Besoldungsmitteilungen müssen anlassbezogen überprüft werden
Beamte und Beamtinnen sind anlassbezogen zur Überprüfung von Besoldungsmitteilungen verpflichtet. Zu den beamtenrechtlichen Dienstpflichten zählt es, Besoldungsmitteilungen bei wesentlichen Änderungen der dienstlichen oder persönlichen Verhältnisse auf ihre Richtigkeit zu überprüfen. Pflichtverletzungen sind jedoch nur bei Vorsatz disziplinarwürdig.
Der Fall
Die Klägerin ist verbeamtete Lehrerin im Dienst des Landes Schleswig-Holstein. In der Zeit von Februar bis Juli 2016 erhöhte sich ihr wöchentlicher Beschäftigungsumfang um vier Unterrichtsstunden. Dementsprechend erhöhte sich ab Februar 2016 die Besoldung der Klägerin. Erst im Mai 2018 stellte das Dienstleistungszentrum Personal des Landes Schleswig-Holstein fest, dass die Klägerin aufgrund eines Buchungsfehlers zu Unrecht über Juli 2016 hinaus erhöhte Besoldungsleistungen erhalten hatte und es hierdurch zu einer Überzahlung in Höhe von ca. 16.000 Euro brutto gekommen war. Der Rückforderungsbetrag wird seitdem anteilig von den Dienstbezügen der Klägerin einbehalten.
Mit einer Disziplinarverfügung vom August 2020 sprach der Beklagte gegenüber der Klägerin einen Verweis aus, weil diese die Überzahlung nicht angezeigt habe. Die Klägerin wendete sich gegen diese Verfügung.
Das Verwaltungsgericht hat die Disziplinarverfügung aufgehoben, wohingegen das Oberverwaltungsgericht wiederum auf die Berufung des Beklagten das Urteil des Verwaltungsgerichts geändert und die Klage abgewiesen hat. Zur Begründung hat das Oberverwaltungsgericht im Wesentlichen ausgeführt, die Klägerin habe ihre Dienstpflichten grob fahrlässig und damit schuldhaft verletzt, weil sie ihre Dienstbezüge nach Reduzierung des Beschäftigungsumfangs nicht auf Überzahlungen überprüft habe. Blieben Besoldungsmitteilungen trotz besoldungsrelevanter Änderungen aus, träfen die Beamtin Erkundigungspflichten.
Die Entscheidung
Auf die Revision der Klägerin hat das Bundesverwaltungsgericht das Urteil des Berufungsgerichts aufgehoben und die Berufung des Beklagten zurückgewiesen. Die Entscheidung des Berufungsgerichts verletzt § 133 BGB und § 6 Satz 1 des Landesdisziplinargesetzes Schleswig-Holstein (LDG SH) i. d. F. der Bekanntmachung vom 18. März 2003. Bei den Vorschriften des Landesdisziplinargesetzes handelt es sich um spezifische beamtenrechtliche Vorschriften des Landesrechts i. S. d. § 63 Abs. 3 Satz 2 BeamtStG i. V. m. § 127 Nr. 2 BRRG.
Der vom Berufungsgericht zum Ausgangspunkt seiner Würdigung gemachte Vorwurf, die Klägerin habe im Zeitraum von Juli 2016 bis Juni 2018 ihre Besoldungsmitteilungen und Dienstbezüge nicht kontrolliert und deshalb Überzahlungen der auszahlenden Stelle nicht festgestellt, beruht auf einer rechtsfehlerhaften Auslegung der Disziplinarverfügung des Beklagten, die den sich aus § 133 BGB ergebenden Anforderungen nicht genügt und gegen § 6 Satz 1 LDG SH verstößt.
Die Ermittlung des Inhalts von Erklärungen im Wege der Auslegung gilt revisionsrechtlich als Tatsachenfeststellung i. S. d. § 137 Abs. 2 VwGO. Daher ist das Bundesverwaltungsgericht an den vom Tatsachengericht festgestellten Erklärungsinhalt gebunden, wenn dieses Gericht sein Ergebnis rechtsfehlerfrei begründet hat. Die Bindung tritt aber nicht ein, wenn die Auslegung auf einer unvollständigen Würdigung der festgestellten Tatsachen, einem Rechtsirrtum, einem Verstoß gegen eine Auslegungsregel oder einem Verstoß gegen einen allgemeinen Erfahrungssatz oder ein Denkgesetz beruht. In diesem Rahmen unterliegt eine vorinstanzliche Auslegung von Willenserklärungen der revisionsgerichtlichen Nachprüfung und ist dem Revisionsgericht eine eigene Auslegung nicht verwehrt (stRspr, vgl. BVerwG, Urteile vom 17. Juni 2010).
