Nordrhein-Westfalen
Bescheidung der Besoldungswidersprüche für 2022 angekündigt
Das Ministerium für Finanzen (FM) NRW informiert aktuell: Es wird nunmehr mit der Entscheidung über die in großer Zahl eingelegten Widersprüche gegen die amtsangemessene Alimentation der beamteten Personen begonnen. Diese Bescheide betreffen das Haushaltsjahr 2022. Nach den Berechnungen des Finanzministeriums sei die Alimentation im Jahr 2022 verfassungsgemäß gewesen. Nachzahlungen soll es demnach nicht geben.
Für den DBB NRW ist dies ein Affront. Denn er hat auch immer erklärt, dass er angesichts der für das Jahr 2022 insgesamt rund 55.000 Besoldungswidersprüche und folglich zu erwartenden Bescheiden seinen Mitgliedern keinen individuellen Rechtsschutz gewähren könne, da hierdurch der gewerkschaftliche Rechtsschutz aber auch die Verwaltungsgerichtsbarkeit des Landes NRW überfordert werden würde. Der 1. Vorsitzende des DBB NRW, Roland Staude: „Die Kolleginnen und Kollegen werden trotz der verfassungsrechtlich ungeklärten Situation von der Landesregierung im Regen stehen gelassen und auch den Gewerkschaften wird vor den Kopf gestoßen.“
Begründet wird dieses Vorgehen seitens des Finanzministeriums insbesondere damit, durch ein weiteres Zurückstellen der Entscheidungen würde die Anzahl der unerledigten Widersprüche weiter steigen und in den zuständigen Dienststellen nicht mehr handhabbar sein. Dieses Argument vermag den DBB NRW jedoch kaum zu überzeugen. Zum einen wurde eine große Anzahl von Musterwidersprüchen bereits durch die Erledigung von „alten“ Verfahren (betreffend die Streichung des Urlaubsgelds bzw. Kürzung der Sonderzahlung) abgearbeitet, zum anderen drängt sich die Vermutung auf, dass nur über diejenigen Musterwidersprüche entschieden wird, die nichts kosten. „Warum packt die Landesregierung nicht die noch offenen Widersprüche für die Jahre vor 2022 an?“, fragte Staude. Denn für diesen Zeitraum sei die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nur für die Beamtenfamilien mit mehr als zwei Kindern umgesetzt, aber noch nicht für alle anderen. „Die Antwort drängt sich auf: Für die Jahre, in denen Nachzahlungen an die verbeamteten Kolleginnen und Kollegen zu erwarten sind, wartet man noch ab“, so Staude. In der Tat steht eine angekündigte, aber noch nicht eingeleitete gesetzgeberische Umsetzung weiterhin aus. Hier müssen die Betroffenen weiterhin warten.
Die Diskussion über die „richtige“ Höhe der Alimentation ist so langwierig wie vielschichtig. Häufig müssen Gerichte nach zähen und zeitaufwendigen Verfahren feststellen, dass in den Besoldungs- und Versorgungsgesetzen verfassungswidrig zu niedrige Bezüge festgeschrieben sind. Insbesondere die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 2020 haben dazu geführt, dass alle Besoldungsgesetzgeber in der Bundesrepublik ihre Gesetze grundlegend geprüft und überarbeitet haben. Um den betroffenen Beamtinnen und Beamten aber auch den Versorgungsempfängerinnen und -empfängern in dieser unübersichtlichen Situation zu helfen, ihre Rechte geltend zu machen, stellt der DBB NRW seinen in den ihm angeschlossenen Fachgewerkschaften organisierten Mitgliedern seit vielen Jahren Musterwidersprüche bzw. -anträge zur Verfügung.
