischen Verleihern und Leiharbeitnehmern mit dem Überschreiten der zulässigen Überlassungshöchstdauer nach § 1 Absatz 1b, es sei denn, der Leiharbeitnehmer erklärt schriftlich bis zum Ablauf eines Monats nach Überschreiten der zulässigen Überlassungshöchstdauer gegenüber dem Verleiher oder dem Entleiher, dass er an dem Arbeitsvertrag mit dem Verleiher festhält.“ In § 10 Absatz 1 Satz 1 AÜG wiederum ist Folgendes geregelt: „Ist der Vertrag zwischen einem Verleiher und einem Leiharbeitnehmer nach § 9 unwirksam, so gilt ein Arbeitsverhältnis zwischen Entleiher und Leiharbeitnehmer zu dem zwischen dem Entleiher und dem Verleiher für den Beginn der Tätigkeit vorgesehenen Zeitpunkt als zustande gekommen; tritt die Unwirksamkeit erst nach Aufnahme der Tätigkeit beim Entleiher ein, so gilt das Arbeitsverhältnis zwischen Entleiher und Leiharbeitnehmer mit dem Eintritt der Unwirksamkeit als zustande gekommen.“
Die Entscheidung
Der Kläger hatte in den Vorinstanzen mit seiner Klage keinen Erfolg. Und auch die Revision des Klägers vor dem Bundesarbeitsgericht (BAG) blieb erfolglos. So entschied das BAG, dass die IG Metall und Südwestmetall die Überlassungshöchstdauer für den Einsatz von Leiharbeitnehmenden bei der Beklagten mittels Tarifvertrag mit Wirkung auch für den Kläger und dessen Arbeitgeberin (Verleiherin) verlängern konnten. Denn bei § 1 Absatz 1b
Satz 3 AÜG handele es sich um eine vom Gesetzgeber vorgesehene Regelungsermächtigung. Diese erlaube den Tarifvertragsparteien der Einsatzbranche nicht nur, die Überlassungshöchstdauer abweichend von § 1 Absatz 1b Satz 1 AÜG verbindlich mittels Tarifvertrag für tarifgebundene Entleihunternehmen zu regeln, sondern auch für Verleihende und Leiharbeitnehmende, ohne dass es auf deren Tarifgebundenheit ankomme. Zudem sei die gesetzliche Regelung mit Unionsrecht und der Verfassung konform. Die vereinbarte Höchstüberlassungsdauer von 48 Monaten halte sich im Rahmen der gesetzlichen Regelungsbefugnis, so das BAG.
Das Fazit
Der Gesetzgeber hat den Tarifvertragsparteien einer Einsatzbranche gemäß § 1 Absatz 1b Satz 3 AÜG die Möglichkeit eingeräumt, eine von Satz 1 abweichende Höchstüberlassungsdauer mittels Tarifvertrag festzulegen. Durch das Urteil des BAG wird nun klargestellt, dass die Tarifvertragsparteien der Einsatzbranche, abweichend von der gesetzlich zulässigen Dauer von 18 Monaten, eine andere Überlassungshöchstdauer mittels Tarifvertrag nicht nur für tarifgebundene Entleihunternehmen regeln können, sondern auch mit Wirkung für Verleiher und Leiharbeitnehmende, ohne dass es auf deren Tarifgebundenheit ankommt. Dies erscheint auch folgerichtig. Denn würde man die Regelungsbefugnis der Tarifvertragsparteien nach § 1 Absatz 1b Satz 3 AÜG von dem Erfordernis der übereinstimmenden Tarifgebundenheit abhängig machen, dann würde die Regelungsermächtigung des § 1 Absatz 1b Satz 3 AÜG in einer Vielzahl von Fällen de facto keine Wirkung entfalten.