Bund und Kommunen
Keine fristlose Kündigung wegen Verteilen von Gewerkschaftsbroschüren
Wenn Arbeitnehmer einer Klinik im Rahmen eines Tarifkonflikts Gewerkschaftsschreiben an Patienten verteilen, rechtfertigt dies keine fristlose Kündigung. Vielmehr ist eine vorherige Abmahnung erforderlich (Arbeitsgericht Nordhausen, Urteile vom 17. Oktober 2018, Aktenzeichen 2 Ca 335/18 und 2 Ca 336/18).
Der Fall
In beiden Rechtsstreitigkeiten geht es um die Rechtswirksamkeit von fristlosen Kündigungen, die die beklagte Klinik gegenüber zwei Mitarbeiterinnen ausgesprochen hatte. Die Kündigungen erfolgten vor dem Hintergrund eines seit Sommer 2017 laufenden Tarifkonflikts zwischen der Beklagten und der vor Ort organisierenden Gewerkschaft um den Abschluss eines Vergütungstarifvertrags. Die langjährig bei der Klinik beschäftigten Klägerinnen waren Mitglied der Tarifkommission und hatten für den von der Gewerkschaft beabsichtigten Streik im März 2018 Gewerkschaftsschreiben in die von der Klinik vorgehaltenen Patientenpostfächer eingelegt. Die Beklagte sah durch dieses Verhalten eine nicht hinzunehmende Pflichtverletzung der Klägerinnen im Zusammenhang mit dem Arbeitskampf, die sich auch geschäftsschädigend ausgewirkt habe, und sprach eine außerordentliche fristlose Kündigung aus. Dagegen erhoben die Klägerinnen Kündigungsschutzklagen. Sie beriefen sich darauf, dass es sowohl an einem wichtigen Grund für eine fristlose Kündigung als auch an einer Abmahnung fehle.
Die Entscheidung
Das Arbeitsgericht Nordhausen hat festgestellt, dass die gegenüber den Klägerinnen ausgesprochenen fristlosen Kündigungen rechtsunwirksam sind und damit das Arbeitsverhältnis der Arbeitnehmerinnen nicht aufgelöst haben.
Das Gericht begründet seine Entscheidung damit, dass der den Mitarbeiterinnen gegenüber erhobene Vorwurf eines pflichtwidrigen Verhaltens nicht von solchem Gewicht sei, dass er ohne eine vorherige Abmahnung zu einer Kündigung führen könne. An einer solchen Abmahnung vor Ausspruch einer Kündigung habe es jedoch gefehlt. Die beklagte Klinik sei verpflichtet, die Klägerinnen weiter zu beschäftigen.
Das Fazit
Die vorliegende Entscheidung ist zu begrüßen. In den allermeisten Fällen müssen Arbeitgeber auch vor Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung zuvor eine Abmahnung erteilen. Das BAG betont in seiner neueren Rechtsprechung, dass auch erhebliche Pflichtverstöße kein ausreichender Grund für eine außerordentliche fristlose Kündigung sind, wenn der angerichtete Schaden gering ist, das Arbeitsverhältnis zuvor lange Zeit ohne Beanstandungen durchgeführt wurde und wenn der Pflichtverstoß ein „einmaliger Ausrutscher“ war. Die Pflichtverletzung im Zusammenhang mit der Patienteninformation über Streikmaßnahmen ist kein erheblicher Pflichtverstoß, der eine außerordentliche fristlose Kündigung rechtfertigt.