Bund und Kommunen
Fristlose Kündigung wegen sexueller Belästigung von Praktikantinnen
Eine sexuelle Belästigung rechtfertigt eine fristlose Kündigung eines langjährig beschäftigten Arbeitnehmers auch dann, wenn eine einschlägige Abmahnung nicht vorausgegangen ist (Landesarbeitsgericht Hannover, Urteil vom 20. Juni 2022, Aktenzeichen 12 Sa 434/21).
Der Fall
Der Kläger ist seit 2002 bei der Beklagten beschäftigt und arbeitete zuletzt als Marktforscher und Marketingplaner. Ihm wurde zunächst vorgeworfen, mehrere Praktikantinnen wiederholt verbal und körperlich sexuell belästigt zu haben. Daraufhin beauftragte die Beklagte eine Untersuchung zu den Vorwürfen. Im Rahmen der Aufklärung wurden die betroffenen Zeuginnen, der Kläger selbst und mehr als zehn Personen aus dem beruflichen Umfeld des Klägers ausführlich befragt. In der Sanktionsempfehlung wurde die Kündigung des Klägers empfohlen. Nach Anhörung des Klägers zu den gegen ihn erhobenen Vorwürfen kündigte die Beklagte den Kläger fristlos. Gegen die Kündigung wehrte er sich gerichtlich. Das Landesarbeitsgericht war nach ausführlicher Vernehmung der Praktikantinnen davon überzeugt, dass der Kläger die ihm zugewiesenen Praktikantinnen mehrmals sexuell belästigt hat. In einer Situation habe der Kläger nahe des Kopierraums geäußert, er habe es hier schon mal mit einer Praktikantin „getrieben“. Die Praktikantinnen sollten sich nicht so anstellen, man könnte sich hier auch „hochschlafen“. Die betroffene Praktikantin beurkundete, dass sie sich durch das Verhalten des Klägers sehr unwohl gefühlt habe.
Die Entscheidung
Das Gericht entschied, dass die außerordentliche Kündigung rechtswirksam ist. Das Verhalten des Klägers sei als sexuelle Belästigung zu werten und sei „an sich“ geeignet, einen wichtigen Grund im Sinne von § 626 Absatz 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) zu bilden. Das Verhalten wiege derart schwer, dass eine Abmahnung entbehrlich gewesen sei. Denn selbst die einmalige Hinnahme der sexuellen Belästigung wäre der Beklagten nach objektiven Maßstäben unzumutbar und damit offensichtlich ausgeschlossen. Durch die sexuelle Belästigung der Praktikantinnen habe der Kläger seine Pflicht zur Rücksichtnahme auf die Interessen der Beklagten gemäß § 241 Absatz 2 BGB erheblich verletzt. Die Beklagte sei nach § 12 Absatz 1 und 3 Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz (AGG) gesetzlich verpflichtet, ihre Beschäftigten vor sexuellen Belästigungen zu schützen. Eine sexuelle Belästigung im Sinne von § 3 Absatz 4 AGG liegt vor, wenn ein unerwünschtes, sexuell bestimmtes Verhalten, wozu auch sexuell bestimmte körperliche Berührungen und Bemerkungen sexuellen Inhalts gehören, bezweckt oder bewirkt, dass die Würde der betreffenden Person verletzt wird. Das Gericht ist nach Vernehmung der glaubwürdigen Praktikantinnen überzeugt, dass der Kläger gegenüber den Praktikantinnen durch das situationsinadäquate fortwährende Ansprechen sexueller Themen diese sexuell belästigt hat. Dabei habe der Kläger seine gefestigte und hierarchisch übergeordnete Stellung im Betrieb dazu ausgenutzt, die überwiegend konkludente, teils aber auch explizite Abwehr der Betroffenen zu überspielen. Aus dieser Situation heraus habe der Kläger die Praktikantinnen gegen deren erkennbare Ablehnung mehrfach sexualbezogen berührt. Aufgrund der Schwere der vom Kläger begangenen Pflichtverletzung wäre eine vorherige Abmahnung vor Ausspruch der außerordentlichen Kündigung entbehrlich. Auch die umfassende Interessenabwägung komme zu keinem anderen Ergebnis.
Das Fazit
Zurecht stellen sexuelle Belästigungen nach ständiger Rechtsprechung einen wichtigen Grund für eine sofortige außerordentliche Kündigung dar. Denn jede Person hat das Recht, selbst darüber zu entscheiden, unter den gegebenen Umständen von anderen in ein sexualbezogenes Geschehen involviert zu werden. Wer dieses Recht verletzt, muss mit den Konsequenzen leben.