dbb Chef beim Europäischen Abend
„Gerade in Zeiten großer Veränderungen muss auf den Staat Verlass sein“
Der öffentliche Dienst spielt eine Schlüsselrolle bei den notwendigen Transformationen der Gesellschaft, ist der dbb Bundesvorsitzende Ulrich Silberbach überzeugt.
„Klimawandel und Kriege bestimmen die Schlagzeilen weltweit. Auch in Deutschland spüren wir die Auswirkungen: So sind mehr und mehr Menschen auf der Flucht und suchen Schutz bei uns. Gleichzeitig haben wir im Land unsere ganz eigenen Baustellen: Während internationale Konzerne die Künstliche Intelligenz auf immer neue Ebenen hieven, stottert die Digitalisierung bei uns auf fast allen Ebenen – unter anderem aufgrund des Fachkräftemangels, den längst nicht nur die IT-Branche spürt. Das alles führt zu einer massiven Verunsicherung bei den Menschen. Gerade in Zeiten großer Veränderungen muss deshalb auf den Staat Verlass sein“, sagte der dbb Chef am 18. Oktober 2023 im Vorfeld des 32. Europäischer Abend im dbb forum berlin.
„Der Staat und seine Beschäftigten spüren diese Entwicklungen ganz konkret. Das gilt für die Kolleginnen und Kollegen in den Kommunen, die sich um Geflüchtete kümmern, ebenso wie etwa für unsere Polizeikräfte, die gerade jüdisches Leben in Deutschland schützen und dabei selbst zur Zielscheibe werden. In all diesen Fällen erwarten wir von der Politik als gewählte Vertretung des Staates, dass die Beschäftigten mit diesen Herausforderungen nicht alleine gelassen werden. Das sollte selbstverständlich sein. Wir erwarten aber noch mehr: Der Staat sollte nicht nur handeln, wenn es schon brennt – er sollte auch mit gutem Beispiel vorangehen. Um es deutlich zu machen: Wenn der Staat von den Bürgerinnen und Bürgern mehr Klimaschutz einfordert, dann sollte die Feuerwehr nicht mit antiken qualmenden Dieseln aus der zugigen Wache ausrücken müssen. Die Menschen wollen einen funktionierenden und handlungsfähigen Staat – in Zeiten großer Veränderung mehr denn je.“
Thorsten Frei, Parlamentarischer Geschäftsführer der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, stellte die Migrationspolitik in den Fokus seines Impulses. „Wir stehen bei der Migration vor einer Herausforderung, die den gesamten Kontinent betrifft. Hier stellen sich zwei Fragen: Was ist humanitär notwendig und was ist gesellschaftlich leistbar? Wir brauchen eine gemeinsame Antwort, die sich zwischen diesen zwei Polen bewegt. Was gesellschaftlich leistbar ist, häng auch davon ab, wie gut uns die Integration gelingt. Die aktuellen Vorfälle in Berlin zeigen uns, dass die Integration nicht so funktioniert, wie wir uns das vorgestellt haben.” Integration bedeute nicht Assimilation, sondern „ein Bekenntnis zu unseren Werten. Darum sollten wir den Diskurs in der Gesellschaft stärken, um die Herausforderungen und Transformationen in dieser Gesellschaft zu bewältigen. Denn dort, wo es keinen öffentlichen Diskurs gibt, entsteht Polarisierung.“
Heiko Knopf, stellvertretender Bundesvorsitzender von Bündnis 90/Die Grünen, nutzte seinen Impuls für ein leidenschaftliches Plädoyer für die EU. „Europa ist nicht das Problem, sondern die Antwort auf all die Herausforderungen, die mit der anstehenden Transformation von Staat und Gesellschaft verbunden sind“, so Knopf. Ausdrücklich dankte der Grünen-Vize den Beamtinnen und Beamten in Deutschland, ohne deren Leistungsbereitschaft die schon erreichten Transformationserfolge unmöglich gewesen wären. Gleichzeitig müsse aber die Politik dafür sorgen, dass der öffentliche Dienst auch in Zukunft leistungsfähig bliebe. Knopf: „Wir brauchen einen starken Staat und eine starke EU, nicht als 'Bad Banks' für Aufgaben, die wir selbst nicht erledigen wollen, sondern als nachhaltige Gestalter der Zukunft.“
