dbb magazin 6/2019 - page 16

reportage
führung neuer großer Soft-
waresysteme wie „JusIT“ für
die Jugendhilfe oder „KoPers“
für die Personalverwaltung in
der Vergangenheit bittere Er-
fahrungen gemacht. „Davor
bewahren uns jetzt die ganz
genau differenzierten Anforde-
rungen und Einführungsschrit-
te von ‚Digital First‘“, erklärt
Christoph Klamp. „Zudem set-
zen wir auf modulare Program-
mierung. Wir schaffen nicht
wie früher irgendwelche Soft-
ware-Kolosse, die am Ende
ihrer Entwicklung oft schon
wieder veraltet und kaum
noch überschau- und hand­
habbar sind. Im Gegenteil: Wir
programmieren viele kleine
Bausteine, die einzeln ausge-
tauscht werden können, wenn
etwas nicht richtig funktio-
niert oder Teile modernisiert
werden müssen.“
<<
Verwaltung neu denken:
Vom Nutzer aus
Es ist indes nicht die techni-
sche Digitalisierung allein, die
sich Hamburg auf die Fahnen
geschrieben hat. „Wir wollen
Verwaltung neu denken, vom
Nutzer aus, das ist unser An-
spruch“, sagt Jörg Schmoll. In
Design Thinking-Workshops
betrachten alle möglichen Be-
teiligten vom Sachbearbeiter
über die Bürgerin und die Juris-
tin bis hin zum IT-Spezialisten
und Prozessoptimierer die Ver-
waltungsvorgänge und überle-
gen, worauf es am Ende tat-
sächlich ankommt, wie man
das Verfahren für die Behörden
und Verwaltungen transparen-
ter und schneller gestalten und
insgesamt verständlicher und
moderner aufsetzen könnte.
Das Pilotprojekt „Kinderleicht
zum Kindergeld“ fördert die
Chancen und Vorteile einer so
aufgesetzten Digitalisierungs-
strategie geradezu lehrbuch-
mäßig zutage. Mit diesem
neuen Service können frisch­
gebackene Eltern durch Ausfül-
len eines einzigen dreiseitigen,
nutzerfreundlich gestalteten
Formulars alle Formalitäten
wie Namensbestimmung, Ge-
burtsanzeige, Bestellung von
Geburtsurkunden und den Kin-
dergeldantrag erledigen. Alle
erforderlichen Verfahren wer-
den im Hintergrund angesto-
ßen und abgearbeitet. „So ein-
fach und unkompliziert stellen
wir uns moderne Verwaltung
vor – wer will, kann schon di-
rekt im Geburtskrankenhaus
alles erledigen“, erklärt Jörg
Schmoll. Der Kombi-Service
laufe seit fast einem Jahr ein-
wandfrei und stabil, mehrere
Tausend Eltern haben das An-
gebot in der Asklepios-Klinik
Altona und im Uni-Klinikum
Eppendorf bereits genutzt.
Nun wird der Service nach und
nach auf alle Geburtskliniken
in Hamburg ausgeweitet, die
digitale Lösung wird zeitgleich
entwickelt.
<<
Funktion ist wichtig,
Perfektion kommt allein
„Einfach und unkompliziert“ –
ohnehin die Skills der Zukunft,
ginge es nach den Hamburger
Digitalisierern. „Wir wollen kei-
ne Hochglanzoberfläche, son-
dern intelligente, rechtsfeste
und bürgerfreundliche Online-
Lösungen, die für alle Beteilig-
ten funktionieren“, stellt Jörg
Schmoll richtig. „Es muss nicht
immer leuchten, blinken und
perfekt sein – auch die ,kleine
Lösung‘ bringt im ersten
Schritt eine Verbesserung.
Denn aus denen lernen wir“,
weiß Schmoll. Diese Haltung
darf man durchaus als Paradig-
menwechsel im Verwaltungs-
denken werten. „Das streben
wir auch ganz bewusst an“, be-
tont Christoph Klamp. „Wir
müssen weg von dieser Schere
im Kopf ‚Wir, die Verwaltung
hier drinnen – die da draußen,
die Bürgerinnen und Bürger‘.
