Tätigkeit in privatem Unternehmen und ruhegehaltsfähige Dienstzeit

Notwendige Voraussetzung für die Wahrnehmung eines Amtes sind besondere Fachkenntnisse dann, wenn der Dienstposten dem Beamten ohne sie nicht übertragen und er deshalb nicht in das Beamtenverhältnis berufen worden wäre .Dazu ist nicht erforderlich, dass Laufbahn- oder Prüfungsvorschriften solche Kenntnisse vorschreiben.

Es genügt, wenn die besonderen Fachkenntnisse tatsächlich für die Besetzung des Amtes gefordert wurden, damit eine Tätigkeit, die dem Erwerb dieser Kenntnisse dient, als ruhegehaltsfähig i. S. d des § 11 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 BremBeamtVG annerkannt werden kann.

OVG Bremen vom 5.07.2023 – 2 LB 5/23 –

Der Fall

Der Kläger streitet mit der Beklagten über die Anerkennung einer Tätigkeit als IT- Mitarbeiter bei einem Privatunternehmen von 1988 bis 2001 als ruhegehaltfähige Dienstzeit (§ 11 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 BremBeamtVG).

Der Kläger absolvierte nach seinem Abitur ein Lehramtsstudium, das er mit der 1. Staatsprüfung abschloss. Nach dem Referendariat für das Lehramt legte er 1981 die 2. Staatsprüfung ab. Im Anschluss war er mehrere Jahre lang mit Unterbrechungen als pädagogischer bzw. wissenschaftlicher Mitarbeiter im Angestelltenverhältnis bei einer Firma und absolvierte 1987/88 eine Ausbildung zum Programmierer für Datenkommunikations- und Datenbanksysteme. Vom 01.10.1988 bis zum 30.06.2001 (im Folgenden: streitgegenständlicher Zeitraum) war er als IT-Mitarbeiter beschäftigt.

2001 wurde der Kläger von der Beklagten als Lehrer im Angestelltenverhältnis eingestellt. Im Februar 2003 informierte die Senatorin für Bildung und Wissenschaft ihn darüber, dass es aufgrund einer Ausnahmegenehmigung der Senatorin für Finanzen die befristete Möglichkeit gebe, angestellte Lehrkräfte, die die Höchstaltersgrenze eigentlich schon überschritten haben, unter bestimmten Voraussetzungen zu verbeamten. Zu diesen Voraussetzungen zählte u. a. eine Beurteilung mit „gut“ oder „sehr gut“ durch die Schulleitung. Er stellte daraufhin einen Antrag auf Übernahme in das Beamtenverhältnis. Seine dienstliche Beurteilung durch den Schulleiter lautete im Gesamturteil „sehr gut“; der Schulleiter stimmte einer Verbeamtung „uneingeschränkt“ zu. Der Kläger wurde zunächst auf Probe und zum 01.07.2004 in das Beamtenverhältnis auf Lebenszeit berufen. Er wurde unverändert als Informatiklehrer an derselben Berufsschule eingesetzt. Mit Schreiben vom 14.11.2014 beantragte der Kläger „die Anerkennung meiner Programmierer-Ausbildung (15 Monate) und eines wesentlichen Teils (6,5 Jahre) meiner beruflichen Tätigkeit als Software-Entwickler als ruhegehaltfähige Zeit“. Ob dieser Zeitraum als ruhegehaltsfähig anerkannt wird, ist Gegenstand des Verfahrens. Der Kläger erhielt mehrere Schreiben der Beklagten mit und ohne Rechtsbehelfsbelehrung unter anderem einen mit Beschluss überschriebenes Schreiben vom 26.06.2015 ohne Rechtsbehelfsbelehrung, in denen der streitgegenständliche Zeitraum nicht thematisiert wurde, die Ausführungen zu der Problematik der Verfristung werden hier nicht vollumfänglich wiedergegeben.

Zum 01.02.2019 trat der Kläger in den Ruhestand. Am 11.02.2019 erhob er Widerspruch

gegen den Versorgungsfestsetzungsbescheid, soweit darin der streitgegenständliche Zeitraum nicht als ruhegehaltfähig berücksichtigt wurde. Zur Begründung führte er im Wesentlichen aus, dass seine Tätigkeit als Softwareentwickler und Leiter von SAP-Projekten notwendige Voraussetzung für die Wahrnehmung seines späteren Amtes als Lehrer gewesen sei. Unter „Amt“ sei hier das Amt im konkret-funktionellen Sinne, also der Dienstposten, zu verstehen. Als Berufsschullehrer mit Hauptfach Informatik sei er gerade wegen seiner Berufserfahrung eingestellt worden. Denn an der Schule sollte SAP in den Unterricht eingeführt werden. Der „Beschluss“ vom 26.06.2015 sei nur eine unverbindliche Auskunft gewesen. Es habe sich nicht um einen Verwaltungsakt gehandelt, der die (Nicht-)Ruhegehaltfähigkeit des streitgegenständlichen Zeitraums verbindlich regelt.