Die Besoldungsgesetzgeber sind dann gehalten, ihre Gesetzgebung ggf. auch für bereits zurückliegende Jahre zu prüfen. Dies hat in einigen Fällen zu teilweisen sehr beachtlichen Nachzahlungen geführt. Dies auch erst in jüngerer Vergangenheit insbesondere bei Familien mit Kindern. Ob diese „neuen“ Gesetze den verfassungsrechtlichen Anforderungen genügen, ist offen. Derzeit liegt eine Vielzahl von Verfahren den Verwaltungsgerichten aber auch dem Bundesverfassungsgericht vor, die sich mit der Frage befassen. Aktuell haben Gerichte in Rheinland-Pfalz und Hamburg das Bundesverfassungsgericht angerufen, weil sie der Auffassung sind, dass die dortigen Besoldungsgesetze verfassungswidrig seien. Es ist keine verfassungsgerichtliche Rechtsprechung bekannt, die bislang bestätigt hätte, dass die im Jahr 2021 und 2022 tiefgreifend überarbeitete Besoldung in NRW verfassungsgemäß sei.
Bei diesen Überprüfungen wird strikt nach Haushaltsjahren unterschieden. Für das Haushaltsjahr 2022 ist das Finanzministerium nach dort veröffentlichen Informationen mit der Prüfung fertig. Trotz der beschriebenen unsicheren Gemengelage, wie Gerichte über aktuell noch nicht geklärte Fragen entscheiden werden, meint man, zu einem Ergebnis kommen zu können: Die Auswertung der notwendigen statistischen Daten habe ergeben, dass die Alimentation im Jahr 2022 verfassungsgemäß gewesen sei. Mit einer Korrektur des Besoldungsgesetzes ist daher nicht zu rechnen. Das Finanzministerium kündigt vielmehr an, dass kurzfristig begonnen werde, den Betroffenen ablehnende Widerspruchsbescheide zuzustellen, es handle sich um etwa 55.000 zu erledigende Fälle. Hierdurch werden die Betroffenen ist die (Zwangs-) Lage versetzt zu entscheiden, ob sie den Klageweg beschreiten. Denn die Zustellung des Widerspruchsbescheids löst eine einmonatige Klagefrist aus. Eine Klage, selbst wenn diese nur fristwahrend erhoben und anschließend wieder zurückgenommen wird, löst aber – je nach Streitwert – Gerichtskosten aus.
Die Absicht der Landesregierung ist nicht neu. Schon seit einiger Zeit hat sie angekündigt, nach Abschluss der internen Prüfung über die Widersprüche zu entscheiden. Dieses Vorgehen stellt aus Sicht der Gewerkschaften einen Bruch mit den bisherigen Gepflogenheiten dar, ihnen zu ermöglichen, die Alimentation für das jeweilige Haushaltsjahr durch Musterklagen gerichtlich prüfen zu lassen, oder zumindest einschlägige Rechtsprechung abzuwarten, bevor über die Musterwidersprüche flächendeckend entschieden wird. Der DBB NRW hat sich gegen diese Absicht immer zur Wehr gesetzt. Ohne Erfolg, selbst nachdem sich in einer Anhörung im Landtag bereits im Januar 2024 alle geladenen Sachverständigen – u.a. der DBB NRW – in seltener Einmütigkeit gegen diesen Plan ausgesprochen haben.
Abwarten müssen die Betroffenen auch, was für die Jahre 2023 und das zwischenzeitlich abgelaufene Jahr 2024 passieren wird. Für das Jahr 2024 gilt dies insbesondere, weil sich die Landesregierung bekanntlich dafür entschieden hat, zur Einhaltung der verfassungsrechtlich vorgeschriebenen Bemessung des Mindestabstandsgebots der Alimentation von mindestens 15 Prozent zum Grundsicherungsniveau ein „fiktives“ Partnereinkommen der Nettoalimentationsseite anzurechnen. Dies hält nicht nur der DBB NRW, sondern auch der ehemalige Verfassungsrichter Prof. Dr. Dr. Di Fabio in einem kürzlich vorgestellten Gutachten für verfassungswidrig. Immerhin ist es dem DBB NRW gelungen, die Landesregierung zu ihrer Zusage zu bewegen, die Widersprüche für das Jahr 2024 ruhend zu stellen und Musterverfahren zu ermöglichen.