Bund und Kommunen
Mehrarbeit auch bei fehlender Regelung grundsätzlich zu vergüten
Mehrarbeit ausgeschlossen ist, ist unwirksam. Es ist eine Mehrarbeitsvergütung zu zahlen, wenn eine Vergütungserwartung besteht, etwa wenn der Arbeitnehmer kein herausgehobenes Entgelt erhält (BAG, Urteil vom 22. Februar 2012, Aktenzeichen 5 AZR 765/10).
Der Fall
Der Kläger war bei dem beklagten Unternehmen als Lagerarbeiter tätig. Er erhielt ein Bruttoentgelt von 1.800 Euro im Monat. In seinem Arbeitsvertrag, der eine Arbeitszeit von 42 Stunden pro Woche vorsah, war eine Klausel enthalten, die ihn verpflichtete, bei betrieblichem Erfordernis ohne zusätzliche Vergütung Mehrarbeit zu leisten. Nachdem sein Arbeitsverhältnis geendet hatte, machte der Kläger gerichtlich eine Vergütung für 968 Mehrarbeitsstunden aus den Jahren 2006 bis 2008 geltend. Seine Klage wurde vom Arbeitsgericht abgewiesen, hatte jedoch vor dem Landesarbeitsgericht bezüglich eines Teils der beanspruchten Mehrarbeitsvergütung in Höhe von 9.534,80 Euro Erfolg. Die Beklagte legte hiergegen Revision ein.
Die Entscheidung
Die Klage hatte teilweise Erfolg. Das BAG hat die Revision der Beklagten zurückgewiesen. Dem Kläger steht eine zusätzliche Vergütung für Mehrarbeit in Höhe von 9.534,80 Euro zu. Die Klausel im Arbeitsvertrag, nach der der Kläger ohne zusätzliche Vergütung zu Mehrarbeit verpflichtet ist, ist gemäß § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB unwirksam, da sie intransparent ist. Nach den Ausführungen des Gerichts ist aufgrund dieser Regelung für den Arbeitnehmer nicht deutlich erkennbar, welchen Umfang die Arbeitsleistung genau hat, die er dem Arbeitgeber zum Erhalt seines Bruttoentgelts schuldet. Da also eine wirksame Vergütungsregelung für die Mehrarbeitsstunden fehlt, ergibt sich eine Verpflichtung des Arbeitgebers zur Vergütung der Mehrarbeit aus § 612 Abs. 1 BGB, wenn die Leistung der Mehrarbeit den Umständen nach nur gegen eine Vergütung zu erwarten war. Da das mit dem Kläger vereinbarte Bruttoentgelt nicht besonders hoch ist, ist eine solche Erwartung hier gegeben. Eine Vergütungserwartung bezüglich Mehrarbeitsstunden im Sinne des § 612 Abs. 1 BGB ist in der Regel dann gegeben, wenn der Arbeitnehmer kein herausgehobenes Entgelt erhält.
Das Fazit
Die Wortwahl des Gerichts, das in seiner Entscheidung von „Mehrarbeit“ spricht, stimmt nicht mit den Begrifflichkeiten überein, die in den Tarifverträgen des Öffentlichen Dienstes verwendet werden. Nach TVöD und TV-L sind Mehrarbeit die Arbeitsstunden, die Teilzeitbeschäftigte über die vereinbarte regelmäßige Arbeitszeit hinaus bis zur regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit von Vollbeschäftigten leisten. Diese Form der Arbeit ist in der vorliegenden Entscheidung jedoch nicht gemeint. Nach den in den Tarifverträgen des Öffentlichen Dienstes verwendeten Begriffen entspricht der im Urteil verwendete Begriff „Mehrarbeit“ dem Begriff „Überstunden“ in TVöD und TV-L, also der auf Anordnung des Arbeitgebers geleisteten Arbeitsstunden, die über den Rahmen der regelmäßigen Arbeitszeit eines Vollbeschäftigten hinausgehen. Da in den Tarifverträgen des Öffentlichen Dienstes Zeitzuschläge für geleistete Überstunden vorgesehen sind, hat dieses Urteil für den originären Öffentlichen Dienst wenig Bedeutung. In den privatisierten Bereichen, die ehemals dem Öffentlichen Dienst zugeordnet waren, finden sich jedoch – beispielsweise in den externen Call Centern – Beschäftigte, für die kein Tarifvertrag gilt und in deren Arbeitsvertrag nicht selten Klauseln zu finden sind, die derjenigen gleichen, die der vorliegenden Entscheidung zugrunde lag. Dass eine solche Praxis die Beschäftigten unangemessen benachteiligt und mit geltendem Recht grundsätzlich nicht zu vereinbaren ist, hat das BAG nun zutreffend festgestellt.