Mit Widerspruchsbescheid vom 14.06.2019 (zugestellt am 18.06.2019) wurde der Widerspruch als unbegründet zurückgewiesen. Der „Beschluss“ vom 26.06.2015 sei eine bestandskräftige Vorabentscheidung über die ruhegehaltfähigen Vordienstzeiten. Damit sei er für die Festsetzung der Versorgungsbezüge bindend.

Der Kläger erhob beim Verwaltungsgericht Klage. Zur Begründung hat er sein Vorbringen aus dem Widerspruchsverfahren wiederholt und vertieft und beantragt, die Beklagte zu verpflichten, ihn – insoweit unter Aufhebung des Bescheids vom 08.01.2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 14.06.2019 ––hinsichtlich der Anerkennung weiterer ruhegehaltfähiger Vordienstzeiten unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu bescheiden. Das Verwaltungsgericht hat die Klage mangels Rechtschutzbedürfnis abgewiesen, da der Versorgungsfestsetzungsbescheid bezüglich der Vordienstzeiten als ruhegehaltfähig nicht angefochten werden könne, da diese Frage durch den „Beschluss“ vom 26.06.2015 bereits bestandskräftig geregelt sei.

Der Kläger beantragt, das Urteil des Verwaltungsgerichts der Freien Hansestadt Bremen – 7. Kammer – vom 25. Januar 2022 aufzuheben und die Beklagte unter teilweiser Aufhebung ihres Bescheides vom 08.01.2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.06.2019 zu verpflichten, über die Anerkennung seiner Tätigkeit bei der Firma X als ruhegehaltfähig unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu entscheiden.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Die Entscheidung

Die zulässige Berufung des Klägers ist begründet. Das Verwaltungsgericht hat die Klage zu Unrecht abgewiesen. Die Klage ist zulässig und begründet, der Versorgungsfestsetzungsbescheid vom 08.01.2019 und der Widerspruchsbescheid vom 14.06.2019 sind insoweit rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten, als die Tätigkeit bei der Firma X nicht als ruhegehaltfähig anerkannt wird. Der Kläger hat einen Anspruch darauf, dass die Beklagte über die Anerkennung dieser Tätigkeit unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut entscheidet (§ 113 Abs. 5 VwGO).

Die Tätigkeit des Klägers bei der Firma X erfüllt die Voraussetzungen des § 11 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 BremBeamtVG für eine Anerkennung als ruhegehaltfähig. Es handelt sich um einen Zeitraum vor der Berufung in das Beamtenverhältnis, in dem der Kläger besondere Fachkenntnisse auf technischem Gebiet erworben hat, die die notwendige Voraussetzung für die Wahrnehmung seines Amtes bilden. Das ihr zukommende Ermessen hat die Beklagte bislang nicht ausgeübt. Der Kläger hat im Rahmen dieser Tätigkeit umfassende Kenntnisse der SAP-Software und damit besondere Fachkenntnisse auf technischem Gebiet im Sinne von § 11 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 BremBeamtVG erworben.

Unter „besonderen Fachkenntnissen“ sind (nur) solche Kenntnisse zu verstehen, die über das Maß der an allgemeinen Schulen, Fach- oder Hochschulen vermittelten allgemeinen oder weiterbildenden Kenntnisse hinausgehen (vgl. BVerwG, Urt. v. 16.01.1963 – VI C 10.61, BVerwGE 15, 291 <295 f.>). Unerheblich ist, wie die Kenntnisse erworben wurden; dies kann u. a. im Rahmen einer beruflichen Tätigkeit geschehen (vgl. BVerwG, Urt. v. 26.05.1966 – II C 43.63).

Der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung glaubhaft geschildert, dass er die umfassenden Kenntnisse der SAP-Software, über die er unstreitig verfügt, nicht schon im Rahmen seiner Ausbildung zum Programmierer für Datenkommunikations- und Datenbanksysteme erworben hat. Diese Kenntnisse wurden während der Tätigkeit bei der Firma X erworben und per Zeugnis nachgewiesen. Die umfassenden SAP-Kenntnisse waren notwendige Voraussetzung für die Wahrnehmung des „Amtes“ des Klägers. Unter „Amt“ im Sinne des § 11 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 BremBeamtVG ist das Amt im konkret-funktionellen Sinne zu verstehen, also der Dienstposten.

