dbb Jahrestagung
Zukunft gestalten heißt: Eine klare Vision vorlegen und Vertrauen schaffen
Gute Schulden, schlechte Schulden? DIW-Präsident Fratzscher sprach mit Experten aus Kommunalpolitik und Wirtschaft über die deutsche Haushaltspolitik.
„Die wirtschaftliche Situation in Deutschland ist bei weitem nicht so schlecht wie die Stimmung“, sagte Prof. Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW). Die Situation sei nicht mit der von vor 20 Jahren vergleichbar. „Was aktuell fehlt, ist Vertrauen. Unternehmen investieren nicht, Menschen konsumieren nicht. Die Politik muss eine klare Vision vorlegen und Vertrauen schaffen.“ Ganz entscheidend sei, dass die nächste Bundesregierung es schafft, Investitionen zu mobilisieren. „Der Staat lebt von der Substanz, die Nettoinvestitionen sind negativ. Und das ist ein Problem“, unterstrich Fratzscher, der sich selbst zu den Kritikern der Schuldenbremse zählt. Ihm ist jedoch wichtig, dass die Politik eine Brücke zwischen den Befürwortern und Kritikern baut.
Sein Vorschlag: die Einführung einer sogenannten generationengerechten Schuldenbremse. „Erstens müssen Investitionen in Krisenzeiten flexibler möglich sein, der Staat muss kontrazyklisch agieren können“, sagte der DIW-Präsident. Erforderlich sei eine nominale Ausgabenregel. Heißt: Die Staatsschulden sollen sich nicht in Richtung Null orientieren, sondern sie sollen idealerweise nicht stärker wachsen als das nominale Potenzialwachstum der Wirtschaft.
Zweitens dürfe sich der Staat nicht bloß an der Verschuldung orientieren, sondern auch an den öffentlichen Vermögenswerten. „Aktuell verfallen die öffentlichen Vermögenswerte. Deshalb muss der Staat Transparenz herstellen und mindestens das investieren, was an Werteverfall da ist“, sagte Fratzscher. Drittens sei es von zentraler Bedeutung, Generationengerechtigkeit zu gewährleisten: „Wir schauen nur auf die explizite Staatsverschuldung, dabei ist die implizite Staatsverschuldung das Problem. Sie ergeben sich aus den Verpflichtungen für die Zukunft, der Staat eingeht.“
„Wir müssen so oder so modernisieren und investieren“
„Der Investitionsstau in der Infrastruktur trifft in allererster Linie der Kommunen“, betonte Andreas Hemsing, stellvertretender dbb Bundesvorsitzender in der anschließenden Diskussion. „Es ist unabdingbar, in Infrastruktur zu investieren. Altschulden sind dabei ein Problem, ebenso wie die grundsätzliche Finanzierung der Kommunen durch Länder und Bund.“ Die Wirtschaft werde nur wachsen, wenn die Infrastruktur funktioniert. „Wir haben kein grundsätzliches Problem mit der Schuldenbremse beim dbb. Aber wir müssen so oder so modernisieren, müssen so oder so investieren.“ Hemsing warnte davor, Personal der Verwaltung nur als Kostenfaktor zu sehen. „Gutes Personal zu holen ist eine Investition in die Zukunft.“
Fratzscher unterstrich in der Diskussion, dass es seiner Meinung nach auch gute Schulden gebe: „Wenn Sie zu lange an Bildung und Infrastruktur sparen, dann führt das langfristig zu weniger Wachstum und weniger Steuereinnahmen.“ Was er von der nächsten Bundesregierung erwarte? „Ich wünsche mir, dass sie nicht bloß an den Symptomen herumdoktort, sondern einen großen Wurf für Reformen wagt.“
Thorsten Rudolph (SPD), Mitglied im Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages, stritt für eine bessere Finanzierung der Kommunen, um die zwischen Finanzausstattung und Aufgaben klaffende Investitionslücke zu schließen. „Wir müssen jedes Jahr zusätzlich mindestens 50 Milliarden in die Kommunen investieren.“ Diese Aufgabe könne nur bewältigt werden, wenn die Schuldenbremse um eine Investitionsklausel erweitert werde. Darüber hinaus dürften Bürokratieabbau und Aufgabenkritik keine Nebelkerzen zur Verschleierung der Aufgaben sein, die der Staat zu erfüllen und zu finanzieren hat.
Christian Haase, haushaltspolitischer Sprecher der Unionsfraktion im Deutschen Bundestag, bekannte sich klar zur Schuldenbremse. „Wir müssen nun die Aufgabenkritik in den Blick nehmen. Wir müssen den Mut haben, über staatliche Standards zu sprechen. Was können wir uns überhaupt leisten?“ So sei beispielsweise der Rechtsanspruch auf Kinderbetreuung nicht ausfinanziert gewesen. Es müsse auch um die zurückzuzahlenden Schulden gehen. Das werde eine Kernaufgabe der kommenden Regierung sein.
„Bei der Schuldenbremse bin ich kein Dogmatiker“, stellte Dr. Marcus Optendrenk, MdL, Minister der Finanzen des Landes Nordrhein-Westfalen, klar. Die Schuldenbremse sei ein Symbol, an der man ein Problem orientieren könne, „aber in Deutschland machen wir eine Dogmatik daraus. Und das ist falsch.“ Als Beispiele für fehlgeleitete Dogmatik nannte er die frühkindliche Bildung und die Mobilitätswende. „Es gibt gute Ausgaben, das ist unbestritten. Aber die Frage, ob es Schulden sein müssen, ist damit nicht beantwortet.“ Die deutsche Politik habe sich nicht darauf eingestellt, zu priorisieren.