Warenabfertigung am BER
Reportage: Was ein Zöllner am Flughafen erlebt
Abgaben erheben, Schmuggel aufdecken, Schwarzarbeit bekämpfen – darum kümmert sich der Zoll. Gefährliche Begegnungen sind nicht ausgeschlossen.
Das Telefon klingelt, Christian Böhm nimmt ab: „Chef, komm mal runter, wir haben hier was Lebendiges im Koffer“, sagt der Kollege.
Am Kontrollpunkt angekommen, wirft Böhm einen Blick aufs Röntgenbild. Schnell steht fest: Schlange – kleineres Exemplar, wahrscheinlich Python. Wird verhältnismäßig oft geschmuggelt. Routiniert, aber vorsichtig, öffnet er den Koffer. Sofort geht das Reptil in den Angriffsmodus, bäumt sich auf. Prompt schlägt der Zollbeamte den Deckel wieder zu. Schrecksekunde. So verhält sich kein Python. Professioneller Rat muss her.
Christian Böhm, gebürtiger West-Berliner, leitet das Zollamt am Flughafen Berlin Brandenburg (BER). Heute steht er in dem Zimmer, das „seine Sammlung“ beherbergt, wie er sie nennt. Hier schlummern Anekdoten aus 43 Dienstjahren, auf die der 63-Jährige inzwischen zurückblicken kann. Verstaut in Regalen, ausgebreitet auf Tischplatten, drapiert in Vitrinen.
Es gibt einen Pokal, der dem FIFA-WM-Pokal auffällig ähnelt, ein Löwenfell an der Wand, mitsamt ausgestopftem Kopf. Metallfiguren von Iron Man, Alien und Predator, bekannt aus Comic und Film. Eine Garderobe mit vermeintlicher Markenkleidung – Sweatshirts, Hoodies, Schuhe – und vieles mehr. Beschlagnahmtes, was nicht hier landet, lagert zunächst in der Asservatenkammer und wird mittelfristig bei extrem hohen Temperaturen verbrannt. „Die Sammlung haben wir angelegt, um der Presse, Schulklassen und anderen Besuchergruppen zu zeigen, was wir so machen und erleben“, erklärt Böhm. Und dann fährt er fort mit der Geschichte über die Begegnung mit der Schlange im Koffer, die sich noch am Flughafen in Berlin Tegel zugetragen hat. Dort war er bis zur Schließung im Jahr 2020 ebenfalls Zollamtsleiter.
Kein Gegengift auf Lager
Inzwischen ist der Schlangenexperte des Berliner Tierparks eingetroffen. Auch er öffnet den Koffer vorsichtig, wieder schnellt die Schlange hervor, wieder wird der Deckel in Windeseile geschlossen. „Wir machen hier gar nichts mehr“, sagt der Experte.
Später, auf der Schlangenfarm, die damals noch zum Tierpark gehört, öffnen Reptilienpfleger den Koffer, ausgestattet mit Masken, Schutzanzügen und einer speziellen Schlangenzange. „Ach du Scheiße“, rutscht es dem Schlangenexperten heraus. „Herr Böhm, wissen Sie eigentlich, was Sie da haben?“ „Ne, sonst hätte ich Sie ja nicht angerufen“, erwidert der Zollbeamte. An der Zange windet sich eine australische Braunschlange, eine der weltweit giftigsten Schlangen. Die Ausfuhr von Down Under ist verboten, die Einfuhr nach Europa ebenfalls. Offiziell gibt es die Tiere in Deutschland nicht, entsprechend ist auch nirgends ein Gegengift vorrätig. „Wenn sie uns erwischt hätte, wäre es das gewesen. Da haben wir richtig Glück gehabt.“
Auch wenn der Fall schon einige Jahre in der Vergangenheit liegt, er veranschaulicht ein Problem, das bis in die Gegenwart besteht: Der Schmuggel von Tieren, die unter das Washingtoner Artenschutzabkommen fallen, floriert. Dasselbe gilt für Objekte, die aus ihnen hergestellt werden, und geschützte Pflanzen. Laut aktueller Zollstatistik – diese bezieht sich auf das Jahr 2022 – wurden die Zöllnerinnen und Zöllner in der Bundesrepublik knapp 1100-mal fündig. Sie beschlagnahmten etwa 64000 Tiere und Pflanzen. Den Großteil mit 57 Prozent im Postverkehr, 38 Prozent an Flughäfen.