Notwendige Voraussetzung für die Wahrnehmung eines Amtes sind besondere Fachkenntnisse dann, wenn der Dienstposten dem Beamten ohne sie nicht übertragen und er deshalb nicht in das Beamtenverhältnis berufen worden wäre (vgl. BVerwG, Urt. v. 14.02.1963 – VI C 54.61). Dazu ist nicht erforderlich, dass Laufbahn- oder Prüfungsvorschriften solche Kenntnisse vorschreiben. Es genügt, wenn die besonderen Fachkenntnisse tatsächlich für die Besetzung des Amtes gefordert wurden.

Nach der Beweisaufnahme steht zur vollen Überzeugung des Senats fest, dass der Kläger ohne seine umfassenden SAP-Kenntnisse weder im Jahr 2001 als angestellter Lehrer eingestellt noch im Jahr 2003 in das Beamtenverhältnis berufen worden wäre.Ohne seine vertieften SAP-Kenntnisse wäre der Kläger auch nicht im Jahr 2003 verbeamtet worden. Die Verbeamtung erfolgte mit Blick auf dasselbe Aufgabengebiet, das der Kläger schon zuvor als angestellter Lehrer wahrgenommen hatte. Diese Kenntnisse waren für die Bewältigung dieser Aufgaben nach wie vor notwendige Voraussetzung. Zur Überzeugung des Senats steht fest, dass Ende Februar 2003 – also vor der Verbeamtung des Klägers – lediglich die Einführung von SAP-Software an der Schule abgeschlossen war. Es bedurfte danach noch für mehrere Jahre einer Person mit guten SAP-Kenntnissen, um die Arbeit mit dieser Software an der Schule laufend zu betreuen.

Hinzu kommt, dass eine Verbeamtung des Klägers eine Beurteilung seiner Angestelltentätigkeit mit „sehr gut“ oder „gut“ voraussetzte (vgl. Schreiben der Senatorin für Bildung und Wissenschaft vom 25.02.2003). Die aus diesem Anlass erstellte Beurteilung des Klägers durch den Schulleiter schließt mit dem Gesamturteil „sehr gut“ und der textlichen Erläuterung, dass der Kläger nach der „langen Praxisphase im Unternehmensbereich einen Gewinn für die Schule“ darstelle und die Schulleitung seiner Verbeamtung „daher nur uneingeschränkt zustimmen“ könne. Die Tätigkeit des Klägers im SAP-Projekt wird in der Beurteilung zudem mehrfach erwähnt. Auf Nachfrage des Gerichts hat der Zeuge erläutert, dass die Beurteilung des Klägers außergewöhnlich gut und die praktische Berufserfahrung dafür das „A und O“ gewesen sei. Man habe damals Lehrkräfte gebraucht, „die Erfahrung hatten in der Wirtschaft, also außerhalb des üblichen Schule/Uni/Schule-Bereichs“.

Entgegen der Auffassung der Beklagten ist die Aussage des als Zeugen geladenen Schulleiters nicht irrelevant. Es kommt nicht ausschließlich darauf an, welche Auskünfte die fachlich zuständige oberste Landesbehörde zur „Notwendigkeit“ der besonderen Fach-kenntnisse des Klägers gibt. Nach § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. Der Senat ist daher nicht gehindert, seine Feststellung, dass der Kläger ohne seine SAP-Kenntnisse nicht in das Beamtenverhältnis berufen worden wäre, auf die Angaben des Klägers, den Inhalt der Personalakte und die Aussage des Zeugen zu stützen.

Das ihr somit zustehende Ermessen, ob und in welchem Umfang sie die Tätigkeit des Klägers bei der Firma X als ruhegehaltfähig berücksichtigt hat die Beklagte bisher nicht ausgeübt. Denn sie steht auf dem – irrigen – Standpunkt, dass schon die gesetzlichen Voraussetzungen für eine Berücksichtigung nicht vorlägen. Daher ist die Beklagte zur Neubescheidung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu verurteilen (§ 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO).

Das Fazit

Notwendige Voraussetzung für die Wahrnehmung eines Amtes sind besondere Fachkenntnisse dann, wenn der Dienstposten dem Beamten ohne sie nicht übertragen und er deshalb nicht in das Beamtenverhältnis berufen worden wäre (vgl. BVerwG, Urt. v. 14.02.1963 – VI C 54.61) Dazu ist nicht erforderlich, dass Laufbahn- oder Prüfungsvorschriften solche Kenntnisse vorschreiben. Es genügt, wenn die besonderen Fachkenntnisse tatsächlich für die Besetzung des Amtes gefordert wurden, dam,it die Tätigkeit als ruhegehaltsfähig i. S. d des §11 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 BremBeamtVG annerkannt werden kann.

vorgehend: VG Bremen: 7 K 1464/19

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