Bund und Kommunen
Ordentliche Kündigung – betriebliches Eingliederungsmanagement (bEM) muss bei Bedarf erneut erfolgen
Arbeitgebende haben grundsätzlich ein neuerliches bEM durchzuführen, wenn Arbeitnehmende innerhalb eines Jahres nach Abschluss eines bEM erneut länger als sechs Wochen durchgängig oder wiederholt arbeitsunfähig erkrankt waren (BAG, Urteil vom 9. Dezember 2020, Aktenzeichen 12 Sa 554/20).
Der Fall
Im vorliegenden Fall war der Kläger bei der Beklagten seit 2001 beschäftigt. Im Jahr 2017 war er an 40 Arbeitstagen arbeitsunfähig erkrankt, im Jahr 2018 an 61 Arbeitstagen und im Jahr 2019 an 103 Arbeitstagen. Am 5. März 2019 führten die Parteien ein Gespräch zur Durchführung eines betrieblichen Eingliederungsmanagements (bEM). Nach dem Gespräch bis zur Kündigung war der Kläger erneut an 79 Arbeitstagen arbeitsunfähig krank. Im Februar 2020 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis. Sie ist der Auffassung, dass kein erneutes bEM vor dem Kündigungsausspruch durchgeführt werden musste. Gegen die Kündigung hat der Kläger rechtzeitig Klage erhoben. Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben und das Landesarbeitsgericht hat die dagegen gerichtete Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Mit ihrer Revision verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter.
Die Entscheidung
Die Revision ist unbegründet. Die Kündigung der Beklagten sei unverhältnismäßig und damit sozial ungerechtfertigt im Sinne von § 1 Absatz 2 Satz 1 Kündigungsschutzgesetz (KSchG). Eine Kündigung aufgrund Krankheit sei unzulässig, wenn es angemessene mildere Mittel zur Vermeidung oder Verringerung künftiger Fehlzeiten gibt. Solche Maßnahmen könnten insbesondere die Umgestaltung des bisherigen Arbeitsbereichs oder die Weiterbeschäftigung auf einem anderen – dem Gesundheitszustand entsprechenden – Arbeitsplatz sein. Zudem könne sich aus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit die Verpflichtung der Arbeitgebenden ergeben, es Arbeitnehmenden vor einer Kündigung zu ermöglichen, gegebenenfalls spezifische Behandlungsmaßnahmen zu ergreifen, um dadurch künftige Fehlzeiten auszuschließen oder zumindest signifikant zu verringern. War der/die Arbeitgebende gemäß § 167 Absatz 2 Satz 1 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) zur Durchführung eines bEM verpflichtet und ist er/sie dieser Verpflichtung nicht nachgekommen, ist er/sie darlegungs- und beweispflichtig dafür, dass auch ein bEM nicht dazu hätte beitragen können, neuerlichen Arbeitsunfähigkeitszeiten entgegenzuwirken und das Arbeitsverhältnis zu erhalten. Im vorliegenden Fall sei die Beklagte nach § 167 Absatz 2 Satz 1 SGB IX verpflichtet gewesen, die Initiative für ein (erneutes) bEM zu ergreifen, selbst wenn sie bereits am 5. März 2019 ein bEM mit dem Kläger durchgeführt haben sollte. Dieser Verpflichtung sei sie aber nicht nachgekommen. Arbeitgebende hätten gemäß § 167 Absatz 2 Satz 1 SGB IX grundsätzlich ein neuerliches bEM durchzuführen, wenn Arbeitnehmende innerhalb eines Jahres nach Abschluss eines bEM erneut länger als sechs Wochen durchgängig oder wiederholt arbeitsunfähig erkrankt waren, und zwar auch dann, wenn nach dem zuvor durchgeführten bEM noch nicht wieder ein Jahr vergangen ist. Die Beklagte habe nicht dargelegt, dass mit Hilfe eines (weiteren) bEM keine milderen Mittel als die Beendigung des Arbeitsverhältnisses hätten erkannt oder entwickelt werden können. Das (weitere) bEM wäre aufgrund der Zeiten der Arbeitsunfähigkeit des Klägers innerhalb des letzten Jahres erforderlich gewesen. Damit sei grundsätzlich davon auszugehen, dass es dazu beigetragen hätte, neuerliche Krankheitszeiten bezogen auf den maßgeblichen Prognosezeitpunkt des Zugangs der Kündigung zumindest zu vermindern und so das Arbeitsverhältnis zu erhalten.
Das Fazit
Die Durchführung eines bEM ist zwar nicht selbst ein milderes Mittel gegenüber einer Kündigung, jedoch konkretisiert die Regelung aus § 167 Absatz 2 SGB IX den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Somit können mit Hilfe eines bEM mildere Mittel als die Beendigung eines Arbeitsverhältnisses erkannt und entwickelt werden.