„Manchmal handelt es sich auch um Touristen, die unwissentlich etwas mitbringen“, sagt Böhm. „Aber oft genug eben auch um skrupellose Schmuggler.“ Der erfahrene Zöllner hatte schon mit kleinen Rhesusaffen zu tun, die in einen Vogelbauer eingesperrt auf dem Gepäckband ihre Runden drehten, bis sie jemand entdeckte. Und mit acht mongolischen Sakerfalken, die mit Drähten in einem Rollkoffer fixiert und mit Medikamenten ruhiggestellt waren. Zwei Vögel haben die Tortur nicht überlebt, einer wurde schwer verletzt. „Das war mit das Grausamste, was ich je gesehen habe.“
Was mit den Tieren passiert? Der Zoll pflegt einen engen Austausch mit Tierparks und Zoos in ganz Deutschland. Trotzdem ist die Unterbringung nicht immer einfach. Die Rhesusäffchen wollte zunächst niemand aufnehmen, weil es sich um Herdentiere handelt, die sich nicht ohne Weiteres in die bestehenden Gruppen integrieren lassen. „Da musste ich den ganzen Tag telefonieren“, erinnert sich Böhm. Schließlich hätte sich ein Tierpark erbarmt. „Ich habe mir Bananen und ein Auto mit Hundezwinger geschnappt, dann ging’s los.“ Zweimal habe er unterwegs an Raststätten angehalten, um im Hundezwinger nach dem Rechten zu schauen und die Äffchen zu füttern.
Auch die Unterbringung der Sakerfalken gestaltete sich schwierig. Denn der Fund erfolgte ausgerechnet an einem 24. Dezember. „Versuchen Sie mal, da jemanden zu erreichen.“ Aber es gelang nach mehreren Anläufen. Ein Falkner aus Spandau hat die Vögel wieder gesund gepflegt, fünf von ihnen leben inzwischen wieder in Freiheit in der Mongolei. Das verletzte Tier ist zwar durchgekommen, bleibt aber beim Falkner, da die Folgen der Verletzungen eine Auswilderung unmöglich machen. Und die australische Braunschlange? „Die ist auf der Schlangenfarm geblieben.“
Naturkundemuseum leistet Amtshilfe
Böhm gehört zu den Menschen, denen deutlich anzumerken ist, dass der Beruf auch ihre Berufung ist. Er erzählt leidenschaftlich, ganz offenbar ist ihm auch nach so vielen Dienstjahren die Freude am Job nicht abhandengekommen.
Darauf angesprochen, entgegnet der Zöllner: „Das Schöne ist die Vielfalt.“ Diese ergebe sich zum einen aus den verschiedenen Zuständigkeiten des Zolls. Und zum anderen aus Begegnungen – Böhm ist unter anderem eng mit dem Berliner Naturkundemuseum vernetzt: „Ohne deren Hilfe hätte ich zum Beispiel kaum herausgefunden, was das hier ist“, sagt er, geht zielstrebig auf eine Vitrine zu und greift eine Figur, auf welcher der Schädel eines Tieres befestigt ist. Sie gehörte mutmaßlich dem Anhänger einer afrikanischen Naturreligion, womöglich einem Voodoo-Priester. „Ich musste herausfinden, ob der Schädel von einem geschützten Tier stammt“ – es habe eine Weile gedauert, aber nach zahlreichen Vergleichen mit Schädeln aus der Sammlung des Naturkundemuseums bestand kein Zweifel mehr: Es handelt sich um den Schädel eines geschützten Stachelschweins. Deshalb hat der Zoll die Figur beschlagnahmt. „Vielleicht bin ich jetzt verflucht“, sagt Böhm mit einem Augenzwinkern. „Aber das Recht müssen wir durchsetzen.“
In einem anderen Fall – damals gab es weder Google noch Wikipedia – unterstützte ihn die chinesische Botschaft in Berlin bei einer Recherche. An die hatte sich der Zollamtsleiter gewandt, um herauszufinden, ob in einem sichergestellten Medizinprodukt Tigerknochen enthalten sind. Diesen wird eine lindernde Wirkung bei Rheuma- und Gelenkerkrankungen zugeschrieben.