Nach der Auslegungsregel des § 133 BGB, die auf öffentlich-rechtliche Erklärungen und demzufolge auch auf Verwaltungsakte Anwendung findet, ist bei der Auslegung einer Willenserklärung der wirkliche Wille zu erforschen und nicht an dem buchstäblichen Sinn des Ausdrucks zu haften. Es kommt darauf an, wie die Erklärung aus der Sicht des Empfängers bei objektiver Betrachtung zu verstehen ist. Maßgebend ist der geäußerte Wille des Erklärenden, wie er sich dem Empfänger nach dem Wortlaut der Erklärung und den sonstigen Umständen darstellt, die der Empfänger bei Zugang der Erklärung erkennen kann. Dieser hat in den Blick zu nehmen, welchen Zweck der Erklärende verfolgt (stRspr, BVerwG, Urteile vom 30. Oktober 2013 - 2 C 23.12 -).
Die vom Berufungsgericht vorgenommene Auslegung der Disziplinarverfügung vom 28. August 2020 genügt in Anbetracht der Regelung des § 6 Satz 1 LDG SH nicht den sich aus § 133 BGB ergebenden Anforderungen.
Nach § 6 Satz 1 LDG SH ist der Verweis der schriftliche Tadel eines bestimmten Verhaltens des Beamten. Das "bestimmte Verhalten" wird durch den Dienstherrn festgelegt, der die Disziplinarverfügung erlässt – anders als bei der Disziplinarklage. Die Disziplinarverfügung ist mithin unmittelbare Grundlage für die Sanktionierung des pflichtwidrigen Verhaltens des Beamten. Bezogen auf Disziplinarklagen hat der Gesetzgeber klargestellt, dass nur die Handlungen zum Gegenstand der Urteilsfindung gemacht werden dürfen, die dem Beamten in der Klage (oder der Nachtragsdisziplinarklage) als Dienstvergehen zur Last gelegt werden (§ 41 Abs. 1 Satz 1 LDG SH i. V. m. § 60 Abs. 2 Satz 1 BDG a. F.). Hierdurch soll u. a. gewährleistet werden, dass sich der Beamte gegen die gegen ihn erhobenen disziplinarischen Vorwürfe sachgerecht verteidigen kann. Es liegt auf der Hand, dass bei Disziplinarverfügungen nichts anderes gelten kann. Das Gericht hat folglich bei der Prüfung von Rechtmäßigkeit und Zweckmäßigkeit der angefochtenen Entscheidung das vom Dienstherrn dem Beamten zum Vorwurf gemachte "bestimmte Verhalten" zum Gegenstand seiner rechtlichen Würdigung zu machen, sofern es dieses als erwiesen ansieht.
Das der Klägerin in der Disziplinarverfügung vorgeworfene und durch einen eingerückten Absatz optisch kenntlich gemachte "bestimmte Verhalten" besteht darin, dass diese "die offensichtliche monatliche Überzahlung ihrer Dienstbezüge" nicht gegenüber den zuständigen Stellen angezeigt hat. Im Gegensatz hierzu hat das Berufungsgericht der Disziplinarverfügung den Vorwurf entnommen, die Klägerin habe im Zeitraum von Juli 2016 bis Juni 2018 ihre Besoldungsmitteilungen und Dienstbezüge nicht kontrolliert und deshalb Überzahlungen der auszahlenden Stelle nicht festgestellt. Dieser Erklärungsinhalt kann der Disziplinarverfügung nicht entnommen werden. Die unterbliebene Überprüfung von Besoldungsmitteilungen und Dienstbezügen ist dort lediglich ein Begründungselement.
