Gespräch mit dem EU-Abgeordneten Sergey Lagodinsky
Künstliche Intelligenz und digitale Verwaltung
Die KI ist die Revolution der Digitalisierung. Was bedeutet sie für den öffentlichen Dienst? Antworten aus der Sicht eines EU-Abgeordneten.
dbb Europathemen: Was unternimmt Europa, um das technologische und wirtschaftliche Potential der KI zu nutzen und gleichzeitig die Gefahren, die in dieser digitalen Revolution liegen, zu reduzieren? Welche Rolle spielt das Parlament?
Lagodinsky: Das Thema Künstliche Intelligenz beschäftigt das Europäische Parlament schon seit vielen Jahren. Gleich zu Beginn dieser Wahlperiode habe ich mich mit verschiedenen Aspekten des Themas auseinandergesetzt, als das Parlament sich initiativ zur KI-Strategie der Europäischen Kommission positioniert hat. In dieser Zeit hat sich die Diskussion um KI deutlich weiterentwickelt, nicht zuletzt seit durch ChatGPT und die anderen generativen KI-Systeme viele Fragen der Anwendung von KI deutlich greifbarer geworden sind. Die Gesellschaft möchte sicher sein, dass KI-Systeme in kritischen Bereichen wie Bildung, Gesundheit, Arbeit und in der öffentlichen Daseinsvorsorge auf der Grundlage von gemeinsamen Wertvorstellungen und Regeln angewendet werden. Wir wollen KI-Systeme vertrauensvoll einsetzen können und schaffen daher mit der KI-Verordnung einen Rahmen, der uns die Möglichkeit gibt, im Zweifel einzugreifen und nachzujustieren. Gerade in der Frage der Nachhaltigkeit und des Umwelt-Impacts von KI im Sinne ihres Energie- und Ressourcen-Verbrauchs stehen wir dabei noch am Anfang. Die Position des Parlaments zur KI-Regulierung macht auf unser Hinwirken hin dazu erste Vorschläge.
dbb Europathemen: Was bedeutet die KI für die Zukunft von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit?
Lagodinsky: Im Grunde bestehen die gleichen Befürchtungen und Herausforderungen weiter, die wir im Zusammenhang mit dem Internet und Sozialen Medien schon länger diskutieren. KI verstärkt die Debatte insbesondere bei den Fragen rund um Desinformation und Beeinflussung der öffentlichen Meinung, aber auch im Bereich Rechtsstaatlichkeit, wenn etwa KI-Systeme zur Unterstützung der staatlichen Verwaltungsbehörden, in der Justiz oder im Bereich Strafverfolgung zum Einsatz kommen sollen.
dbb Europathemen: Welche Bedeutung wird der KI für die öffentlichen Dienstleistungen der Zukunft zukommen? Was bedeutet das für das Verhältnis der Bürgerinnen und Bürger zum Staat?
Lagodinsky: Für die Verwaltung und öffentliche Dienstleistungen versprechen KI-Technologien Hilfestellung gerade in Bereichen, die nach der Digitalisierung auch von Automatisierung profitieren können. Dabei ist wichtig, dass eine solche Effizienzsteigerung auch den Bürger*innen und Nutzer*innen dient – eine Verschlechterung oder Beschneidung von Leistungen auf Grundlage der Automatisierung eines Prozesses mithilfe von KI kann leicht zu einem Vertrauensverlust führen. Darüber hinaus dürfen natürlich die finalen Entscheidungen, etwa über Leistungsbezüge, nicht automatisiert werden, sondern müssen von Menschen getroffen werden. Verwaltungsakte müssen also in der Hand der Menschen bleiben, aber neue Technologien können die Entscheidungen erleichtern. Wichtiger als eine Überfokussierung auf hypothetische Zauberkräfte von KI ist allerdings die Abschaffung unnötiger digitaler Barrieren für Bürger*innen sowie kleiner und mittlerer Unternehmen beim Zugang zur öffentlichen Verwaltung.
dbb Europathemen: Deutschland ist bei der Digitalisierung seiner öffentlichen Verwaltung in Europa weit abgeschlagen. Was tut die EU, um die digitale öffentliche Verwaltung voranzubringen? Was folgt aus einem Scheitern des Online-Zugangsgesetzes in Deutschland?
Lagodinsky: Im Sinne der Nachhaltigkeit der Leistungen und Dienste muss die öffentliche Hand aufpassen, sich nicht in Knebelverträge mit den KI-Dienstleistern zu begeben. Hier würde ich mir eine gemeinsam koordinierte Strategie wünschen – gern auch über die Grenzen von Bundesländern oder EU-Grenzen hinweg!
dbb Europathemen: Beschäftigt sich das Europäische Parlament auch mit den Folgen des Einsatzes künstlicher Intelligenz für Beschäftigung und Beschäftigte? Gibt es eine soziale Vision für das digitale Europa der Zukunft?
Lagodinsky: Die Frage spielte im Gesetzesvorschlag zur KI-Regulierung der EU-Kommission eher eine nachgeordnete Rolle. Gemeinsam mit meiner Kollegin MdEP Kim van Sparrentak von den niederländischen Grünen habe ich mich bei den Verhandlungen dafür eingesetzt, die Fragen des Beschäftigtenschutzes in der Parlamentsposition zu stärken. Wir brauchen eine KI-Regulierung, die den Menschen in den Mittelpunkt stellt und dazu anregt, auch in der Forschung und Entwicklung diese Position zu stärken.