Wir sind alle Bürgerinnen und
Bürger und wollen, auch als Be-
schäftigte, eine moderne, agi-
le, digitale, freundliche Verwal-
tung. Vor allem funktionieren
muss sie.“ Die Perfektion, die in
Deutschland ohnehin so sicher
ist wie das Amen in der Kirche,
komme im laufenden Betrieb
von ganz alleine. „Über allem
steht bei uns ein Dreiklang:
Mensch – Organisation – Tech-
nik. Jede Komponente ist
gleich wichtig“, betont Klamp.
<<
Paradigmenwechsel
ist Chefsache
Und der Paradigmenwechsel
ist absolute Chefsache in Ham-
burg. Nicht nur die unmittelba-
re Ansiedlung des Amtes ITD in
der Senatskanzlei ist Ausdruck
dessen. Alle Staatsräte der
Hansestadt haben eine Verein-
barung unterschrieben, in der
sie sich klar zur Digitalisierung,
zu neuem Denken, agilen Me-
thoden der Prozessoptimie-
rung und einer zwangsläufig
dazu gehörenden ausdrückli-
chen Fehlertoleranz bekennen.
Jedes Digitalisierungsvorhaben
in einer Behörde geht über den
Tisch des jeweils zuständigen
Staatsrats. Nur so geht es, sind
sich die Digitalisierungsprakti-
ker einig: „Digitalisierung ist
ein Change-Prozess, der von
oben angestoßen und vorge-
lebt werden muss“, so Klamp.
Und verrät zum Schluss noch
ein kleines Betriebsgeheimnis
der Hamburger Spitzendigitali-
sierer: Die Selbstverpflichtung
der politischen Führung auf die
Modernisierung und Digitali-
sierung der Verwaltung war
natürlich auf Papier ausge-
druckt und wurde jeweils ei-
genhändig unterschrieben.
„Hält dann doch besser“, ver­
sichert Klamp schmunzelnd
und packt sein Notebook
unter den Arm. Weiter geht’s:
Digital First.
Britta Ibald
<<
Onlinezugangsgesetz (OZG)
Alle Verwaltungen in Deutschland sind verpflichtet, bis Ende 2022
ihre Verwaltungsleistungen elektronisch über Verwaltungsportale
anzubieten. Das regelt das „Gesetz zur Verbesserung des Online­
zugangs zu Verwaltungsleistungen“, auch Onlinezugangsgesetz
(OZG) genannt. Eine Expertengruppe aus Bund, Ländern und
Kommunen hat 575 OZG-Leistungen identifiziert, die über einen
Verbund der Verwaltungsportale einheitlich abgerufen werden
können – von der Anzeige einer Geburt bis zur Zulassung von
Kraftfahrzeugen. Der Portalverbund startet zunächst in vier Bun-
desländern: Bayern, Berlin, Hamburg und Hessen. Der Bund stellt
technische Basisfunktionen bereit, die vier Piloten bringen ihre bis-
herigen Verwaltungsportale in den Testbetrieb mit ein. Das Gesetz
schreibt weiterhin vor: Bürger und Unternehmen sollen mit ihrem
Heimatkonto auch auf Dienstleistungen von Verwaltungen ande-
rer Bundesländer zugreifen können. Vordem noch nicht kompati­
ble IT-Infrastrukturen werden dadurch zusammengeführt.
<<
Knapp über 130 digitale Geschäfts-
prozesse finden sich bereits auf
dem Online-Serviceportal der Han-
sestadt. In diesem Jahr sollen es
schnell viele mehr werden.
© Senatskanzlei Hamburg
16
dbb
>
dbb magazin | Juni 2019
1...,6,7,8,9,10,11,12,13,14,15 17,18,19,20,21,22,23,24,25,26,...48
Powered by FlippingBook