Der Gotteslohn. Die Branche kennt kleine, schmutzige Geheimnisse. Schon der Berufseinstieg wird wenig wertgeschätzt. Die ersten Jahre der Ausbildung zum Erzieher erfolgen zum „Gotteslohn“. Die Auszubildenden werden vielfach gar nicht bezahlt. „Ich habe eine Ausbildung auf Bachelorniveau. Ich habe vier Jahre kein Geld bekommen. Weil ich auf einer privaten katholischen Schule war, musste ich im Gegenteil noch Schulgeld bezahlen“, sagt Manuel Hein. Lernt man beim Staat, zahle man zwar kein Schulgeld, aber man bekomme auch dort kein Geld in dieser Zeit. „Das variiert von Bundesland zu Bundesland.“ Junge Leute fragten sich da wohl doch: Mache ich dann nicht lieber was anderes? Hein ist sicher: „Wir brauchen die Möglichkeit einer bezahlten Ausbildung, damit sich noch Menschen überhaupt für diesen Beruf entscheiden.“ Keine neuen Erzieher also, nirgendwo. Bundesweit wird das zunehmend zum Reizthema. Eltern schreiben wie in München einen „Brandbrief“ an den Oberbürgermeister, weil sie für ihre Kinder keine Plätze finden. In Berlin gingen schon vor drei Jahren wütende Betroffene auf die Straße. In Niedersachsen wechselten Kitas 2021 in den Notbetrieb, das nicht nur wegen Corona. Betreuungszeiten wurden beschnitten. Heute arbeiten 675000 Fachkräfte in den Kindertagesstätten. Bis zu 230000 werden bis 2030 fehlen, sagt der Deutsche Städtetag. „Uns läuft die Zeit davon“, fürchtet sein Hauptgeschäftsführer Helmut Dedy. Erst recht, weil schon die nächste Herausforderung wartet: Ab dem Schuljahr 2026/27, so hat es die Politik beschlossen, werden Familien ein Recht auf „offene Ganztagsbetreuung“ an Grundschulen haben. Woher sollen die dann noch zusätzlichen Erzieher für geschätzt eine Million Schulkinder kommen? Konsequenzen des Mangels an Mitarbeitern tragen nicht nur die Kitabelegschaften. Mütter und Väter, die trotz Anrecht keinen Platz für den Nachwuchs bekommen, müssen notfalls im Beruf zurückstecken. Ausgebremst wird auch die Vielfalt des Tagesprogramms für die Kinder. „Wenn Personalmangel herrscht, müssen als Erstes pädagogische Angebote gecancelt werden, die erhöhter Aufsicht bedürfen wie die Wassergewöhnung im Schwimmbad oder Aktivitäten in der Natur“, sagt Praktiker Hein. Zudem fürchten nicht wenige Verantwortliche aktuell eine Vergrößerung der Gruppen ohne Personalausweitung, weil Kommunen und freie Träger die Kinder geflüchteter Familien aus dem ukrainischen Kriegsgebiet unterbringen müssen. Wie sich überbesetzte Gruppen auf die Kids auswirken, weiß Manuel Hein ganz gut: „Es stresst auch sie, wenn da zu viele auf zu engem Raum sind. Biohühnern wird mehr Platz zugestanden.“ Überhaupt: „Zunehmend kommen Kinder mit wenig Deutschkenntnissen“, berichtet Hein. Arabische, somalische und vietnamesische Töne sind in der KiTa LahnEggs ohnehin Alltag. Wie überall in Deutschland. „Wir haben auch Russlanddeutsche.“ Generell scheint dieses Zusammensein recht gut zu funktionieren. „Aber wenn wir sehen, dass die Kinder ein Entwicklungsdefizit haben, wird es schwer, Eltern, die kein Deutsch sprechen, in einfacher Sprache und trotzdem wohlwollend und gut zu erklären, was los ist.“ Bei Verständnisschwierigkeiten helfen jetzt Tablets mit GoogleÜbersetzer weiter. In Lahnstein hat sie der Träger, die Kommune, beschafft. Und sie hat auch für eine andere Erleichterung gesorgt. Spezielle Erzieherstühle wurden angeliefert, einstellbar und mit der Möglichkeit, sich anzulehnen. Das Stück für 200 Euro. Hilft das? Nicht immer. „Man ist viel auf den Knien unterwegs, kniet auf dem Teppichboden mit den Kindern. Und man beugt sich trotzdem nach unten.“ Text: Dietmar Seher Fotos: Uta Wagner Heute arbeiten 675 000 Fachkräfte in den Kindertagesstätten. Bis zu 230 000 werden bis 2030 fehlen, sagt der Deutsche Städtetag. Wenn Personalmangel herrscht, müssen als Erstes pädagogische Angebote gecancelt werden, die erhöhter Aufsicht bedürfen, sagt Praktiker Hein. FOKUS 19 dbb magazin | Mai 2022
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