Polizeipräsident ist kein politischer Beamter - Lebenszeitprinzip geht vor

Die Einstufung der Polizeipräsidenten in Nordrhein-Westfalen als politische Beamte stellt einen Eingriff in das Lebenszeitprinzip dar, der nicht durch besondere Sacherfordernisse des betroffenen Amtes gerechtfertigt ist. Weder ihr Aufgabenbereich oder der ihnen zugemessene Entscheidungsspielraum noch ihre organisatorische Stellung, der Umfang der ihnen auferlegten Beratungspflichten gegenüber der Landesregierung oder andere Gesichtspunkte rechtfertigen die Einstufung als „politisches“ Amt.

Die in § 37 Abs. 1 Nr. 5 Landesbeamtengesetz NRW (LBG NRW) geregelte Möglichkeit der jederzeitigen Versetzung eines Polizeipräsidenten in den einstweiligen Ruhestand ist nichtig.

BVerfG, Beschluss vom 09. April 2024 – 2 BvL 2/22 –

Der Fall

Der Kläger war Polizeipräsident von Köln. Nach den Ereignissen in der „Kölner Silvesternacht“ 2015/2016, als es im Bereich des Kölner Doms und des Bahnhofsvorplatzes unter anderem zu zahlreichen Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung kam, wurde er im Januar 2016 in den einstweiligen Ruhestand versetzt. Hiergegen erhob er Klage. Das Oberverwaltungsgericht des Landes Nordrhein-Westfalen hat das Verfahren ausgesetzt und dem Bundesverfassungsgericht § 37 Abs. 1 Nr. 5 LBG NRW zur Prüfung vorgelegt.

Der Kläger leitete eines von 18 Polizeipräsidien, welche als Kreispolizeibehörden in Polizeibezirken mit mindestens einer kreisfreien Stadt sachlich für die Gefahrenabwehr, für die Erforschung und Verfolgung von Straftaten und Ordnungswidrigkeiten und für die Überwachung des Straßenverkehrs zuständig sind. Im Übrigen wird die Funktion der Kreispolizeibehörde durch 29 Landrätinnen oder Landräte ausgeübt, sodass insgesamt 47 Kreispolizeibehörden bestehen.

Die Kreispolizeibehörden stellen organisationsrechtlich untere Landesbehörden dar. Die Fachaufsicht über die Kreispolizeibehörden liegt bei den drei polizeilichen Landesoberbehörden, dem Landesamt für Zentrale Polizeiliche Dienste (LZPD), dem Landesamt für Ausbildung, Fortbildung und Personalangelegenheiten der Polizei (LAFP) und dem Landeskriminalamt (LKA). Das LAFP führt die Dienstaufsicht im Bereich des Dienst- und Arbeitsrechts. In diesem Fall ist das Ministerium oberste Dienstaufsichtsbehörde, im Übrigen die Dienstaufsichtsbehörde. Wichtige Ereignisse innerhalb des Landes sind durch die Polizeibehörde an das Innenministerium zu melden. Über wichtige Ereignisse von herausragender Bedeutung beziehungsweise besonderer Eilbedürftigkeit sind dem LZPD Vorausmeldungen zu machen; dieses informiert das Ministerium, das LKA und erforderlichenfalls das LAFP.

Die Entscheidung

Mit seinem Beschluss hat der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts entschieden, dass § 37 Abs. 1 Nr. 5 des Beamtengesetzes für das Land Nordrhein-Westfalen (LBG NRW) in den Fassungen vom 21. April 2009 und vom 14. Juni 2016 mit Art. 33 Abs. 5 des Grundgesetzes (GG) unvereinbar und nichtig ist. Die Vorschrift stuft die Polizeipräsidenten in Nordrhein-Westfalen als politische Beamte ein und ermöglicht damit ungeachtet ihres Status als Beamte auf Lebenszeit ihre jederzeitige Versetzung in den einstweiligen Ruhestand.

Die Möglichkeit der jederzeitigen Versetzung eines Polizeipräsidenten in den einstweiligen Ruhestand greift in das Lebenszeitprinzip in der Ausprägung der grundsätzlichen Unentziehbarkeit des statusrechtlichen Amtes ein. Dieser Eingriff ist nicht durch besondere Sacherfordernisse des betroffenen Amtes gerechtfertigt. Weder der den Polizeipräsidenten in Nordrhein-Westfalen zugewiesene Aufgabenbereich oder der ihnen zugemessene Entscheidungsspielraum noch ihre organisatorische Stellung, der Umfang der ihnen auferlegten Beratungspflichten gegenüber der Landesregierung oder andere Gesichtspunkte weisen das Amt des Polizeipräsidenten als ein „politisches“ aus.