Das Urteil des Berufungsgerichts stellt sich auch nicht aus anderen Gründen als im Ergebnis richtig dar (§ 144 Abs. 4 VwGO). Zwar setzt die disziplinare Ahndung einer Dienstpflichtverletzung nicht deren ausdrückliche gesetzliche Normierung voraus. Auch sind Beamte verpflichtet, eine Überzahlung von Besoldungsleistungen gegenüber dem Dienstherrn anzuzeigen. Ein Verstoß hiergegen ist jedoch nur bei Vorsatz disziplinarwürdig. Die angegriffene Disziplinarverfügung stellt sich vor diesem Hintergrund als rechtswidrig dar und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO), weil der Klägerin der Vorwurf vorsätzlichen Handelns nicht gemacht werden kann. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist die disziplinare Ahndung der schuldhaften Verletzung von nur über Generalklauseln – hier § 34 Abs. 1 Satz 3 BeamtStG (s. auch § 61 Abs. 1 Satz 3 BBG) – erfassten Dienstpflichten mit einer der gesetzlich vorgesehenen Disziplinarstrafen auch unter Anlegung des strengen Maßstabs des Art. 103 Abs. 2 GG nicht zu beanstanden, weil eine vollständige Aufzählung der mit einem Beruf verbundenen Pflichten nicht möglich und in der Regel auch nicht nötig ist; denn es handelt sich um Normen, die nur den Kreis der Berufsangehörigen betreffen, sich aus der ihnen gestellten Aufgabe ergeben und daher für sie im Allgemeinen leicht erkennbar sind.
Zu diesen Dienstpflichten des Beamten zählt es, eine Überzahlung von Besoldungsleistungen gegenüber dem Dienstherrn anzuzeigen. Dem liegt die Verpflichtung zugrunde, Besoldungsmitteilungen anlassbezogen auf ihre Richtigkeit zu überprüfen. Erhält der Beamte trotz besoldungsrelevanter Änderungen keine Besoldungsmitteilungen oder ist die Besoldungshöhe offenkundig fehlerhaft, entstehen Erkundigungs- und Anzeigepflichten.
Das Beamtenverhältnis ist ein verfassungsrechtlich verankertes (Art. 33 Abs. 4 und 5 GG) und wechselseitig bindendes besonderes Dienst- und Treueverhältnis. Hieraus ergibt sich die Dienstpflicht, Besoldungsmitteilungen bei wesentlichen Änderungen der dienstlichen (z. B. Beschäftigungsumfang) oder persönlichen (z. B. Personenstand) Verhältnisse auf ihre Richtigkeit zu überprüfen und Überzahlungen gegenüber dem Dienstherrn anzuzeigen.
Dabei ist von jedem Beamten zu erwarten, dass er die Grundprinzipien des Beamtenrechts, sein eigenes statusrechtliches Amt nebst besoldungsrechtlicher Einstufung und Beschäftigungsumfang sowie die ihm zustehenden Besoldungsbestandteile wie Grundgehalt, Familienzuschlag und sonstige ihm dem Grunde nach zustehende besoldungsrechtliche Zulagen kennt.
Aus dem beamtenrechtlichen Treueverhältnis resultiert zugleich die Dienstpflicht des Beamten, sich beim Dienstherrn nach dem Verbleib von Besoldungsmitteilungen zu erkundigen, wenn diese trotz besoldungsrelevanter Änderungen in den dienstlichen oder persönlichen Verhältnissen ausbleiben. Denn nur so kann der Beamte seiner anlassbezogenen Überprüfungspflicht genügen.
Unabhängig vom Vorliegen besoldungsrelevanter Änderungen in den dienstlichen und persönlichen Verhältnissen treffen den Beamten – wie vom Beklagten angenommen – Erkundigungs- und Anzeigepflichten, wenn die Höhe der ausgezahlten Besoldung offenkundig fehlerhaft ist. Eine Offenkundigkeit wird in der Regel zu bejahen sein, wenn eine Abweichung von mindestens 20 Prozent über dem zu beanspruchenden Besoldungsniveau vorliegt (vgl. VGH München, Beschluss vom 10. Juni 2013 - 16a DZ 12.433 -).
Ein Verstoß gegen vorgenannte Dienstpflichten hat jedoch nur bei Vorsatz disziplinarrechtliche Relevanz.
Nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 LDG SH findet das Landesdisziplinargesetz Anwendung auf die von Beamten während ihres Beamtenverhältnisses begangenen Dienstvergehen. Der Zweck des Disziplinarrechts besteht darin, die Funktionsfähigkeit der öffentlichen Verwaltung und das Ansehen des öffentlichen Dienstes aufrechtzuerhalten und wiederherzustellen. Daher werden Disziplinarmaßnahmen im Unterschied zu Kriminalstrafen nicht verhängt, um begangenes Unrecht zu vergelten. Vielmehr sollen Disziplinarmaßnahmen, die – wie der hier in Rede stehende Verweis – durch Disziplinarverfügung ausgesprochen werden, den aktiven Beamten die Bedeutung der verletzten Dienstpflichten für die Funktionsfähigkeit der öffentlichen Verwaltung vor Augen führen und sie dazu anhalten, sich künftig pflichtgemäß zu verhalten. Sie sind darauf gerichtet, den ordnungsgemäßen Betrieb der öffentlichen Verwaltung sicherzustellen und weitere Funktions- oder Ansehensbeeinträchtigungen zu vermeiden.
