Streikrecht in der Daseinsvorsorge während der Corona-Pandemie

Während der Corona-Krise sind auch Streiks in Betrieben der Gesundheitsvorsorge möglich, so das Arbeitsgericht Gießen im Wege einer einstweiligen Verfügung. Für Streiks im Bereich der Gesundheitsfürsorge sei zwar die Sicherstellung eines Notdienstes erforderlich, aber nicht unbedingt die Vereinbarung einer Notdienstvereinbarung (ArbG Gießen, Urteil vom 6. März 2020, Aktenzeichen 9 Ga 1/20).

Der Fall

In dem vorliegenden Fall geht es um die Untersagung von Streikmaßnahmen bis zum Abschluss einer gemeinsamen Notdienstvereinbarung. Die nicht tarifgebundene Verfügungsklägerin betreibt zwei Labore an unterschiedlichen Standorten und beschäftigt derzeit 24 Arbeitnehmende. Sie übernimmt Dienstleistungen für Krankenhäuser und untersucht dabei Proben von Patientinnen und Patienten. Für diese Proben gelten zeitliche Vorgaben, innerhalb derer sie bearbeitet werden müssen, damit die Krankenhäuser die entsprechenden Diagnosen stellen können. Wenn Proben nicht ordnungsgemäß oder im vorgegebenen Zeitfenster bearbeitet werden, kann eine Gefahr für Gesundheit und / oder Leib und Leben der Patientinnen und Patienten entstehen. Mitte Dezember 2019 forderte die Verfügungsbeklagte, eine Gewerkschaft, die Arbeitgeberseite erfolglos zu Tarifverhandlungen auf. Ziel der Verhandlungen ist der Abschluss eines Haustarifvertrags, mit dem die Regelungen des TVöD und des TVöD – Besonderer Teil Krankenhäuser auch für den Betrieb der Arbeitgeberin vereinbart werden sollen. Mit Schreiben vom 12. Februar 2020 bot die Gewerkschaft der Arbeitgeberin eine Notdienstvereinbarung an und erklärte, sich einseitig an diese zu halten, sollte eine Vereinbarung diesbezüglich nicht zustande kommen. Auch hierauf reagierte die Arbeitgeberin nicht. Am 28. Februar 2020 drohte die Gewerkschaft dann mit der Durchführung von Streikmaßnahmen für den 2. und 3. März 2020. Zwischenzeitlich wurde ein mit dem Coronavirus infizierter Patient stationär in eine Klinik aufgenommen, für die die Verfügungsklägerin sämtliche Laboruntersuchungen für alle Patientinnen und Patienten vornimmt. Noch am 28. Februar 2020 beantragte die Arbeitgeberseite eine einstweilige Verfügung gegen den Streik. Die Gewerkschaft teilte daraufhin mit, dass weiteres Personal für den Notdienst abgestellt würde, wenn dies wegen der Corona-Krise erforderlich sei. Weiterhin hatte die Gewerkschaft einen Tag später mitgeteilt, dass die Streikmaßnahmen für eine Woche ausgesetzt würden. Die Arbeitgeberseite war der Ansicht, der Streik sei mangels Notdienstvereinbarung zu untersagen.

Die Entscheidung

Das Arbeitsgericht entschied, dass die Arbeitgeberin im vorliegenden Fall keinen Anspruch auf Untersagung des Streiks hat. Der Erlass einer einstweiligen Verfügung sei zwar auch im Arbeitskampf möglich, setze jedoch voraus, dass die Arbeitskampfmaßnahme rechtswidrig ist. Nicht jeder Warnstreik ohne Abschluss einer Notdienstvereinbarung zwischen Gewerkschaft und Arbeitgeberseite sei aber rechtswidrig. Für die Rechtmäßigkeit des beschlossenen Warnstreiks sei die Einrichtung eines Notdienstes erforderlich und nicht der Abschluss einer Notdienstvereinbarung. Im vorliegenden Fall betonte das Arbeitsgericht, dass die Laboruntersuchungen zur Aufrechterhaltung und Wiederherstellung der Gesundheit der Patientinnen und Patienten notwendig waren. Das Erfordernis einer Notdienstvereinbarung bestand aber dennoch nicht. Wichtiger war, dass der Notdienst durchgeführt wurde. Das Gericht bewertete außerdem positiv, dass die Gewerkschaft bereit war, weiteres Personal für den Notdienst bereitzustellen, wenn es im Zuge einer Entwicklung durch das Coronavirus zu einer Erhöhung der Anzahl von Patientinnen und Patienten komme. Zudem stellte das Gericht fest, dass die Arbeitgeberin nicht ausreichend begründet hat, dass das abgestellte Personal nach der einseitig aufgestellten Notdienstvereinbarung der Gewerkschaft nicht ausreiche.

Das Fazit

Die Entscheidung zeigt, dass selbst eine epidemische Lage von nationaler Tragweite das Streikrecht nicht per se aushebeln kann. Das Streikrecht ist ein Grundrecht und wurzelt tief in der Koalitionsfreiheit. Dennoch ist zu beachten, dass es gerade im Bereich der Daseinsvorsorge Notdienste während eines Arbeitskampfs geben muss. Die Gewährleistung der Notdienste ist aber eine gemeinsame Aufgabe der Konfliktparteien.

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