  1. Nach Art. 33 Abs. 5 GG ist das Recht des öffentlichen Dienstes unter Berücksichtigung der hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums zu regeln und fortzuentwickeln. Mit den hergebrachten Grundsätzen des Berufsbeamtentums ist der Kernbestand von Strukturprinzipien gemeint, die allgemein oder doch ganz überwiegend während eines längeren, traditionsbildenden Zeitraums, insbesondere unter der Weimarer Reichsverfassung, als verbindlich anerkannt und gewahrt worden sind.
  2. Zu dem Kernbestand von Strukturprinzipien, bei dem die Beachtenspflicht den Weg zu tiefgreifenden strukturellen Veränderungen durch den einfachen Gesetzgeber versperrt, gehört unter anderem das Lebenszeitprinzip. Es hat – im Zusammenwirken mit dem die amtsangemessene Besoldung und Versorgung sichernden Alimentationsprinzip – die Funktion, die Unabhängigkeit der Beamtinnen und Beamten im Interesse einer rechtsstaatlichen Verwaltung zu gewährleisten.
  3. Im demokratischen Rechtsstaat des Grundgesetzes ist eine Ausnahme vom Beamtenverhältnis auf Lebenszeit verfassungsrechtlich nur in den Bereichen zulässig, in denen es deren besondere Sachgesetzlichkeit und die Art der wahrgenommenen Aufgaben nahelegen. Die Ausnahmeregelung muss geeignet und erforderlich sein, um diesen besonderen Sachgesetzlichkeiten Rechnung zu tragen. Die Frage, ob besondere aus der betroffenen Stellung und deren Aufgabenspektrum folgende Sachgesetzlichkeiten eine Ausnahme vom Beamtenverhältnis auf Lebenszeit erforderlich machen, ist keiner generalisierenden Beantwortung zugänglich, sondern bedarf einer konkreten, alle erheblichen Gesichtspunkte einbeziehenden Bewertung der jeweiligen Regelungsstruktur im Einzelfall.
  4. Eine anerkannte Ausnahme vom Lebenszeitprinzip stellen die politischen Beamten dar. Ihnen wird ihr statusrechtliches Amt auf Lebenszeit übertragen. Dieses Amt ist jedoch einer weitgehend unbeschränkten Möglichkeit der Versetzung in den einstweiligen Ruhestand unterworfen.
  5. Dem Status des politischen Beamten kommt gegenüber dem Regelfall des Beamtenverhältnisses auf Lebenszeit ein eng zu bestimmender Ausnahmecharakter zu. Der mit dieser Ausnahme verbundene Eingriff in das Lebenszeitprinzip kann nur durch die Besonderheiten der betroffenen Stellung und der damit verbundenen Aufgabenwahrnehmung gerechtfertigt werden. Ihre sachliche Rechtfertigung findet die Ausnahmekategorie der politischen Beamten darin, dass diese nach der Art ihrer Aufgaben in besonderer Weise des politischen Vertrauens der Staatsführung bedürfen und in fortwährender Übereinstimmung mit den grundsätzlichen politischen Ansichten und Zielen der Regierung stehen müssen. Es handelt sich regelmäßig um „Transformationsämter“, zu deren Aufgaben es zählt, politische Vorgaben über den bloßen – gegebenenfalls ermessensgesteuerten – Vollzug bereits vorhandenen Gesetzesrechts hinaus in gesetzeskonformes und rechtsstaatliches Verwaltungshandeln umzusetzen.
  6. Die bloße Einstufung eines Amtes als sogenanntes Repräsentationsamt rechtfertigt die Besetzung des Amtes mit einem politischen Beamten grundsätzlich nicht.

Wann die Einstufung eines Amtes als in diesem Sinne „politisch“ anzunehmen ist, hängt von einer Reihe von Faktoren ab, die im Rahmen einer in jedem Einzelfall vorzunehmenden Gesamtbetrachtung Anhaltspunkte dafür bieten können, dass eine fortdauernde politische Übereinstimmung des jeweiligen Amtsträgers mit den politischen Zielen der Regierung für die wirksame Aufgabenerfüllung unerlässlich ist.

Das Fazit

Mit Blick auf die Regelung des § 37 Abs. 1 Nr. 5 LBG NRW stellt das Bundesverfassungsgericht klar fest, dass die Möglichkeit der jederzeitigen Versetzung eines Polizeipräsidenten in den einstweiligen Ruhestand in das Lebenszeitprinzip eingreift. Dieser Eingriff ist nicht durch besondere Sacherfordernisse des betroffenen Amtes gerechtfertigt. Weder der den Polizeipräsidenten in Nordrhein-Westfalen zugewiesene Aufgabenbereich oder der ihnen zugemessene Entscheidungsspielraum noch ihre organisatorische Stellung, der Umfang der ihnen auferlegten Beratungspflichten gegenüber der Landesregierung oder andere Gesichtspunkte weisen das Amt des Polizeipräsidenten als ein „politisches“ aus.

Genau diese Einordnung hatte der dbb in seiner Stellungnahme gegenüber dem Bundesverfassungsgericht vorgenommen und unter anderem darauf hingewiesen, dass die konkrete Ausgestaltung des den Polizeipräsidenten zugewiesenen Aufgabenkreises deutlich werden lasse, dass sich diese von anderen Leitern unterer Landesbehörden nicht unterscheiden. Eine besondere Nähe zu den politischen Entscheidungsträgern sei weder normativ vorgesehen noch sei eine derartige Praxis festzustellen. Vielmehr erschöpfe sich die Arbeit der Polizeipräsidenten auch unter Berücksichtigung des Umstands, dass sie immer wieder mit Sachverhalten und Gegenständen von besonderem öffentlichem Interesse befasst seien, weitgehend in einer administrativ-gesetzesvollziehenden Tätigkeit. Das Institut des politischen Amtes sei ein Fremdkörper im Beamtenrecht und müsse in seinem Anwendungsbereich eng gefasst werden.

vorhergehend:

VG Köln, 12.01.2018 - 19 K 94/17 –

OVG Nordrhein-Westfalen, 15.12.2021 – 6 A 739/18 –

Quelle: Pressemitteilung Nr. 44/2024 vom 16. Mai 2024

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