„Konstruktiver Wutausbruch“
Einen „konstruktiven Wutausbruch“ nannte Michael Roth (SPD), Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses im Deutschen Bundestag, seinen Impulsvortrag auf dem Europäischen Abend. Er sehe die Deutschen momentan von Alpträumen erdrückt und treffe auf Auslandsreisen immer wieder auf Menschen, die von einer Immigration nach Deutschland träumten. Sie blickten mit Hoffnung auf Freiheit, Menschenrechte, diverse Lebensentwürfen und die sich bietenden Perspektiven für Kinder und Enkel Richtung Deutschland. „Diesen Traum müssen wir wieder lernen!“, forderte Roth. Er erinnerte an die jungen Demokratien, die sich wie Armenien nur schlecht gegen mächtige, autokratische Nachbarstaaten zur Wehr setzen könnten und die zu wenig Unterstützung durch die EU erführen, weil Länder wie Aserbaidschan eben auch reich an Energie seien. „Es muss uns alle antreiben, dass wir energieunabhängig werden und unsere Freiheit erfolgreich verteidigen.“
Die zahlreichen geopolitischen Konflikte spiegelten die Grundhaltung der Aggressoren: „Sie lehnen unseren ‚way of life‘ ab! Das sind Attacken gegen die Freiheit!“ Roth erinnerte in diesem Zusammenhang an die Rolle Europas: „Es ist im Interesse Deutschlands, dass wir von Freundinnen und Freunden umringt sind.“ Er sehe im vereinten Europa „einen Anker und Hoffnungspunkt“ und plädierte für eine rasche Erweiterung der Europäischen Union. Jedes Zögern verursache nur weit höhere Kosten. Deutschland könne es allein nicht schaffen. „Wir müssen die liberale, freiheitliche, soziale Demokratie über Europa verteidigen.“
Breakout Sessions
Vertieft diskutiert wurden die Impulse in drei Breakout Sessions. Die erste beschäftigte sich mit den „Herausforderungen der europäischen Transformation.“ Hier diskutierten Stefan Evers, MdA , Bürgermeister und Senator für Finanzen des Landes Berlin, Chantal Kopf, MdB, europapolitische Sprecherin der Grünen-Bundestagsfraktion, sowie Prof. Dr. Funda Tekin, Direktorin des Instituts für Europäische Politik. Als eine der größten Herausforderungen in Europa wurde dabei der weiter erstarkende Populismus identifiziert, erklärte Moderator Christian Moos in seiner Zusammenfassung.
In der Breakout Session II diskutierten der Vorsitzende der dbb jugend Matthäus Fandrejewski, der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesinnenministerium Johann Saathoff, sowie Leiter des Zentralbereichs „Administrative Steuerung, Service und Digitalisierung“ beim Umweltbundesamt Wolfgang Scheremet die Frage „Klimaschutz und sozialer Zusammenhalt – Was ist der Beitrag des öffentlichen Dienstes?“ Der Staat müsse im Transformationsprozess zu mehr Klimaschutz der Schrittgeber sein, fasste Moderatorin Claudia Rahn zusammen. Entscheidend sei dabei, die Beschäftigten der Verwaltung genauso mitzunehmen wie Bürgerinnen und Bürger.
„Klimaschutz statt Armut. Wie gelingt soziale Klimapolitik in Europa?“ So lautete das Thema der Breakout Session III, bei der Lioba Donner, Referentin für EU- Klima- und Energiepolitik beim Deutschen Naturschutzring, Robert Gampfer von der Vertretung der Europäischen Kommission und Astrid Schaffert, Referentin für soziale Klimapolitik und Leiterin der AG Klimaschutz im Deutschen Caritasverband auf dem Podium saßen. Moderator Serge Embacher erklärte: „Sozialer Klimaschutz ist möglich.“ Tatsächlich habe die Europäische Kommission hier aktuell sogar eine Vorreiterrolle. Allerdings müssten soziale Aspekte bei den Bemühungen um Klimaneutralität in Zukunft eine noch größere Rolle spielen, um Transformation zu ermöglichen.