Auf das Hilfsgesuch hin meldete sich der chinesische Botschafter persönlich: Böhm bekam einen Exkurs in die Welt der chinesischen Schriftzeichen, seitdem kann er verbotene Inhaltsstoffe über die Verpackungen identifizieren. Den Handel mit Tigerknochen und weiteren Produkten, die Bestandteile von geschützten Tieren enthalten, hatte die chinesische Regierung 1993 zunächst verboten, 2018 allerdings unter besonderen Bedingungen wieder erlaubt. „Legal ist die Einfuhr solcher Medikamente nach Deutschland natürlich trotzdem nicht“, betont der 63-Jährige. Dazu gehören Tücher, die in speziellen Tinkturen getränkt sind und auf schmerzende Stellen gelegt werden; die Tigerknochen sind zermahlen und Bestandteil der Tinktur. Ein solches Tuch, noch original gefaltet und verpackt, verwahrt der Zöllner in der Sammlung.
Im Visier: Coronaschutzmasken
Erlebnisse, die fordernd waren – davon gibt es nach 43 Jahren eine ganze Reihe, etwa die Coronapandemie. „Sie glauben gar nicht, was hier los war“, erzählt Böhm. „Hier haben permanent Bürgermeister von Städten angerufen, von denen ich noch nie etwas gehört habe.“
Auch die Politik machte Druck, es hagelte Beschwerden. Grund: Dringend benötigte Lieferungen von Schutzmasken, die es nicht immer durch die Zollkontrolle geschafft hatten. „Wir waren sehr streng, damit es in Pflegeheimen oder Krankenhäusern nicht zu Ausbrüchen kommt, weil die Masken nichts taugen.“ Und das sei auch gut gewesen: „Es gab Masken, in denen chinesische Zeitungen als Filterschicht verarbeitet waren. So etwas ist bei uns nicht durchgekommen.“
Die Produktsicherheit zu gewährleisten, das ist eine vergleichsweise unbekannte Aufgabe des Zolls. Es besteht eine enge Zusammenarbeit mit den Behörden für Marktüberwachung. Was sicher ist und was nicht, definieren Grenzwerte und Gesetze. „Je mehr Billiganbieter den Markt fluten und Schrott verkaufen, desto wichtiger werden die Kontrollen“, unterstreicht Böhm.
Beispiele aus der Praxis? Herrenuhren, deren Armbänder so stark mit Kadmium belastet waren, dass sich der Träger allmählich mit dem Schwermetall vergiftet hätte. Extrem auch: Weihnachtsbeleuchtung, die eine große deutsche Supermarktkette im vergangenen Jahr verkaufen wollte. Beim Anschließen hätte es unmittelbar einen Stromschlag gegeben. „Nicht auszumalen, was passiert wäre, wenn wir das nicht entdeckt hätten.“
Nicht gefährlich, aber ärgerlich ist für Unternehmen der Handel mit gefälschten Markenprodukten, da er immensen wirtschaftlichen Schaden verursacht. Laut Statistik beschlagnahmte der Zoll im Jahr 2022 Waren im Wert von knapp 435 Millionen Euro. Auch für dieses Phänomen beherbergt die Sammlung des Zollamts zahlreiche Beispiele. Böhm deutet auf die Kleiderständer in der Ecke des Raumes: „Grundsätzlich gibt es geschützte Namen und geschützte Bildzeichen“, erklärt er. Geschützt sind also nicht bloß die Namen „Adidas“ und „Nike“, sondern auch die zugehörigen drei Streifen und der Haken. Die Verletzung des Markenrechts ist vor allem ein Problem im Internethandel.
Am BER stellt der Zoll jährlich 40 bis 50 Tonnen gefälschter Kleidung sicher. Wer online kauft, sollte nur bei seriösen Anbietern bestellen. Sonst drohe Post von Anwälten, die eine Unterlassungserklärung einfordern, berichtet der Zöllner. Die fällige Gebühr könne durchaus 4 000 Euro betragen. Anders verhält es sich, wenn jemand ein gefälschtes Markenprodukt aus dem Urlaub mitbringt. In diesem Fall sind keine Konsequenzen zu befürchten. „Aber nur, wenn kein gewerblicher Zweck dahintersteckt.“
Markenpiraterie betrifft jedoch nicht nur Kleidung: Einmal werden die Berliner Zöllner bei Bausätzen von Comicfiguren misstrauisch. Auf der Verpackung sind Iron Man, Optimus Prime, Alien und Predator abgedruckt.
