Verhältnismäßigkeit von „Wellenstreiks“

„Wellenstreiks“ sind mit Blick auf die Tarifautonomie noch angemessen und verhältnismäßig (Arbeitsgericht Frankfurt am Main, Beschluss vom 11. März 2024, Aktenzeichen 12 Ga 37/24, sowie Hessisches Landesarbeitsgericht, Urteil vom 12. März 2024, Aktenzeichen 10 GLa 229/24).

Der Fall

Der Tarifkonflikt zwischen der Deutschen Bahn und der Gewerkschaft der Lokomotivführer (GDL) ist nicht nur medial Thema gewesen, auch die Arbeitsgerichtsbarkeit befasste sich damit. Nachdem die GDL angekündigt hatte, erneut am Dienstag, dem 12. März 2024, in einen 24-stündigen Streik zu treten, wandte sich die Deutsche Bahn an das Arbeitsgericht in Frankfurt am Main. Sie stellte noch am Montag, dem 11. März 2024, einen Eilantrag und beantragte, den Arbeitskampf der GDL zu untersagen. Zur Begründung führte sie aus, der Arbeitskampf habe mit 22 Stunden nicht genug Vorlaufzeit und sei eine „blanke Zumutung“ für Bahnfahrende. Außerdem verfolge die GDL rechtswidrige Streikziele. Die einstweilige Verfügung wurde am selben Tag vom Arbeitsgericht Frankfurt am Main zurückgewiesen. Gegen diesen Beschluss wandte sich die Deutsche Bahn und legte beim Hessischen Landesarbeitsgericht Berufung ein.

Die Entscheidung

Der Eilantrag der Deutschen Bahn vor dem Arbeitsgericht Frankfurt am Main hatte keinen Erfolg. Die zuständige Richterin entschied, dass der Streik rechtmäßig und verhältnismäßig ist. Hierbei betrachtete die Kammer die genannten Streikziele. Die von der Deutschen Bahn angeführten rechtswidrigen Streikziele ließen sich im Vorbringen der GDL nicht finden. Das Gericht betonte, dass unter Berücksichtigung des Vorbringens der Parteien und in der Gesamtabwägung mit Hinblick auf die verfassungsrechtlich geschützte Tarifautonomie die Arbeitskampfmaßnahme der GDL nicht unverhältnismäßig ist.

Dieser Ansicht schloss sich auch die Kammer am Hessischen Landesarbeitsgericht an. Sie entschied ebenfalls, dass die angekündigte Arbeitskampfmaßnahme der GDL vom 11. bis 13. März 2024 im Personen- und im Güteverkehr nicht rechtswidrig ist. Damit blieb der Eilantrag der Deutschen Bahn auf Untersagung des Streiks auch in zweiter Instanz ohne Erfolg. Hierzu führte der Vorsitzende Richter aus, dass sich die zu beantwortende Frage der Rechtswidrigkeit nicht auf die hier genannten Streikziele, die nicht tariflich geregelt sind, bezieht. Es sei nicht auf die von der GDL hervorgebrachte Forderung, den Tarifeinheitsgrundsatz abzubedingen, abzustellen. Das Selbstbestimmungsrecht der Gewerkschaften stünde einer solchen Betrachtungsweise entgegen. Entscheidend sei lediglich der Streikbeschluss der gewerkschaftlichen Gremien. „Umstände, die in der so genannten Verhandlungsphase zeitlich davorlägen, werden nicht berücksichtigt“, so der Vorsitzende Richter weiter. Außerdem ist der Streik auch verhältnismäßig. Das Gericht betonte, dass es Gerichten nicht zustünde, neue einschränkende Regelungen zu erlassen. Hiergegen spricht die grundgesetzlich verankerte Tarifautonomie in Artikel 9 Absatz 3 GG. Der Gesetzgeber habe sich schließlich bewusst entschlossen, das Aushandeln der tarifrechtlichen Regelungen in die Hände der Sozialpartner zu geben. Deshalb befand das Gericht eine Ankündigungsfrist von 22 Stunden im Güterverkehr und eine Frist von 30 Stunden im Personenverkehr noch für angemessen.

Auffällig war, dass der Vorsitzende Richter die Gelegenheit ergriff und an die Kompromissfähigkeit der Parteien appellierte. Gegen die Entscheidung im Berufungsverfahren konnte die Deutsche Bahn keine Rechtsmittel mehr einlegen, da im einstweiligen Rechtsschutzverfahren keine Revision zulässig ist. Damit ist die Entscheidung zu diesen so genannten „Wellenstreiks“ rechtskräftig.

Das Fazit

Es ist nicht die erste und sicherlich nicht die letzte Entscheidung in tariflichen Auseinandersetzungen zwischen der Deutschen Bahn und der GDL. Bereits im Januar 2024 war die Arbeitsgerichtsbarkeit mit dem Streik der GDL befasst. Die Deutsche Bahn stellte die Tariffähigkeit der GDL in Frage und klagte. Auch damals entschieden die gerichtlichen Instanzen zugunsten der GDL. Diese Entscheidungen sind wichtig und richtig, um dem gesamten Konflikt den Zündstoff zu nehmen. Die Richter konstatieren immer wieder die herausragende Bedeutung der Tarifautonomie und appellieren an der richtigen Stelle an die Tarifvertragsparteien. Tarifverhandlungen können mühsam sein, doch in einem demokratischen Rechtsstaat gibt es Mittel und Wege, Tarifkonflikte zu beenden. Der dbb stellte bereits im Zusammenhang mit der Einführung des Tarifeinheitsgesetzes klar: Uns die Tarifautonomie zu nehmen, lässt sich nicht mit der Koalitionsfreiheit des Artikel 9 Absatz 3 GG vereinbaren.

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