Ein Dienstvergehen setzt voraus, dass der Beamte gegen die Dienstpflicht vorsätzlich oder fahrlässig verstoßen hat. Im Hinblick auf die Disziplinarwürdigkeit eines Verstoßes gegen die Dienstpflicht, dem Dienstherrn überzahlte Besoldungsleistungen anzuzeigen, ist zu berücksichtigen, dass der Landesgesetzgeber mit § 15 Abs. 2 des Gesetzes des Landes Schleswig-Holstein über die Besoldung der Beamtinnen und Beamten sowie Richterinnen und Richter (Besoldungsgesetz Schleswig-Holstein - SHBesG) i. d. F. der Bekanntmachung vom 26. Januar 2012 die Rückforderung überzahlter Bezüge geregelt und den Beamten einer verschärften Haftung unterworfen hat. Dies wirkt einer Funktions- oder Ansehensbeeinträchtigung des öffentlichen Dienstes bereits entgegen. Die Dienstpflichtverletzung erreicht folglich nur dann die Stufe der Disziplinarwürdigkeit, wenn sie über einen bloßen Sorgfaltsverstoß hinausgeht, mithin die gegenüber dem Dienstherrn unterbliebene Anzeige überzahlter Dienstbezüge auf Vorsatz beruht.
Ausgehend von den tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts, die vom Beklagten nicht mit Verfahrensrügen angegriffen worden und für den Senat daher bindend sind (§ 137 Abs. 2 VwGO), hat die Klägerin gegen ihre Dienstpflicht, dem Dienstherrn eine Überzahlung von Dienstbezügen anzuzeigen, nicht vorsätzlich verstoßen. Die angegriffene Disziplinarverfügung kann folglich keinen Bestand haben.
Eine disziplinare Ahndung des vom Beklagten gegenüber der Klägerin erhobenen Vorwurfs, ihre Dienstpflicht verletzt zu haben, weil sie die offensichtliche monatliche Überzahlung ihrer Dienstbezüge nicht angezeigt habe, scheidet aus. Denn bei einer Überzahlung von Dienstbezügen in Höhe von etwa 15 Prozent kann von einer Offenkundigkeit in der Regel noch nicht ausgegangen werden. Besondere Umstände, die bezogen auf den vorliegenden Fall die Überzahlung gleichwohl als offensichtlich erscheinen lassen, lassen sich den Feststellungen des Berufungsgerichts nicht entnehmen.
Sofern das Berufungsgericht das Dienstvergehen der Klägerin darin gesehen hat, dass diese ihre Dienstbezüge nicht anlassbezogen überprüft hat, hat es die Grenzen der Dienstpflicht verkannt. Denn die bloße Höhe der zur Auszahlung kommenden Dienstbezüge lässt ohne regelmäßige Besoldungsmitteilungen keinen Schluss dahingehend zu, ob von einer Überzahlung auszugehen ist. Ungeachtet dessen hat das Berufungsgericht nach den für den Senat bindenden Feststellungen nur grobe Fahrlässigkeit der Klägerin angenommen.
Das Fazit
Eine disziplinare Ahndung von Verstößen gegen Dienstpflichten setzt nicht deren ausdrückliche gesetzliche Normierung voraus. Aufgrund des besonderen beamtenrechtlichen Treueverhältnisses zählt es zu den Dienstpflichten eines Beamten, Besoldungsmitteilungen bei wesentlichen Änderungen der dienstlichen oder persönlichen Verhältnisse auf ihre Richtigkeit zu überprüfen. Die Disziplinarwürdigkeit der Pflichtverletzung ist aber nur bei Vorsatz zu bejahen. Darüber hinaus besteht eine Erkundigungspflicht der Beamtin oder des Beamten nur dann, wenn die Besoldungshöhe offenkundig fehlerhaft ist. Dies ist bei einer Abweichung von 20 Prozent regelmäßig der Fall. Eine solche Abweichung lag im Fall der Klägerin nicht vor.
BVerwG 2 C 3.24 - Urteil vom 05. Dezember 2024
Vorinstanzen:
OVG Schleswig, OVG 14 LB 2/23 - Urteil vom 04. Oktober 2023 -
VG Schleswig, VG 17 A 7/20 - Urteil vom 16. März 2023 -
BVerwG, Urteil vom 5.12.2025 – 2 C 3.24 –