Eine Nachfrage beim Markeninhaber ergibt: Die Bilder von der Verpackung reichen nicht, um zu entscheiden, ob eine Urheberrechtsverletzung vorliegt. „Da blieb uns nichts anderes übrig, als die Figuren zusammenzubauen“, erzählt Böhm, der selbst Comicfan ist, und lacht. Die Kollegen seien sehr motiviert bei der Sache gewesen. Ergebnis: Es handelte sich tatsächlich um eine Urheberrechtsverletzung. Der Anbieter der Bausätze hatte keine Genehmigung der Markeninhaber eingeholt.
Wenn der DFB anruft
Ganz oben auf einem Regal thront eine Nachbildung des FIFA-Pokals. Böhm greift die Trophäe, Erinnerungen werden wach. Ob es sich dabei ebenfalls um eine Markenfälschung handelt? Nein, dahinter verbirgt sich eine ganz andere Geschichte: Juli 2014, die deutsche Fußballnationalmannschaft hat gerade die Weltmeisterschaft in Brasilien gewonnen.
Warenaufkommen steigt kontinuierlich
Die Schwerpunkte der Arbeit richten sich nach den Flugverbindungen – weil die meiste Luftfracht aus Fernost kommt, fokussiert sich der Zoll am Flughafen Berlin Brandenburg vor allem auf Produktsicherheit und die Wahrung von Markenrechten. Der Artenschutz hingegen spielt nur eine geringe Rolle, weil es kaum Flugverbindungen von Afrika und Südamerika nach Berlin gibt. Aktuell sehen sich die 45 Mitarbeitenden mit einem erhöhten Warenaufkommen konfrontiert: Bis zum Sommer 2023 mussten sie 300 bis 350 Pakete am Tag abfertigen, inzwischen sind es etwa 2.500. Um die Aufgaben zu bewältigen, erfolgen Neueinstellungen. „Wenn das neue Personal da ist, sehe ich uns in der Lage, die Paketmenge zu bewältigen“, sagt Zollamtsleiter Christian Böhm. Bestimmte Risikoparameter, etwa Herkunftsländer und Empfänger, ermöglichen zielgerichtete Kontrollen. Mithilfe eines modernen Röntgengeräts lassen sich Sendungen zeiteffizient prüfen. „Natürlich ist auch immer das Bauchgefühl der Beamtinnen und Beamten von Bedeutung.“
Beim Zoll in Tegel klingelt das Telefon. Dran ist jemand vom Deutschen Fußballbund, der die Ankunft des Siegerfliegers organisiert. Es geht um die Zollanmeldung für die Siegertrophäe – also um die Nachbildung, denn das Original ist so wertvoll, dass die Mannschaft es nach der Siegesfeier wieder abgeben muss. Die Sache ist schnell geregelt.
Doch später klingelt das Telefon erneut: „Herr Böhm, wir kommen mit dem Original“, heißt es. „Ne, ihr könnt doch nicht mit dem Original kommen!“, antwortet Böhm. „Wieso überhaupt?“
Die Erklärung: Ein Fußballer – den Namen verrät der Zöllner nicht – habe die Trophäe mit aufs Hotelzimmer genommen und sei damit eingeschlafen. Was nun? Zollrechtlich lässt sich die Situation mit einem sogenannten Verwendungsschein lösen. Aber dann klingelt das Telefon wieder: „Herr Böhm, wir kommen doch mit der Kopie. Wir sind ins Zimmer geschlichen und haben das Original geholt.“
Als Dankeschön für die Organisation – und das damit verbundene Wirrwarr – hat der DFB dem Zoll die Kunststoffnachbildung der Trophäe geschenkt. Mutmaßlich der einzig legale Gegenstand, der es in die Sammlung des Zollamts am Flughafen geschafft hat.
Text: Christoph Dierking