Bund und Kommunen
Mitbestimmung bei Krankschreibung?
Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat entschieden, dass der Betriebsrat kein Mitbestimmungsrecht bei Anweisungen der Arbeitgeberin hat, im Fall der Arbeitsunfähigkeit ärztliche Bescheinigungen bereits vor Ablauf von drei Tagen vorzulegen (Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 15. November 2022, Aktenzeichen 1 ABR 5/22).
Der Fall
Seit dem Jahr 2018 erteilte die Arbeitgeberin 17 Arbeitnehmenden gleichlautende, folgende Anordnung: „… in Abstimmung zwischen Ihrem Fachvorgesetzten und dem Personalleiter sind Sie ab Erhalt dieses Schreibens bis auf Widerruf dazu verpflichtet, jede Krankmeldung durch ein ärztliches Attest – vom ersten Fehltag an – im Service Center Personal vorzulegen. Bitte beachten Sie, dass arbeitsrechtliche Maßnahmen eingeleitet werden, wenn Sie dieser Nachweispflicht nicht nachkommen.“ Der Betriebsrat ist der Ansicht, ein Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) zu haben, da es sich um ein Ordnungsverhalten im Betrieb handele. Zudem spreche die Arbeitgeberin die Anordnung oft gegenüber Arbeitnehmenden aus, die häufig kürzer krank sind oder hohe Fehlzeiten aufgrund vieler Einzelfehltage haben. Der Betriebsrat beantragte beim Arbeitsgericht, der Arbeitgeberin unter anderem aufzugeben, es insgesamt zu unterlassen, ihren Mitarbeitenden die Auflage zu erteilen, ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen vorzulegen, wenn nicht ein Fall des § 5 Abs. 1 Satz 2 beziehungsweise 4 Entgeltfortzahlungsgesetz (EntgFG) vorliegt. Es sei denn, der Betriebsrat hat der Erteilung zugestimmt. In allen drei Instanzen blieb der Antrag des Betriebsrats erfolglos.
Die Entscheidung
Die Rechtsbeschwerde des Betriebsrats beim BAG hatte keinen Erfolg. Das BAG sah in der Hauptsache den Unterlassungsanspruch mangels Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats als nicht gegeben an. Die Anordnungen der Arbeitgeberin unterfielen nicht dem Mitbestimmungsrecht.
Nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG hat der Betriebsrat bei Fragen der Ordnung des Betriebs und des Verhaltens der Arbeitnehmenden im Betrieb mitzubestimmen. Gegenstand dieses Mitbestimmungsrechts ist das betriebliche Zusammenleben und kollektive Zusammenwirken von Arbeitnehmenden. Hintergrund dafür ist, dass Arbeitnehmende in von Arbeitgebenden vorgegebenen Arbeitsorganisationsstrukturen ihre Arbeit erbringen und deren Weisungsrecht unterliegen. Um Arbeitnehmende gleichberechtigt in die Gestaltung des betrieblichen Zusammenlebens einbeziehen zu können, hat der Betriebsrat ein Mitbestimmungsrecht. Zwingend dabei ist, dass es eine Regelungsfrage ist, die kollektive Interessen von Arbeitnehmenden des Betriebs berührt. Individuelle Besonderheiten dürfen dann nicht Grund für die Maßnahme der Arbeitgebenden sein. Ein solch kollektiver Sachverhalt liegt nur vor, wenn die Anordnungen regelhaft erfolgen. Dem folgend liegt hier kein kollektiver Sachverhalt vor. Allein das Verlangen der Arbeitgeberin nach § 5 Abs. 1 Satz 3 EntgFG berührt nicht die Interessen anderer Arbeitnehmender, da es in eigenem Ermessen steht, ob im individuellen Fall vom Recht, bereits vor dem vierten Tag die Vorlage einer ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung zu verlangen, Gebrauch gemacht wird. Die bloße Gleichförmigkeit der Anordnung durch Inhalt, Form und vorausgehendes Verfahren reicht nicht. Die bloß abstrakte Möglichkeit der Arbeitgeberin, allen Arbeitnehmenden die Anordnung zu erteilen, begründet auch keine kollektivauslösende Regel. Dies ist vielmehr die bloße Folge der Anwendung des Gesetzes. Danach ist die Arbeitgeberin uneingeschränkt befugt, die ärztliche Bescheinigung vor dem dritten Tag der Krankheit zu verlangen. Darüber hinaus spricht die geringe Anzahl der angewiesenen Arbeitnehmenden nicht für ein konsequentes Orientieren der Arbeitgeberin an einer bestimmten Regel. Vielmehr scheinen es spezielle Einzelfall-entscheidungen zu sein. Innerhalb von knapp drei Jahren erteilte die Arbeitgeberin nur 17 von 1.000 Arbeitnehmenden diese Anordnung. Ferner spricht bereits der Inhalt des Schreibens für jeweils einzelfallbezogene Anordnungen, da diese stets „in Abstimmung“ zwischen dem jeweiligen Fachvorgesetzten und dem Personalleiter ergangen sind. Das BAG verwirft die Ansicht des Betriebsrats, dass allein die Gemeinsamkeit aller Arbeitnehmenden, häufiger krank gewesen zu sein, für ein regelhaftes Vorgehen der Arbeitgeberin ausreicht. Ebenso wenig sprechen die übrigen Umstände für eine Regelhaftigkeit. Insbesondere ist es im Gegensatz zur Ansicht des Betriebsrats nicht egal, zu welchen Zeitpunkten die Krankmeldungen eingereicht wurden.
Das Fazit
Das Urteil überzeugt in der Begründung nicht vollumfänglich. Das angesprochene Einvernehmen zwischen zwei verschiedenen Personen kann ohne Weiteres auf einem internen, abgesprochenen System beruhen. 17 vermeintlich individuelle Einzelfälle wirken hier im Verfahren und im Wortlaut von Seiten der Arbeitgeberin sehr schematisch abgearbeitet.