Streik für Entlastungstarifvertrag zulässig

Das Landesarbeitsgericht Köln entschied, dass die Streikmaßnahmen am Universitätsklinikum Bonn mit dem Ziel des Abschlusses eines Tarifvertrags zur Entlastung zulässig sind. Das Gericht wies die Berufung des Klinikums im einstweiligen Verfahren zurück (Pressemitteilung 7/2022 zur Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Köln vom 1. Juli 2022, Aktenzeichen 10 SaGa 8/22).

Der Fall

Die Gewerkschaft ver.di forderte vom Arbeitgeberverband des Landes Nordrhein-Westfalen den Abschluss eines Tarifvertrags zur Entlastung und rief unter anderem die Mitarbeitenden des Universitätsklinikums Bonn zum Streik auf. Die Arbeitgeberseite des Klinikums hielt die Streikmaßnahmen für rechtswidrig und stellte einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zum Widerruf des Streikaufrufs und zur Unterlassung weiterer Streikmaßnahmen. Sie sei der Auffassung, die Streikforderungen seien teilweise nicht hinreichend bestimmt und tariflich nicht regelbar. Zudem verstoße der Streik gegen die Friedenspflicht und sei in seinem Ausmaß unverhältnismäßig. In erster Instanz hatte das Arbeitsgericht Bonn den Antrag der Arbeitgeberseite auf Erlass einer einstweiligen Verfügung mit Urteil vom 14. Juni 2022 (Aktenzeichen 3 Ga 14/22) bereits zurückgewiesen.

Die Entscheidung

Das Landesarbeitsgericht wies die gegen das erstinstanzliche Urteil eingelegte Berufung des Klinikums zurück. Das Gericht stellte fest, dass die Tarifforderungen der beklagten Gewerkschaft hinreichend bestimmt waren. Nicht abschließende oder beispielhafte Angaben in einem Aufforderungsschreiben stünden der Bestimmtheit der Tarifforderungen nicht entgegen, so das Gericht. Im vorliegenden Fall habe sich die Arbeitgeberseite hinreichend darauf einstellen können, wie sie auf die formulierten Tarifziele reagiere, um einen Arbeitskampf zu vermeiden. Zudem sei der Streik auch nicht mangels tariflicher Regelbarkeit rechtswidrig. Die Regelungen des Gesetzes über die Pflegeberufe sowie des Gesetzes über den Beruf der Anästhesietechnischen Assistentin und des Anästhesietechnischen Assistenten und über den Beruf der Operationstechnischen Assistentin und des Operationstechnischen Assistenten stünden nach ihrem Wortlaut sowie ihrem Sinn und Zweck insbesondere einer zur Stärkung der Ausbildungsqualität beabsichtigten günstigeren Regelung der Tarifvertragsparteien nicht entgegen. Das Gericht bestätigte, dass es sich hierbei um eine angestrebte Verbesserung von Arbeits- beziehungsweise Ausbildungsbedingungen handele, die – anders als Ausbildungsinhalte – dem Schutzbereich des Artikel 9 Absatz 3 Grundgesetz (GG) unterfalle. Weiterhin führte das Landesarbeitsgericht aus, dass der Streik für einen Tarifvertrag zur Entlastung nicht gegen die tarifvertragliche Friedenspflicht verstoße. Denn weder der TV-L noch die Ausbildungsverträge TVA-L Gesundheit sowie der TVA-L Pflege regelten (abschließend) das Streikziel einer präventiven, vorbeugenden Verhinderung des Entstehens spezifischer Belastungssituationen. Schließlich stellte das Gericht fest, dass der Streik auch nicht unverhältnismäßig ist. Das Streikrecht aus Artikel 9 Absatz 3 GG unterliege Einschränkungen, soweit verfassungsrechtlich geschützte Güter Dritter betroffen seien. Hier kommen die Rechte der Patientinnen und Patienten nach Artikel 2 Absatz 2 GG in Betracht. Somit bedürfe es eines Ausgleichs der beiderseitig verfassungsrechtlich geschützten Rechtspositionen im Wege der praktischen Konkordanz. Dieser rechtliche Grundsatz fordere, dass nicht eine der widerstreitenden Rechtspositionen bevorzugt und maximal durchgesetzt werde. Vielmehr müssten alle Interessen einen möglichst schonenden Ausgleich erfahren. Im Bereich der Daseinsvorsorge eines Klinikbetriebs bedeute dies, dass vorrangig eine angemessene, ausreichende und geeignete Notversorgung sicherzustellen sei. Eine Notversorgung, die diesen Anforderungen entspreche, hätten die Parteien in konstruktiver Art und Weise im Verhandlungstermin am 29. Juni 2022 vereinbart, so das Gericht. Sie hätten unter anderem die Notversorgung qualitativ und quantitativ durch die Erhöhung des Mindestbetriebs von 16 Operationssälen auf 25 Operationssäle nebst entsprechendem Fachpersonal verbessert.

Das Fazit

Die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts ist zu begrüßen und bestätigt insbesondere die bisherige Rechtsprechung hinsichtlich der Rechtmäßigkeit von Arbeitskämpfen in der Daseinsvorsorge. Streiks in Kliniken sind nicht unverhältnismäßig, solange dort die Notversorgung gewährleistet ist.

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